Archiv der Kategorie: Klassische Medizin

Schilddrüse und unerfüllter Kinderwunsch

Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

Schilddrüse und unerfüllter Kinderwunsch: TSH unter 2.5 mE/l senken!

Bochum, 3. März 2018:

Am 19. Dezember 2017 erschien eine Pressemitteilung der Endocrine
Society (1) und kündigte eine gleichzeitige online-Publikation im  J.
Clin. Endocrinol. Metab. an (2). Bostoner Autoren um Tahereh Jokar
untersuchten 187 Frauen mit nicht erklärbarer Unfruchtbarkeit, bei
denen  TSH und Prolaktin bestimmt worden waren und bei denen diese Werte
allesamt  innerhalb des Referenzbereichs lagen. Die TSH-Spiegel
waren bei den infertilen Frauen gering, aber signifikant höher als in
der Vergleichsgruppe (im Mittel 1.95 vs. 1.66 mE/l). Dieser Unterschied
blieb auch bei Adjustierungen nach Alter, Rauchen oder  Body-Mass-Index
bestehen.  Vergleichsweise doppelt so viele Frauen mit unerklärlicher
Infertilität hatten TSH-Spiegel über 2.5 mE/l (26.9 vs. 13.5 %). Für Prolaktin fand sich kein Unterschied.

Das Alter der  187 Frauen lag zwischen 18-39 Jahren,  sie hatten
normale Menstuation und normale Ergebnisse bei einer
Fertilitätsuntersuchung. Sie wurden im Zeitraum von 2000 – 2013
rekrutiert. Zum Vergleich wurden 52 kinderlose Frauen überprüft, bei
deren Partnern schwere männliche Fertilitätsprobleme bestanden. Die
Daten sprechen dafür, dass bei unerfülltem Kinderwunsch bei einem
TSH-Wert über 2.5 mE/l Levothyroxin verabreicht werden sollte.

Kommentar

Vorweg: Die Ergebnisse beziehen sich nicht auf mit
artifizieller Reproduktionstechnologie behandelte Hashimoto-Patientinnen
wievor 1 Monat im  Blogbeitrag vom 27. Januar 2018  besprochen (3).
Einschränkend ist bei der vorliegenden Untersuchung anzumerken, dass man
nicht alle Partnerinnen der 52 Männer mit Oligo- oder Azoospermie als
„fruchtbar“ einstufen kann und sich dadurch die Ergebnisse etwas
verschieben könnten. Für Nicht-Ärzte: Unfruchtbarkeit
(„Infertilität“) wird bei Paaren diagnostiziert, die 12 Monate lang
vergebens versucht haben,  bei regelmäßigem Verkehr zu den fruchtbaren
Tagen des Zyklus, also etwa in dessen Mitte, eine Schwangerschaft zu
erzielen. Als erste Maßnahme diskutieren dann die Autoren,  ob man bei
Unfruchtbarkeit nicht einfach mit Levothyroxin den TSH-Wert unter 2.5
mE/l bringen sollte,  auch bei Nicht-Hashimoto-Patienten. Nach meiner
Kenntnis – und so verfahre ich auch in meiner eigenen Praxis – verhalten
sich ohnedies viele Kolleginnen und Kollegen schon in diesem Sinne.

Helmut Schatz

Konsultieren Sie auch Dr. med. Wikipedia?

Konsultieren Sie auch Dr. med. Wikipedia?

Graz, 8. Februar 2014:

Fast 50% aller amerikanischen Ärzte, welche aus beruflichen Gründen ins Internet gehen, verwenden WIKIPEDIA als Informationsquelle, insbesondere bei spezielleren Fragestellungen. Dies ergab eine Untersuchung des IMS Institute for Health Care Informatics, veröffentlicht im Bericht „Engaging Patients Through Social Media“ von Januar 2014 (1).

Es wurde festgestellt, dass die Wikipedia-Artikel häufig und gründlich aktualisiert werden. Untersucht wurden neben Wikipedia unter den sozialen Netzwerken auch Twitter, Facebook und YouTube. Die Autoren schreiben: „Wikipedia is a prominent source of online health information compared to the other health information provided“.

