(DVG) – I. Mathematik und Naturwissenschaften leisten essenzielle Beiträge zur Überwindung der aktuellen Krise Die aktuelle Corona Pandemie zeigt in eindrucksvoller Weise, wie wichtig die Naturwissenschaften in ihrer ganzen Breite für die Bewältigung von Krisen sind. Ob es um technische Infrastrukturen wie Intensivbetten oder Beatmungsgeräte geht, um die Voraussage künftiger bzw. die Visualisierung aktueller Fallzahlen, die Entwicklung neuer Nachweissysteme auf Sars 2 bzw. von Antikörpern gegen das Virus, oder um dieHerstellung der benötigten Schutz und Desinfektionsmittel in allen Fällen ist naturwissenschaftlicher Sachverstand gefragt. Die mathematisch naturwissenschaftlichen Fachgesellschaften betonen daher die Dringlichkeit, das vorhandene und stetig wachsende Wissen der Naturwissenschaften und der Medizin zur sachlichen Vorbereitung von politischen Entscheidungen intensiv zu nutzen.
Mathematiker und Naturwissenschaftler sind sich bewusst, dass ihre Erkenntnisse nie
endgültig sein können. Wichtige Entscheidungen müssen aber häufig trotz bleibender
Unsicherheiten getroffen werden. Die Fachgesellschaften sehen es als ihre Aufgabe an,
sowohl Entscheidungsträger als auch die Öffentlichkeit bestmöglich über die Hintergründe und Konsequenzen ihrer Empfehlungen aufzuklä ren, die darüber hinaus mit ethischen und sozialen Kriterien abgewogen werden müssen.
II. Mathematisch naturwissenschaftliches Basiswissen ist wichtiger denn je
Gerade in der Berichterstattung zur aktuellen COVID Pandemie zeigt sich, dass ein
gesellschaftlich breites Verständnis mathematischer und naturwissenschaftlicher
Zusammenhänge wichtig ist, um komplexe Informationen über Fallzahlen und deren
Entwicklung oder die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zu verstehen und nicht auf
Panikmache oder „Fake News“ hereinzufallen. Generische Fähigkeiten wie das Denken in
Systemen, der Umgang mit Daten und Wahrscheinlichkeiten, die Fähigkeit, Probleme
analytisch zu lösen, aber auch das Wissen um die Vorläufigkeit wissenschaftlicher
Erkenntnisse und Evidenzen oder der Einbezug ethischer Bewertungen zeichnen die
Naturwissenschaften aus. Die Fachgesellschaften leisten ihren Beitrag zu einer seriösen
Vermittlung von Erkenntnissen aus ihren jeweiligen Fachgebieten.
Maßnahmen zur Eindämmung der COVID Pandemie erfordern ein möglichst umfassendes Verständnis des Erregers und seiner krankmachenden Wirkungen. Das derzeitige Wissen über Coronaviren, Diagnosemöglichkeiten und Therapieansätze wäre ohne moderne molekularbiologische Methoden einerseits und eine langfristig ausgerichtete,
erkenntnisgeleitete Grundlagenforschung andererseits nicht denkbar. Mit Hilfe mathematischer Simulationen werden mögliche künftige Szenarien und ihre Wahrscheinlichkeit errechnet. Außerdem hilft Mathematik dabei, Reproduktionszahlen zu berechnen sowie aktuelle Entwicklungen grafisch übersichtlich und verständlich darzustellen. Die Entwicklung und Untersuchung von Wirkstoffen für neue Medikamente oder Impfstoffe ebenso wie die Entwicklung von Testsystemen auf bestimmte Viren oder Bakterien sind Aufgaben, in denen Expertinnen und Experten aus Chemie, Biologie, Pharmazie, Medizin und Informatik fachübergreifend kooperieren. Die Modellierung möglicher Wirkstoffe am Computer bringt die Suche nach passfähigen Medikamenten gegen dieses Coronavirus entscheidend voran. Mittels hochmoderner Methoden können viele Tausend Substanzen in kurzer Zeit identifiziert und auf ihre mögliche Eignung als Medikament untersucht werden
III. Grundlagen für mathematisch naturwissenschaftliches Verständnis werden in der
Schule gelegt Grundlage für ein starkes Wissenschaftssystem mit gut ausgebildeten Medizinern, Ingenieuren, Mathematikern und Naturwissenschaftlern ist der mathematisch naturwissenschaftliche Schulunterricht. Neben der reinen Wissensvermittlung fördert er das logische Denken, den Umgang mit Daten und das Verständnis für komplexe Zusammenhänge. Eine gute mathematisch naturwissenschaftliche Schulbildung ist die unabdingbare Basis dafür, dass Deutschland auch in Zukunft über hervorragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Medizin, Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften verfügt, um die großen Herausforderungen im Gesundheitswesen, in der Medizintechnik, der sicheren Versorgung mit Ressourcen und erneuerbarer Energie, dem Klimawandel, der Ernährung oder der Landwirtschaft zu meistern. Auf die aktuelle Situation bezogen, bildet Fachwissen die Grundlage, die für das Verständnis der COVID 19 Pandemie und damit auch für die nachhaltige Akzeptanz von Hygiene und Schutzmaßnahmen wesentlich
