Auf X postete Elon Musk vergangene Woche ein Video über einen vermeintlichen Kampagnenspot von Kamala Harris. Die demokratische Präsidentschaftskandidatin erklärt dort, Joe Biden sei senil, sie selbst eine Quotenfrau und Marionette eines geheimen Machtnetzwerks. Eine Woche später wurde das Video über 130 Millionen Mal angeschaut, knapp 300.000 Mal geteilt.
Dass der Spot ein Deep-Fake ist und Kamala Harris das nicht wirklich gesagt hat, ist dank Künstlicher Intelligenz (KI) zwar nicht zu erkennen, aber doch einfach zu kombinieren. Ein paar Millionen Nutzer haben ihm womöglich trotzdem geglaubt, weil sie sonst niemandem glauben erst recht nicht den von Musk verteufelten Mainstream-Medien.
7 weitere Male hat Musk seit Anfang vergangener Woche über Harris gepostet. 19 Mal über Donald Trump. 31 Tweets feuerte er über die Wahlen in Venezuela ab. Zig über die angebliche Gehirnwäsche durch die sogenannten Mainstream-Medien und ebenso viele über illegale Einwanderung. Insgesamt teilte er in fast 200 Posts, oft im Minutentakt, seine Gedanken mit der Welt.
Bekanntermaßen ist der 53-Jährige reichste Mensch der Welt (Vermögen: mehr als 230 Milliarden US-Dollar) nicht nur Nutzer, sondern auch Eigentümer der Plattform X, die vorher Twitter hieß. Daneben ist er CEO von Tesla, dem Raumfahrtunternehmen SpaceX, mit dem er die Menschheit „multiplanetar“ machen möchte, dem Neurotechnologie-Unternehmen Neuralink und dem KI-Unternehmen xAI.
Seit seiner Kindheit in Südafrika, geprägt von seinem fanatisch-gewalttägigen Vater, hat ihn eine Art Krisenmodus angetrieben, in dem er sich stets zu befinden scheint. Seine milde Form von Autismus macht ihn genial in seinen Geschäftsvorhaben, aber oft gemein im Umgang mit seinen Mitmenschen. In der US-Show Saturday Night Live sagte er 2021:
Allen, die beleidigt sind, möchte ich sagen: Ich habe Elektroautos neu erfunden und schieße Menschen in Raketen zum Mars. Dachtet ihr wirklich, ich wäre ein gechillter, normaler Kerl?
Wer sein Lebenswerk anschaut, versteht: Für Musk geht es bei all seinen Vorhaben – technologisch und politisch – um den Erhalt der menschlichen Zivilisation. Und diese menschliche Zivilisation ist in seinen Augen stets bedroht. „Ich höre Podcasts über den Untergang von Zivilisationen, um einzuschlafen“, erklärte er im Frühjahr bei einer Konferenz.
Abgesehen von dieser apokalyptischen Konstante hat Musks Weltbild in den vergangenen Jahren allerdings einen radikalen Wandel durchlaufen. Er wurde vom exzentrischen Tech-Milliardär zum größten Polit-Influencer der Welt. Seine Vision als Unternehmer ist heute längst nicht mehr von seiner politischen Mission zu trennen. Und in diesen Tagen erst recht nicht mehr vorrangig.
Denn heute wird die Zivilisation in seinen Augen nicht mehr in erster Linie durch Klimawandel oder Krieg bedroht, sondern von einem gesellschaftspolitischen Phänomen namens Wokeness, einer Art der politischen Korrektheit, unter dessen Deckmantel sich eine menschenfeindliche Ideologie verberge.
Hört sich lächerlich an? Vielleicht. Doch Musk gibt Einblick in (s)eine Denkschule, die in den USA gerade Hochkonjunktur hat. Sie wird von Eliten im Silicon Valley und US-Bürgern in Wohnwagen-Siedlungen geteilt, von weltweit Millionen Menschen – und bestimmt den US-Wahlkampf maßgeblich mit.