Kommentar

Wohl jedem Arzt sind in der Sprechstunde Patienten begegnet, welche sich im Internet über ihr Beschwerdebild und ihre selbst vermutete oder gestellte Diagnose schon mehr oder weniger gut informiert hatten. Ich selbst habe aber auch schon hin und wieder im Internet nachgesehen und die IMS-Untersuchung ergab, dass etwa die Hälfte der amerikanischen Ärzte dies ebenfalls tut. Eine Auswertung der Zugriffe auf >5000 englischsprachige Wikipeda-Seiten in den letzten 2 Jahren zeigte, dass seltenere Erkrankungen an der Spitze stehen und häufiger angeklickt wurden, aber Informationen wurden auch über große Volkskrankheiten wie etwa Diabetes gesucht. In den letzten 12 Monaten ergab sich folgende Reihenfolge der Besuche:
1.) Tuberkulose (4.2 Millionen),
2.) Morbus Crohn (4.1 Millionen),
3.) Pneumonie (3.9 Millionen),
4.) Multiple Sklerose (3.8 Millionen) und
5.) Diabetes (3.4 Millionen).
Diese Zahlen beziehen sich auf alle Bevölkerungsschichten, also nicht nur Ärzte oder Angehörige von Gesundheitsberufen. Der Gebrauch sozialer Netzwerke durch US-Erwachsene, die online sind, wuchs von 8% in 2005 über 67% in 2012 bis auf 72% im Mai 2013.

Das American College of Physicians hat in einem Positionspapier von April 2013 Empfehlungen zum richtigen Gebrauch des Internets für medizinische Informationen herausgegeben. Ärzte sollen das Internet nicht als primäre Informationsquelle benützen, sondern zur Abrundung des Wissens. Und bevor Informationen aus dem Internet an Patienten weitergegeben werden, solle man sicher sein, dass die Quelle vertrauenswürdig und vor allem evidenzbasiert ist. Dr. David A. Fleming, der President-elect des American College of Physicians sagte dazu: “I think phycicians have always had a responsibility to society to ensure accuracy and cogeny of information that goes out to the public. That includes Wikipedia, but that´s just one part. We need to be participatory”.

Die Diskussion mit unseren Patienten ist durch das Internet mit seinen sozialen Media komplexer und herausfordernder geworden, da so viele Informationen falsch und verwirrend sind, oder aus dem Zusammenhang gerissen. Wir Ärzte müssen dies dann korrigieren. Auf der anderen Seite führt es zu interessanten und auch ermutigenden Diskussionen mit den Patienten und ihren Angehörigen.

Helmut Schatz

Fingernageltest kann Osteoporose anzeigen

Disulfidverbindung liefert entscheidende Hinweise

Limerick (pte/11.07.2005/09:15) – Wissenschafter haben ein Verfahren
für einen Osteoporosetest entwickelt, der einfach auf der Untersuchung
des Fingernagels eines Patienten beruht. Fingernägel und Knochen
enthalten eine entscheidende Verbindungssubstanz, die ihre Festigkeit
beeinflusst. Das Wisssenschaftsteam der University of Limerick
http://www.ul.ie geht davon aus, dass geringe Werte dieser Substanz im
Fingernagel auch auf geringe Werte im Knochen hinweisen. Der Test biete
eine kostengünstige und leicht zugängliche Möglichkeit, um
festzustellen, ob weitere Untersuchungen erforderlich sind. Das
Verfahren wurde für die Medical Futures – Innovation Awards
http://www.medicalfutures.co.uk nominiert, deren Gewinner laut BBC
gegen Ende des Jahres bekannt gegeben werden.

Der Wissenschafter Mark Towler untersuchte die Eigenschaften von
Fingernägeln und Knochen. Er führte Tests mit Proben von zehn Personen
mit und zehn Personen ohne Osteoporose durch. Es zeigte sich, dass die
Werte der Disulfidverbindung, die für die Verbindung eines
Proteinmoleküls mit dem anderen erforderlich ist, bei Menschen mit
Osteoporose geringer sind. Bei Fingernägeln ist diese Verbindung für
die Bindung des Keratins erforderlich, das den Nägeln ihre Stärke
verleiht. In der Folge untersuchten die Wissenschafter weitere 200
Personen, bei denen ebenfalls Scans der Knochen durchgeführt wurden.
Dabei stimmten die Ergebnisse der Scans mit geringen Werten der
Disulfidverbindung überein. Die Wissenschafter suchen derzeit nach
weiteren Finanzierungsmöglichkeiten zur Fortsetzung ihres Projekts. Sie
wollen herausfinden, welche Werte der Disulfidverbindung auf ein
Osteoporoserisiko oder auf eine bereits bestehende Erkrankung
hinweisen.

