Mediziner verbringen viel Zeit am Schreibtisch

fzm, Stuttgart, August 2016 – Bis zu drei Stunden täglich
verbringen Klinikärztinnen und -ärzte am Schreibtisch statt am
Krankenbett: Aufnahme- und Entlassgespräche müssen dokumentiert, der
Behandlungsverlauf in der Patientenakte notiert, Berichte verfasst und
Kassenanfragen beantwortet werden. „Eine sorgfältige Dokumentation ist
wichtig für die Qualitätssicherung und Quelle zuverlässiger
Informationen", erklären Professor Matthias W. Beckmann und Professor
Michael P. Lux von der Frauenklinik des Universitätsklinikums Erlangen.
Dennoch müsse nach Wegen gesucht werden, um den enormen
Dokumentationsaufwand für die Ärztinnen und Ärzte zu begrenzen. In der
Fachzeitschrift "Das Gesundheitswesen" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
2016) belegen die Experten den enormen Dokumentationsaufwand am Beispiel
der Brustkrebsbehandlung und entwickeln Vorschläge zur Optimierung.

Für Klinikdirektor Professor Beckmann, den leitenden Oberarzt
Professor Lux und deren Mitautoren aus zahlreichen anderen Kliniken
besteht eine große Diskrepanz zwischen dem Dokumentationsaufwand,
welcher der medizinischen Qualitätssicherung dient, und den derzeitigen
sehr viel umfangreicheren Dokumentationsanforderungen. Am Beispiel der
Versorgung von Brustkrebspatientinnen haben sie daher im Rahmen einer
multizentrischen Studie untersucht, wie viel Zeit und finanzielle
Ressourcen die Patientendokumentation tatsächlich bindet. Gefördert
wurde die Arbeit durch das Bundesministerium für Gesundheit.

„Von der Anamnese bis zum Ende der Nachsorge fallen für jede
Patientin durchschnittlich 23 Stunden für die Dokumentation an“, fassen
die Erlanger Mediziner ein Kernergebnis der Studie zusammen. Dabei
schwankt der zeitliche Aufwand zwischen den an der Studie teilnehmenden
Zentren erheblich und liegt zwischen 11,5 und 32,5 Stunden pro
Patientin. Entsprechend liegen auch die Dokumentationskosten sehr
uneinheitlich zwischen 353 Euro am unteren und über 1000 Euro am oberen
Ende der Skala. Dabei kam das einzige nicht-zertifizierte Brustzentrum
unter den sieben teilnehmenden Einrichtungen auf die niedrigsten Werte,
die Universitäten auf die höchsten.

„Insgesamt liegen in den universitären Häusern die
Dokumentationskosten deutlich über denen in nicht-universitären
Häusern", konstatieren Beckmann und Lux. Dazu könne neben der
Infrastruktur unter anderem die aufwendige Teilnahme an medizinischen
Studien beigetragen haben. Eine Ausnahme bildet die Universität
Tübingen, die mit 547 Euro pro Patientin recht niedrige Kosten für die
Dokumentation ausweist. Hier wirkt sich offenbar die Einführung einer
elektronischen Akte positiv aus, die eigens an der dortigen Frauenklinik
entwickelt wurde. Derartige elektronische Lösungen könnten dabei
helfen, unnötige Mehrfachdokumentationen zu vermeiden, so die Autoren
der Studie.

Ein einheitliches, interdisziplinär nutzbares
Dokumentationssystem, auf das alle an der Patientenversorgung
mitwirkenden Berufsgruppen – auch im ambulanten Sektor – Zugriff haben,
könnte die Dokumentationsabläufe erheblich straffen. Sogar der Zahnarzt
oder der Physiotherapeut könnte den Gesundheitszustand der Patientinnen
mitdokumentieren. Einsparpotenzial sehen die Mediziner auch bei den
Vorgaben zur onkologischen Qualitätssicherung – hier gebe es zu viele,
teils nicht relevante Parameter, die erfasst werden müssten. „Es müssen
wenige, dafür jedoch wirklich relevante Variablen für die
Qualitätssicherung festgelegt werden“, fordern sie.

Weitere Ansatzpunkte für Einsparungen ergeben sich für die
Autoren daraus, dass weit mehr als die Hälfte der Dokumentationskosten
auf die Ärztinnen und Ärzte entfällt. Hier würde es entlastend wirken,
nicht-ärztliche Berufsgruppen zu stärken und zum Beispiel die Ausbildung
von medizinischen Dokumentationsassistenten auf dem Gebiet der
Tumordokumentation zu fördern. Nicht zuletzt fordern die Autoren eine
adäquate Vergütung der zertifizierten Zentren – die Arbeit zeigt
Mehraufwand, der im Rahmen einer Zertifizierung anfällt, deutlich.


M. W. Beckmann et al.:
Dokumentationsaufwand und verbundene Ressourcen bei Patientinnen
mit einem primären Mammakarzinom – von der Primärdiagnose bis zum
Abschluss der Nachsorge – Ergebnisse der multizentrischen Erhebung
Das Gesundheitswesen 2016; 78 (7); S. 438–445