Die rote Pille
Noch 2016, als erfolgreicher Geschäftsmann, spendete Elon Musk an den Demokraten Barack Obama. Bei der Wahl 2020 hoffte er auf einen Sieg Joe Bidens. Heute könne ein weiterer Sieg der „Linken“ das Ende der Zivilisation einläuten, glaubt der Milliardär.
Bereits während der Corona-Pandemie verschlechtert sich Musks Verhältnis zu den Demokraten. Sie wollen sein Tesla-Werk in Fremont, Kalifornien, schließen. Musk findet das „faschistisch“. Das Werk bleibt offen.
Zur gleichen Zeit schreibt Musk auf Twitter über die „rote Pille“, sie offenbart im Film Matrix die Wahrheit über die Welt. Wer sie nimmt, wird aus der Simulation befreit. Musk hatte schon immer den Hang zur Verschwörung. Die Differenzen zwischen dem zunehmend libertär denkenden Tech-Milliardär Musk und den für amerikanische Verhältnisse linken Demokraten werden immer unüberbrückbarer.
„Ich bin (nach Kalifornien) gekommen, weil es das Land der Möglichkeiten war“, sagt er im Interview mit dem Autor und Journalisten Walter Isaacson, der über Musk eine Biografie geschrieben hat. „Jetzt ist es das Land der Rechtsstreitigkeiten, Regulierung und Steuern.“ Von Joe Biden entfernt er sich auch durch seine Abneigung für Gewerkschaften und Arbeiterrechte.
Im Mai 2022, auf dem Weg zu einem Treffen mit Brasiliens nationalistischem Präsidenten Jair Bolsonaro, erklärt er seine neue Wahlpräferenz – die Republikanische Partei. Er unterstützt jetzt den ultrakonservativen Republikaner Kevin McCarthy. Gleichzeitig betont er aber immer wieder, dass er gemäßigt denkt, die „linke“ Seite der Republikaner möge.
„Die Transformation von Twitter hat Musk radikalisiert“, sagt uns Ethan Zuckerman, Professor der Medienwissenschaften an der University of Massachusetts Amherst und ehemaliger Direktor des MIT Center for Civic Media. Seine Spielwiese – so empfand Musk – entwickelte sich immer stärker zu einem woken Forum, das andere Meinungen unterdrückte. Zuckerman:
Musk entwickelt eine Obsession mit dem „Woke-Virus“, das sich in seinen Augen besonders über Twitter ausbreite. Es sei „anti-menschlich“. Es arbeite gegen die Wissenschaft und gegen das Leistungsprinzip. Und es bringe Menschen dazu, sich selbst zu hassen.
Seine eigene Tochter, so empfindet er, wurde von dem Woke-Virus „getötet“, als sie eine Geschlechtsumwandlung vornahm. Musk habe sie – damals als Junge – aufgrund ihrer weiblichen Züge gehänselt, erklärte sie daraufhin – wenn er überhaupt mal zu Hause war. Vor vielen Jahren brach ihr Kontakt ab.
So wird der Kauf des sozialen Netzwerks Ende Oktober 2022 Teil seiner anti-apokalyptischen Mission. In einem TED-Talk sagt Musk:
Eine öffentliche Plattform, die ein Höchstmaß an Vertrauen genießt und alle Menschen einbezieht, ist für die Zukunft der Zivilisation äußerst wichtig.
Der Twitter-Kauf
Als Besitzer und CEO von Twitter wird Musk vom Tech- zum Medien-Mogul und damit politisch unumgehbar. „Twitter nimmt in der Politik einen besonderen Platz ein, weil alles öffentlich ist“, sagt Zuckerman. Es sei die „Hintertür“ in die Medienbranche.
Unmittelbar nachdem er Twitter für 44 Milliarden Dollar übernommen hatte, lässt er tausende Accounts, die wegen Hassrede und sonstigen Verstößen zuvor gesperrt wurden, wieder freischalten – im Namen der Meinungsfreiheit. Darunter war auch der Account von Donald Trump, der wegen seines Aufrufs zu Gewalt am 6. Januar 2021 permanent gesperrt war und zwischenzeitlich sein eigenes Medium gründete – das er bis heute anstatt X nutzt.