Starke Nebenwirkungen von Ibuprofen

Medizinische Kurznachrichten der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie
(Prof. Helmut Schatz, Bochum)

Bochum, 5. Februar 2018:

Dr. Séverine Mazaud-Guiuttot und Mitarbeiter vom Forschungsinstitut
INSERM in Rennes, Frankreich untersuchten das Eierstocksgewebe von 185
weiblichen Feten nach legalem Schwangerschaftsabbruch in der 7.-12.
Woche (1). Die Mütter hatten in der Regel kein Ibuprofen bekommen,
einige aber geplant 2-4 Stunden vor dem Schwangerschaftsabbruch. Von den
Müttern ohne Ibuprofeneinnahme wurde das Ovarialgewebe ihrer Feten in
vitro eine Woche lang mit oder ohne Ibuprofen kultiviert. Bei Zusatz des
Schmerzmittels zum Nährmedium fand sich ein, wie sich die Autorin
ausdrückte, „dramatischer Rückgang der Oozytenzahl“: Die Keimzellen
starben entweder ab oder die Wachstumsrate war reduziert. Wenn die
Mütter Ibuprofen eingenommen hatten, zeigten die Untersuchungen des
Spiegels im Nabelschnurblut, dass das Analgetikum die Plazentaschranke
ungehindert passieren kann.

Kommentar

Der paradoxe Befund, dass ein niedriger Ibuprofenspiegel von 10
micromol die stärkste Auswirkung ergab, während diese bei 100 micromol
schwächer war, stellt die klinische Relevanz der Befunde aus der
ex-vivo-Studie infrage. Ob Ibuprofen auch im Mutterleib die Eierstöcke
der Feten schädigt, bleibt ebenfalls ungeklärt. Diese Frage würde man
wohl erst beantworten können, wenn die Töchter ins reproduktionsfähige
(und -willige) Alter gekommen sind, also nach etwa zwei Jahrzehnten.
Ähnlich war die Situation nach der intracytoplasmatischen
Spermieninjektion (ICSI) bei den mithilfe dieser Technik geborenen
Jungen: Bei diesen war auch erst nach etwa 2 Jahrzehnten deren
Fertilität zu erfassen. Sie stellte sich als vermindert heraus (2).

Schwangere sollten besser nicht nur in der Spätschwangerschaft
Analgetika wie auch Ibuprofen vermeiden, in der sie wegen des erhöhten
Mißbildungsrisikos kontraindiziert sind (vgl. 3), sondern auch schon
früher im ersten Trimenon.

Helmut Schatz

Mediziner verbringen viel Zeit am Schreibtisch

fzm, Stuttgart, August 2016 – Bis zu drei Stunden täglich
verbringen Klinikärztinnen und -ärzte am Schreibtisch statt am
Krankenbett: Aufnahme- und Entlassgespräche müssen dokumentiert, der
Behandlungsverlauf in der Patientenakte notiert, Berichte verfasst und
Kassenanfragen beantwortet werden. „Eine sorgfältige Dokumentation ist
wichtig für die Qualitätssicherung und Quelle zuverlässiger
Informationen", erklären Professor Matthias W. Beckmann und Professor
Michael P. Lux von der Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen.
Dennoch müsse nach Wegen gesucht werden, um den enormen
Dokumentationsaufwand für die Ärztinnen und Ärzte zu begrenzen. In der
Fachzeitschrift "Das Gesundheitswesen" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
2016) belegen die Experten den enormen Dokumentationsaufwand am Beispiel
der Brustkrebsbehandlung und entwickeln Vorschläge zur Optimierung.

Für Klinikdirektor Professor Beckmann, den leitenden Oberarzt
Professor Lux und deren Mitautoren aus zahlreichen anderen Kliniken
besteht eine große Diskrepanz zwischen dem Dokumentationsaufwand,
welcher der medizinischen Qualitätssicherung dient, und den derzeitigen
sehr viel umfangreicheren Dokumentationsanforderungen. Am Beispiel der
Versorgung von Brustkrebspatientinnen haben sie daher im Rahmen einer
multizentrischen Studie untersucht, wie viel Zeit und finanzielle
Ressourcen die Patientendokumentation tatsächlich bindet. Gefördert
wurde die Arbeit durch das Bundesministerium für Gesundheit.