ist Die Fachgesellschaften plädieren daher dafür, die Naturwissenschaften als Kernfächer durchgängig zu unterrichten. Bei der Weiterentwicklung der Lehrpläne muss der grundlegenden Bedeutung des mathematisch naturwissenschaftlichen Unterrichtes zukünftig verstärkt Rechnung getragen werden. Die Vernetzung der mathematisch naturwissenschaftlichen Fächer untereinander und die Bewertung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Bezug auf die Vorläufigkeit und Evidenz sollte ebenfalls Beachtung finden
IV. Fundierte Wissenschaftskommunikation ist die Basis für ein breites öffentliches Verständnis wissenschaftlicher Zusammenhänge
Die COVID 19 Pandemie hat auch deutlich gemacht, dass Wissenschaftskommunikation
essenziell ist, um die Bevölkerung allgemeinverständlich über die Fakten und deren
Bedeutung zu informieren. Dazu gehört auch, Laien ein besseres Verständnis der
komplexen Zusammenhänge zu vermitteln: von medizinischen und biochemischen
Grundlagen über die Interpretation grafischer Darstellungen bis hin zu Informationen
darüber, was z.B. eine Studie aussagt und was nicht. Das kürzlich veröffentlichte
„Wissenschaftsbarometer Corona Spezial“, herausgegeben von Wissenschaft im Dialog,
zeigt, dass die Mehrheit der Befragten diese Informationen zu schätzen weiß. Die
mathematisch naturwissenschaftlichen Fachgesellschaften empfehlen in diesem
Zusammenhang, die Wissenschaftskommunikation zu stärken und ihre Rolle in der
Ausbildung und im Wissenschaftsbetrieb aufzuwerten. Diese Überlegungen sind vor kurzem auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der größten Förderin der Wissenschaften in Deutschland, positiv aufgenommen worden.
V. Die COVID 19 Pandemie wird langfristige Folgen haben
Die COVID 19 Pandemie hat tiefgreifende Konsequenzen für die Krankenversorgung, die
wirtschaftliche Entwicklung und das gesellschaftliche Miteinander, die sich zum
gegenwärtigen Zeitpunkt nicht einmal ansatzweise einschätzen lassen. Schon jetzt zeichnetsich aber ab, dass die COVID 19 Pandemie auch die Arbeitsweise der Wissenschaften verändern wird.
• Hochschulausbildung
Das Studium der Naturwissenschaften ist stark experimentell ausgerichtet. Die gegenwärtigen Abstandsregelungen führen allerdings dazu, dass Laborpraktika nur
noch in reduzierter Form durchgeführt werden können. Dadurch wird die praktische Ausbildung vor allem in den Naturwissenschaften leiden. Die durch die Pandemie
bedingten Einschränkungen generieren besonders hier einen wesentlich höheren
(Organisations) Aufwand, setzen aber auch kreative Potenziale bei der Neugestaltung von Lehrveranstaltungen frei.
• Wissenschaftliche Tagungen
Offen ist, wie sich der Austausch der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
untereinander ändert, wenn Tagungen zunehmend, wenn auch nicht ausschließlich, virtuell durchgeführt werden.
• Wissenschaftliche Publikationen
Die Bedeutung digitaler Publikationen wird sich von einem bereits hohen Niveau
ausgehend nochmals erhöhen, zumal einige Publikationen, die bisher noch als
Printausgaben erschienen sind, derzeit nur noch online verfügbar sind. Auch
Preprintserver werden vermehrt genutzt werden, was den wissenschaftlichen
Austausch bei der Erforschung des COVID 19 Erregers bereits jetzt erheblich
beschleunigt hat. Freier und schneller Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen
für alle (Open Access) ist wichtiger denn je. Neue Mechanismen zur Qualitätskontrolle müssen auch hier hohe Standards gewährleisten.
• Internationale Zusammenarbeit
Die COVID 19 Pandemie hat gezeigt, dass internationale Wissenschaftskooperation in einer globalen, pluralen Welt essenziell ist. Darauf haben die mathematisch naturwissenschaftliche Fachgesellschaften im Rahmen ihrer Aktion „Wissenschaft verbindet“ bereits 2018 hingewiesen.