Es ist der ultimative Griff nach Macht über den öffentlichen Diskurs. Wer Twitter besitzt, entscheidet, was trendet. Denn es kann auf dem sozialen Netzwerk zwar jeder posten, aber bei wem welcher Post in der Timeline landet, das entscheiden Menschen.
Seine Vorahnung bestätigte sich: Die Untersuchung zeigt tatsächlich, dass Twitter-Mitarbeiter politisch voreingenommen bei der Drosselung der Reichweite oder Sperrung von Accounts vorgegangen waren. Corona-kritische und konservative Konten wurden auffällig häufig verborgen oder sogar gesperrt, während ihre linken Pendants keine solchen Konsequenzen zu befürchten hatten.
Nur Tage später sperrt Musk allerdings mehr als zehn Journalisten auf seiner nun eigenen Plattform, unter anderem von der New York Times und der Washington Post, die negativ über ihn berichtet hatten. Das neue Twitter habe das gleiche Problem wie das alte, schreibt Bari Weiss nur sieben Tage später. Musk zieht sie sofort von der Untersuchung ab.
Laut einer Investigativ-Recherche des Technikportals The Verge hat Musk im Februar 2023 rund 80 X-Ingenieure dazu verpflichtet, die Reichweite seiner eigenen Tweets künstlich um den Faktor 1.000 zu erhöhen. Der Auslöser war ein X-Post von Präsident Joe Biden zum Super Bowl, der 29 Millionen Aufrufe erhielt, während Musks Post zum gleichen Thema nur 9 Millionen Menschen sahen. Nun werden auch seine politischen Posts an noch mehr Millionen von Timelines gespült.
Die Trump-Allianz
Bestärkt in seinen eigenen Denkmustern, rückt Musk ideologisch immer näher an Trump und die republikanische Rechte. Weniger Steuern, Regulierung, Migration und Wokeness – hier herrscht Einigkeit.
Im März sollen Trump und Musk bei einem Treffen des Milliardärs Nelson Peltz (der als aktivistischer Investor Disney von seinem Woke-Kurs abbringen wollte) über ihre gemeinsame politische Zukunft verhandelt haben. Trump soll Musk laut US-Medien einen Beraterposten in Aussicht gestellt haben. So könnte er auch offiziell Einfluss nehmen, etwa wenn es um Steuererleichterungen für Elektroautos oder Verträge für sein Raumfahrtunternehmen SpaceX geht.
Dafür aktivieren Musk und sein mächtiges Netzwerk ihre Einlagen. Bei einem geheimen Abendessen im April soll Musk mit seinen langjährigen Vertrauten aus PayPal-Zeiten David Sacks und Peter Thiel sowie dem ehemaligen Finanzminister Steven Mnuchin und dem Medienmogul Rupert Murdoch überlegt haben, wie sie für Trump unter dem Radar spenden können.
Elon Musk, David Sacks und der langjährige Trump-Unterstützer Peter Thiel arbeiteten in den frühen 2000er Jahren bei dem Zahlungsdienstleister PayPal zusammen und teilen libertäre Ansichten. Das Trio ist im Silicon Valley wegen ihres einflussreichen Netzwerkes und gemeinsamen Vermögens von 250 Milliarden Dollar als „PayPal-Mafia“ bekannt.
Einen Tag nach dem versuchten Attentat auf Donald Trump, am 14. Juli, gibt Musk auf X seine offizielle Unterstützung für den republikanischen Kandidaten bekannt. Nur wenige Tage später, auf dem Parteitag der Republikaner in Milwaukee, wird J. D. Vance der Vizepräsidentschaftskandidat von Trump. „Einer von Trumps Großspendern, Peter Thiel, hat ein gutes Wort für Vance bei Trump eingelegt“, berichtet der USA-Experte Josef Braml.
Vance – der Trump 2016 noch als amerikanischen Hitler bezeichnete – arbeitete nach seinem Studium für die Investment-Firma von Peter Thiel und ist mit ihm sowie auch mit Sacks und Musk eng befreundet. Sollte Trump gewinnen, wäre er ihr Stellvertreter im Weißen Haus.