„Von der Anamnese bis zum Ende der Nachsorge fallen für jede
Patientin durchschnittlich 23 Stunden für die Dokumentation an“, fassen
die Erlanger Mediziner ein Kernergebnis der Studie zusammen. Dabei
schwankt der zeitliche Aufwand zwischen den an der Studie teilnehmenden
Zentren erheblich und liegt zwischen 11,5 und 32,5 Stunden pro
Patientin. Entsprechend liegen auch die Dokumentationskosten sehr
uneinheitlich zwischen 353 Euro am unteren und über 1000 Euro am oberen
Ende der Skala. Dabei kam das einzige nicht-zertifizierte Brustzentrum
unter den sieben teilnehmenden Einrichtungen auf die niedrigsten Werte,
die Universitäten auf die höchsten.

„Insgesamt liegen in den universitären Häusern die
Dokumentationskosten deutlich über denen in nicht-universitären
Häusern", konstatieren Beckmann und Lux. Dazu könne neben der
Infrastruktur unter anderem die aufwendige Teilnahme an medizinischen
Studien beigetragen haben. Eine Ausnahme bildet die Universität
Tübingen, die mit 547 Euro pro Patientin recht niedrige Kosten für die
Dokumentation ausweist. Hier wirkt sich offenbar die Einführung einer
elektronischen Akte positiv aus, die eigens an der dortigen Frauenklinik
entwickelt wurde. Derartige elektronische Lösungen könnten dabei
helfen, unnötige Mehrfachdokumentationen zu vermeiden, so die Autoren
der Studie.

Ein einheitliches, interdisziplinär nutzbares
Dokumentationssystem, auf das alle an der Patientenversorgung
mitwirkenden Berufsgruppen – auch im ambulanten Sektor – Zugriff haben,
könnte die Dokumentationsabläufe erheblich straffen. Sogar der Zahnarzt
oder der Physiotherapeut könnte den Gesundheitszustand der Patientinnen
mitdokumentieren. Einsparpotenzial sehen die Mediziner auch bei den
Vorgaben zur onkologischen Qualitätssicherung – hier gebe es zu viele,
teils nicht relevante Parameter, die erfasst werden müssten. „Es müssen
wenige, dafür jedoch wirklich relevante Variablen für die
Qualitätssicherung festgelegt werden“, fordern sie.

Weitere Ansatzpunkte für Einsparungen ergeben sich für die
Autoren daraus, dass weit mehr als die Hälfte der Dokumentationskosten
auf die Ärztinnen und Ärzte entfällt. Hier würde es entlastend wirken,
nicht-ärztliche Berufsgruppen zu stärken und zum Beispiel die Ausbildung
von medizinischen Dokumentationsassistenten auf dem Gebiet der
Tumordokumentation zu fördern. Nicht zuletzt fordern die Autoren eine
adäquate Vergütung der zertifizierten Zentren – die Arbeit zeigt
Mehraufwand, der im Rahmen einer Zertifizierung anfällt, deutlich.


M. W. Beckmann et al.:
Dokumentationsaufwand und verbundene Ressourcen bei Patientinnen
mit einem primären Mammakarzinom – von der Primärdiagnose bis zum
Abschluss der Nachsorge – Ergebnisse der multizentrischen Erhebung
Das Gesundheitswesen 2016; 78 (7); S. 438–445

Ethikrat diskutiert über ‘Modekrankheiten’

Der Deutsche Ethikrat diskutiert über ‘Modekrankheiten’

Bochum, 7. März 2015:

In der öffentlich zugänglichen Berliner Veranstaltungsreihe „Forum
Bioethik“ diskutierte der Deutsche Ethikrat am 25.Februar 2015 über
„Modekrankheiten“ (1). Es wurde eingangs die Frage gestellt, ob es
Krankheitsbilder wie etwa „Burn-out“ oder „Wechseljahre des Mannes“ als
reale Krankheiten gibt oder man diese nur „erfunden“ hätte. Oder auch,
ob soziale Probleme zu Krankheiten umgedeutet werden.

Michael Stolberg von der Universität Würzburg zeigte auf, daß
es „Modekrankheiten“ im Lauf der Geschichte immer gegeben habe. Die
Wahrnehmung, Deutung und Erfahrung von Krankheiten sei stets
unausweichlich vom jeweiligen historischen und kulturellen Hintergrund
geprägt gewesen.

Gisela Schott von der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft befasste sich eingehend mit dem seit 1992 existierenden Begriff des „Disease-Mongering“ (wörtlich: dem
„Handel mit Krankheiten“, = der „Krankheitserfindung“). Sie übte
heftige Kritik daran, dass man normale Lebensprozesse als medizinisches
Problem definiere und dass neue Krankheitsbilder durch Werbemaßnahmen
neu erfunden würden. Risiken würden zu Krankheiten gemacht, leichte
Symptome  zu Vorboten schwerer Erkrankungen. An den  konkreten
Beispielen  einer Plakataktion zu  „Migräne“ in den Berliner U-Bahnen,
dem „Burn-out-Syndrom “ oder den „Wechseljahren des Mannes“, unterstützt
von der jeweils entsprechenden Pharmaindustrie,  demonstrierte sie, wie
solche „Awareness-Kampagnen“ ablaufen. In ihrem Vortrag forderte sie
die Politiker auf, „Disease Awareness Kampagnen“, die von den
einschlägigen pharmazeutischen Firmen unterstützt würden, zu verbieten.

Theodor Schramme von der Hamburger Universität beklagte die
drohende Erweiterung des Krankheitsbegriffes. Man unterscheide nicht
zwischen der „Abwesenheit von Krankheit“  als Mindestkriterium für
Gesundheit (negative Gesundheit) und der „idealtypischen, bestmöglichen
Gesundheitsdisposition“ (positive Gesundheit).

In der Diskussion äußerte Lothar Weißbach, ehemaliger
Chefarzt der Urologischen Klinik „Am Urban“ in Berlin und Mitglied der
Stiftung Männergesundheit, dass die Orientierung von Entscheidungen über
eine Behandlung allein an Laborwerten aus gesunden Menschen
behandlungsbedürftige Patienten mache, ein grenzwertiger Befund zum
Überbefund werde und eine Überdiagnose übertherapiert würde. Als die
Urheber wurden in der Diskussion Pharmaunternehmen, medizinische
Interessensverbände und PR-Agenturen bezeichnet, die neue Leiden
erfänden und damit zu “Industrieprodukten“ machten. Nach Weißbach
sollten sich die Ärzte in der „Kunst des Weglassens“ üben und manchmal auch von Therapien abraten.

Kommentar

In ähnlicher Weise wie der Deutsche Ethikrat hat sich am 23. Januar
2015 Ottmar Leiß im Deutschen Ärzteblatt geäußert, worüber im DGE-Blog
vom 27. Januar 2015 über die Testosterongabe an Frauen nach dem Wechsel 
bei sexueller Unlust berichtet wurde (2). Dass ein über 6 Wochen
hinausgehender schwerer Trauerzustand nach dem Tod eines  Ehepartners,
Elternteils oder Kindes nicht „normal“, sondern ein psychopathologischer
Zustand sei, wie nach meiner Kenntnis jüngst von amerikanischen
Psychiatern mit einer Krankheitsziffer festgeschrieben, liegt auf der
gleichen Linie, nämlich normale Lebensumstände zu pathologisieren.

Die „Aufklärungs-Kampagne für Endokrinologie“ der DGE, die mit
dem Lübecker DGE-Kongress im März 2015 anläuft, darf nicht mit den von
Frau Gisela Schott zu Recht kritisierten „Awareness-Kampagnen“
verwechselt werden. Diese hat ein ganz andere Ziel, nämlich etablierte,
wohl definierte endokrinologische Krankheitsbilder der Öffentlichkeit
bekanntzumachen und die entsprechenden Patienten einer fachgerechten
Behandlung durch die dafür am besten geeigneten Spezialisten zuzuführen.

Helmut Schatz

Unmusikalische Gene

Montreal/Newcastle (pte/27.09.2006/13:40) – Ein Wissenschaftsteam des
kanadischen Montreal Neurological Institute der McGill Universität
http://www.mni.mcgill.ca und Forscher der Universität Newcastle
http://www.ncl.ac.uk haben unabhängig voneinander eine Erklärung dafür
gefunden, warum bestimmte Menschen kein musikalisches Gehör haben.
Mithilfe einer Magnetresonanztomographie (MRI) verglichen die
Wissenschaftler die Gehirne von Menschen mit einer musikalischen
Aphasie mit jenen von Menschen mit normalen musikalischen Fähigkeiten.
Somit entdeckten sie, dass ein bestimmtes Gebiet vorne im Gehirn – die
rechte inferiore frontale Hirnwindung – bei Menschen ohne musikalisches
Gehör weniger weiße Hirnsubstanz enthält als bei musikalisch normalen
Menschen. Die Forscher veröffentlichten ihre gemeinsamen Ergebnisse in
der Oktober-Ausgabe der Fachzeitschrift Brain
http://brain.oxfordjournals.org.