Im Juni errichteten unter anderem Joe Lonsdale, der mit Thiel das Unternehmen Palantir gegründet hatte, und die beiden Investoren-Brüder Cameron und Tyler Winklevoss ein politisches Komitee für die Organisation von Spenden für Trump – das America PAC (PAC = Political Action Committee).
Musk soll laut dem Wall Street Journal über das America PAC monatlich 45 Millionen Dollar an die Trump-Kampagne spenden. Auch wenn er selbst den Bericht seit seiner Veröffentlichung mehrfach dementierte, hat Trump die frohe Botschaft schon längst für sich instrumentalisiert.
Auf einer Wahlkampfveranstaltung in Michigan erzählt der Präsidentschaftskandidat bereits von den besagten 45 Millionen, die der Tech-Mogul ihm treu und regelmäßig spende. Am Sonntag rief die Trump-Kampagne ihre Anhänger zum Spenden per E-Mail auf. Der Betreff: „I Love Elon Musk!“.
Der virtuelle Wahlkampf
Während Musk im realen Leben weiter von öffentlichen Auftritten für die Republikaner absieht, wird er auf X immer stärker zu ihrem Sprachrohr: Heftige Kritik an Kamala Harris‘ politischer Agenda kombiniert er dort mit Verschwörungen über die Propaganda der Mainstream-Medien, mit vermeintlichen Enthüllungen über voreingenommene Algorithmen von Big-Tech-Unternehmen wie Google, die gezielt republikanische Inhalte unterdrücken sollen.
Dass er selbst das gleiche Spiel nur andersherum treibt, scheint ihn nicht zu stören. „Seine Vorstellung von Meinungsfreiheit lautet: Ich entscheide, wer gehört werden sollte“, sagt Zuckerman. „Natürlich ist das heuchlerisch“.
Mit dem Start in die heiße Phase des US-Wahlkampfes häufen sich auch die Klagen über Probleme auf der Plattform. Zahlreiche Nutzer etwa beschwerten sich, sie seien nicht in der Lage, dem X-Konto von Harris zu folgen, nachdem sich Präsident Joe Biden aus dem Rennen zurückgezogen hatte.
Zuletzt fordert der demokratische Abgeordnete aus New York, Jerry Nadler, den Justizausschuss des Repräsentantenhauses auf, X zu untersuchen, und bezeichnete den Vorfall als ein „ernstes und zeitkritisches Zensurproblem“.
Anfang dieser Woche sperrte X auch den Account „White Dudes for Harris“, kurz nachdem dieser mit einem massiven Spendenaufruf über vier Millionen Dollar für die voraussichtliche Kandidatin der Demokraten aufgebracht hatte. Gerade weil Musk in der Vergangenheit gezeigt hat, wie bereit er ist, in den Algorithmen seiner Plattform herumzupfuschen, sei es nicht sonderlich glaubwürdig, dass es sich hier um Zufälle handle, denkt Ethan Zuckerman.
Unterdessen erscheinen mit schwindelerregender Geschwindigkeit neue Posts von Musk auf den Timelines der X-Nutzer weltweit. 13 Mal werden in dieser vergangenen Woche die Erfolge von SpaceX gefeiert, dazwischen geht es 14 Mal um die „wahnsinnige“ Transgender-Politik der Demokraten. Er teilt Vorschläge zur Förderung von Elektroautos, empört sich über illegale Migration und propagiert gleichzeitig die Idee einer Arche Noah auf dem Mond.
mmer wieder propagiert Musk das Buch des kanadischen Marketingprofessors Gad Saad – so auch am Donnerstag. Gaad beschreibt eine Welt, in der das Woke-Virus überhand genommen hat, in der Gedanken- und Meinungsfreiheit der Tyrannei der politischen Korrektheit gewichen ist. „Furchterregend präzise“, meint Musk. Ein Gedankenanstoß liefert Saads Werk auch:
Um ein wirklich weiser Mensch zu sein, müssen wir erkennen, welche Bereiche am besten von unserem Intellekt und welche am besten von unseren Gefühlen geleitet werden.