Die weiße Hirnsubstanz ist verantwortlich für die Übermittlung von
Informationen im Gehirn. Den Forschern zufolge behindert ein Mangel an
dieser Substanz, wie sie das im Gehirn von amusikalischen Menschen
wahrnehmen konnten, die Kommunikation in der rechten Gehirnhälfte.
Hierdurch wird das musikalische Gehör der Betroffenen beeinträchtigt.
Zur Quantifizierung des musikalischen Gehörs werden meistens
einheitliche Tests für sechs unterschiedliche Fähigkeiten angewendet,
nämlich das Gefühl für Takt, die Fähigkeit, sich aneine Melodie zu
erinnern, und die Fähigkeit, Änderungen in der Tonart, Tonhöhe,
Tonrichtung und Rhythmus zu unterscheiden. Anhand dieser Tests konnten
die Forscher nun nachweisen, dass sich der Mangel an weißer
Hirnsubstanz vor allem in einem unzulänglichen Gefühl für Melodie
äußert, eher als in einem unzulänglichen Gefühl für Rhythmus. Diese
Schlussfolgerung steht im Einklang mit früheren Studien, die zeigten,
dass musikalische Aphasie vor allem eine auf der Tonhöhe basierte
Kondition ist.

Zur Verbesserung der Studienergebnisse sind die Forscher jetzt auf eine
Technik namens "Diffusion Tenor Imaging" übergegangen, die einen
besseren Einblick in die weiße Hirnsubstanz verschafft und aufklären
kann, wie die verschiedenen Bereiche des Gehirns miteinander verbunden
sind. Anhand dieses Verfahrens hoffen die Forscher nachweisen zu
können, ob musikalische Aphasie eine genetisch bestimmte Abweichung
ist, oder ob Musikalität angelernt werden kann. In diesem Fall sollte
eine stärkere Beschäftigung mit Musik zu einem Wachstum der weißen
Hirnsubstanz führen. Hauptforscherin Krista Hyde vom Montreal
Neurological Institute ist fest entschlossen, diese Frage auch noch zu
beantworten, um so die Lebensqualität von Menschen ohne musikalisches
Gehör zu verbessern. "Es ist sehr unangenehm, keine Musik hören und
genießen zu können", so die Forscherin abschließend.

Weniger Menschen und längeres Leben

Weniger Menschen und längeres Leben:

Europas Politiker haben viele
Möglichkeiten, die Chancen des Demografischen Wandels zu nutzen

Niedrige
Geburtenzahlen, die Alterung der Bevölkerung und die zunehmende
Migration innerhalb der Europäischen Union stellen die Politik vor
erhebliche Herausforderungen, so ein Fazit der heute veröffentlichten
gemeinsamen
Stellungnahme von acht europäischen nationalen Wissenschaftsakademien.
Die Stellungnahme formuliert unter anderem die Empfehlung, die Vorteile
niedriger Geburtenzahlen zu nutzen, um die Investitionen in die
Entwicklung und Bildung jedes einzelnen Bürgers zu
erhöhen. Dies sei ein wichtiger Beitrag, um die Wettbewerbsfähigkeit
und den Wohlstand in Europa zu sichern.

Die Menschen in Europa werden heute älter als jemals zuvor, und die
Kinderzahl je Frau in den meisten europäischen Ländern liegt deutlich
unter zwei Kindern. Die Wissenschaftsakademien fordern ein politisches
Konzept, das den gesamten Lebenslauf der Menschen
einbezieht und die Herausforderungen berücksichtigt, die der
demografische Wandel für die Gesundheits-, Bildungs-, Arbeits- und
Wohnungspolitik mit sich bringt.

Die Wissenschaftsakademien weisen in ihrer Stellungnahme darauf hin,
dass ein längeres Erwerbsleben neue, flexiblere Lebensläufe erforderlich
macht. Gründe für die Verlängerung des Erwerbslebens sind neben der
wirtschaftlichen Notwendigkeit, die Menschen länger
am Arbeitsmarkt zu halten, auch Verbesserungen der persönlichen
Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Es gelte, neue institutionelle
Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Bürgern erlauben, häufiger
zwischen Lernen/Bildung, Erwerbstätigkeit und Freizeit/Familienzeit
zu wechseln. Eine weitere Empfehlung der Stellungnahme bezieht sich auf
die Einrichtung europäischer Standards für die Gestaltung von
Berufswegen und Berufsbildung, um die psychische und körperliche
Entwicklung bei der Arbeit positiv zu fördern.

Die Sprecherin der Arbeitsgruppe, Professorin Ursula M. Staudinger von
der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, erklärte: „Der
demografische Wandel findet überall in Europa statt. Er vollzieht sich
jedoch nicht in allen Ländern gleich schnell,
und wir sind nicht überall gleich gut darauf vorbereitet. Wir sollten
die Vielfalt und das große kulturelle Potenzial in Europa nutzen, um
unsere Produktivität zu steigern und gleichzeitig natürliche Ressourcen
zu schonen.“

Die Stellungnahme wirft die Frage auf, ob das Lebensalter als
Hauptindikator für ihre Belastbarkeit oder Leistungsfähigkeit noch
Gültigkeit hat. Sie fordert die Entwicklung weiterer Indikatoren, die
auch Veränderungen im Alterungsprozess verschiedener Generationen
erfassen, insbesondere die Steigerung der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit älterer Menschen von einem Geburtsjahrgang zum
nächsten.

Professor Günter Stock, Präsident der ALLEA (All European Academies),
unterstützt die Aussagen der gemeinsamen Stellungnahme ad personam: „Die
Vorstellungen davon, wie sich Beruf und Familie vereinbaren lassen, wie
das individuelle Potenzial über den gesamten,
längeren Lebensverlauf ausgeschöpft werden kann und wie Einwanderer
aufgenommen und in die Gemeinschaft integriert werden sollten, gehen
innerhalb Europas deutlich auseinander. Vom wissenschaftlichen
Standpunkt aus gesehen, betonen die Akademien, dass es weder
auf die Anzahl der Geburten noch die der Einwanderer noch die der
Lebensjahre ankommt, sondern darauf, die Lebensqualität und die
Nachhaltigkeit der Lebensbedingungen zu erhöhen. Hier liegt der Weg zur
Vereinbarkeit des demografischen Wandels mit wirtschaftlichen,
gesellschaftlichen und Umweltbedingungen.“

Die vollständige Stellungnahme und die Empfehlungen der
Wissenschaftsakademien finden sich in englischer Sprache unter folgendem
Link:

http://www.leopoldina.org/de/internationales/internationale-stellungnahmen/

Unterzeichner der gemeinsamen Stellungnahme sind die Österreichische
Akademie der Wissenschaften, die Finnische Akademie der Wissenschaften,
die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Polnische
Akademie der Wissenschaften, die Königlich Dänische
Akademie der Wissenschaften, die Royal Society, die Königlich
Schwedische Akademie der Wissenschaften und die Akademien der
Wissenschaften Schweiz.

Stammzellen als neue Waffe gegen Asthma ?

Stammzellen als neue Waffe gegen Asthma im Blick

Fibrosen behandelbar – Alternativmethode zu herkömmlichem Cortison

Melbourne (pte004/04.07.2017/06:15) –

Forscher der Monash University http://monash.edu haben eine neue Therapie für chronisches Asthma gefunden. Chrishan
Samuel und Simon Royce setzten sogenannte Mesenchymale Stammzellen (MSC)
des australischen Unternehmens Cynata Therapeutics ein, ein Spezialist
für die Gewinnung dieser Vorläuferzellen von Bindegewebe wie Knochen,
Knorpeln, Muskeln, Bändern, Sehnen und Fettgewebe.

Klinische Modelle erfolgreich

Die Forscher haben die Zellen an klinischen Modellen
getestet, um die Wirkung auf drei Schlüsselelemente von Asthma
herauszufinden – auf Entzündungshemmung sowie Veränderungen in der Lunge
und der Luftwege aufgrund von anhaltender Entzündung. Sie fanden
heraus, dass MSC positive Wirkungen auf sämtliche Symptome und
Auswirkungen von Asthma haben, wenn sie in die Nase gesprüht werden.

Den Forschern zufolge besteht nun die Hoffnung, dass
für Asthma-Patienten, die die herkömmliche Behandlung mit Cortison nicht
gut vertragen, eine neue Therapiemöglichkeit entwickelt werden kann.
"Es ist ganz wichtig, dass wir herausgefunden haben, wie sich eine
Fibrose behandeln lässt", sagt Samuel. Eine Fibrose ist eine krankhafte
Bildung von Bindegewebe in der Lunge, die deren Funktion einschränkt.

Andere Stammzelltypen, die die Forscher ebenfalls
überprüft haben, konnten krankhafte Veränderungen in der Lunge nicht
rückgängig machen. Das gelang nur durch eine parallele Behandlung mit
Medikamenten. Der nächste Schritt ist ein Vergleich der Wirkung
herkömmlicher Methoden und der MSC-Kur. Außerdem wollen die Forscher
MSC- und Cortisonbehandlung miteinander kombinieren, um herauszufinden,
ob sich die Wirkungsweisen ergänzen. Zudem sind klinische Studien mit
MSC angedacht.

Weltweit bis zu 300 Mio. Erkrankte

Jeder neunte Australier leidet unter Asthma, das sind rund 2,5 Mio. Menschen. Die WHO http://who.int und die Global Initiative for Asthma gehen von etwa 230 beziehungsweise
300 Mio. Betroffenen weltweit aus. Nach Daten des Robert-Koch-Instituts http://rki.de ist die Gefahr, an Asthma zu erkranken, zwischen 2003 und 2009
gestiegen: bei Frauen von 6,0 auf 10,1 Prozent, bei Männern von 5,2 auf
8,3 Prozent. Eine Langzeitprognose geht allerdings davon aus, dass die
Erkrankungsrate in den nächsten Jahrzehnten stabil bleiben wird.

Vorhersage von Demenz

Einfaches Instrument zur Bewertung der Risikofaktoren

Stockholm (pte/03.08.2006/09:15) – Wissenschaftler des Karolinska
Intitutet http://ki.se haben ein Verfahren zur Vorhersage des
Demenzrisiko einer Person mittleren Alters entwickelt. Dieser Test
berechnet das Risiko durch die Auswertung von Faktoren wie Blutdruck,
BMI und Cholesterinwerte in Verbindung mit Alter und Ausbildung. Die in
dem Fachmagazin Lancet Neurology
http://www.thelancet.com/journals/laneur veröffentlichte Studie basiert
auf einer finnischen Untersuchung, die ergab, dass verschiedene
Risikofaktoren der Lebensmitte mit Demenz in Zusammenhang standen. Die
Forscher hoffen, dass Hausärzte dieses System zur Ermittlung von
Patienten mit einem höheren Risiko einsetzen können. In der Folge
könnten Änderungen des Lebensstils angeregt werden, die ihrerseits das
Demenzrisiko senken würden.

Das Team arbeitete mit Daten der Cardiovascular Risk Factors, Ageing
and Dementia Study. Diese Untersuchung bewertete 1.409 Finnen mittleren
Alters. Nach zwanzig Jahren wurden die Teilnehmer in Hinblick auf
Anzeichen für Demenz, Alzheimer und vaskuläre Demenz erneut untersucht.
Die Wissenschaftler entdeckten, dass gemeinsam mit den bekannten
Risikofaktoren von Alter und einem geringen Bildungsgrad, hoher
Blutdruck, ein hoher Cholesterinwert und Fettleibigkeit das Risiko
einer Demenzerkrankung ebenfalls erhöhten. Basierend auf diesen
Ergebnissen entwickelten die Forscher ein System zur Vorhersage der
Wahrscheinlichkeit, ob ein Mensch mittleren Alters in seinem späteren
Leben an einer Demenz erkranken wird.

Die leitende Wissenschaftlerin Miia Kivipelto erklärte, dass der
Grundgedanke darin bestehe, ein einfaches Instrument für die Vorhersage
des Krankheitsrisikos zu haben, ähnlich wie es sich für kardiovaskuläre
Erkrankungen oder Diabetes bereits gibt. "Für Demenz hat es bisher
nichts Vergleichbares gegeben. Die Idee ist neu, diese Informationen
zusammenzustellen und so eine allgemeine Einschätzung des Demenzrisikos
zu erreichen." Der prädiktive Test erfordert Informationen über Alter,
Dauer der Ausbildung, Geschlecht, BMI, Höhe des Blutdrucks,
Cholesterinwerte, Ausmaß der körperlichen Aktivität und genetische
Faktoren und versieht jeden dieser Werte entsprechend ihrer Verbindung
mit einer Demenzerkrankung mit Risikopunkten. Durch die Kombination
dieser Werte ergibt sich für einen Patienten ein allgemeiner Wert, der
die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung angibt.