Corona-Krise mit Hilfe von Mathematik und Naturwissenschaften verstehen und bekämpfen – Mit einer Bemerkung von Jean Pütz

Auf einen Aspekt, der im Artikel angesprochen wird, möchte ich hinweisen:
Die naturwissenschaftliche Bildung in Deutschland kommt einer Katastrophe nah. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass sogar Abiturienten nicht in der Lage sind, die einfachsten physikalischen Zusammenhänge zu erkennen und vor allen Dingen zu begreifen. Das liegt daran, dass nicht nur das Fach Physik schon frühzeitig in Gymnasien und Gesamtschulen abgewählt werden kann. Verhängnisvoll, denn die mangelnde Verinnerlichung des Prinzips von Ursache und Wirkung, auf das die Physik in ihren Grundfesten aufbaut, ist auch für das gesamte Leben unentbehrlich. Besonders im heutigen postfaktischem Zeitalter werden Fakenews und Verschwörungstheorien Tür und Tor geöffnet. Das erzeugt irrationale Ängste, die sich tief in die Gefühlswelt der Bürger eingraben, so dass politische Entscheidungen oft nicht mehr durch Vernunft, sondern nur noch durch Emotionalität bewertet werden. Leider muss ich es sagen, als gelernter Soziologe und ehemaliger Oberstudienrat für Physik empfehle ich über Folgendes nachzudenken.
Ich unterteile die Bürger grob in zwei Kategorien, in die rational gesteuerten Analysten – sie sind für die weitgehend technische und wissenschaftliche Kreativität verantwortlich – und in die sogenannten Emotionalisten, die hauptsächlich bauchgesteuert und selten durch Vernunft und Logik ansprechbar sind. Natürlich gibt es da fließende Übergänge. Für eine Demokratie, in der jede Stimme zählt, wirkt das Schwergewicht der Emotionalisten auf lange Sicht zerstörerisch.
Ich wage sogar eine Quotierung: Ich schätze, dass die Emotionalisten etwa 85% der Bevölkerung ausmachen, während die Analysten, die unsere Wirtschaft in Betrieb halten, nur noch einen Anteil von 15% darstellen. Es ist erstaunlich, dass durch Corona wenigstens kurzfristig – teilweise Angst getrieben – viele Menschen plötzlich der Wissenschaft vertraut haben. Nur so sind die enormen Erfolge durch die vielen Einschränkungen erklärbar, zumindest, wenn man das mit fast allen industriellen Ländern vergleicht. Dass sogar China, die USA, Türkei, Brasilien mehr den regressiven Einsichten der Autokraten ausgesetzt sind, während Deutschland bei dieser Pandemie eine Art Insel der Seligen geworden ist, hätte ich nie gedacht – großen Respekt!
Aber was geschieht, wenn jetzt die Aussetzung der Maßnahmen nach und nach von der Politik ermöglicht wird, ist eine andere Frage. Ob die Vernunft da obsiegt, ist lange noch nicht gesagt. Dass eine solche Seuche strengen naturwissenschaftlichen, soziologischen und mathematischen Gesetzen unterworfen ist, scheint aber auch bestimmten Ideologen – ob von rechter AFD, planwirtschaftlich orientierten ‚Linken‘ oder grünen-Ideologen – nicht bewusst zu sein. Sie nutzen diese Zeit garantiert populistisch aus, um ihre träumerischen oder totalitären Interessen in den Vordergrund zu stellen. Wer dann in Krisenzeiten die Oberhand behält, steht in den Sternen.
Das alles, weil unsere Jugend in der Schule nicht auf solche Problemzeiten vorbereitet wurde, und schwierige Fächer aus einem niederen Grund mit der Begründung ’sie wären zu kompliziert und man würde sich damit die Prüfungsnoten versauen‘ abgewählt werden können.
In diesem Sinne sehe ich den folgenden Aufruf der deutschen-naturwissenschaftlich-technischen Intelligenz:
Ihr Jean Pütz

(DPG) – Die COVID-19-Pandemie kann ohne mathematisch-naturwissenschaftlichen Sachverstand nicht überwunden werden. Dies betonen fünf große mathematisch-naturwissenschaftliche Fachgesellschaften in Deutschland in einem Positionspapier. Die Fachgesellschaften vertreten die Fächer Biologie, Chemie, Physik, Mathematik und Geowissenschaften.

Die fünf Gesellschaften weisen auf die Beiträge hin, die von den Naturwissenschaften gerade in der aktuellen Krise geleistet werden. Ob es um technische Einrichtungen wie Intensivbetten oder Beatmungsgeräte geht, um die Voraussage künftiger Fallzahlen, für die mathematische, medizinische und epidemiologische Kenntnisse gleichermaßen wichtig sind, um die Erforschung des Virus, die Entwicklung neuer Tests auf COVID-19 bzw. auf Antikörper gegen das Virus oder um die Herstellung der benötigten Schutz- und Desinfektionsmittel – überall ist naturwissenschaftlicher Sachverstand gefragt. Das gilt insbesondere für die medizinische Versorgung sowie für die Entwicklung eines Impfstoffes oder wirksamer Medikamente, an denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in aller Welt derzeit mit Hochdruck arbeiten.

Der Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo), die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV), die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG), die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) sowie der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) vertreten insgesamt mehr als 130.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. „Auch wenn die Politik letztlich die Entscheidungen fällen muss, kann die Pandemie nicht ohne Forschung und Expertise von Mathematikern, Medizinern und Naturwissenschaftlern überwunden werden“, sagt DMV-Präsident Professor Friedrich Götze. „Die in den letzten Jahren zusammengetragenen Erkenntnisse zu Corona-Viren bilden die Basis für konkrete und zeitnahe Maßnahmen. Die COVID-19-Pandemie ist damit ein eindrückliches Beispiel für die essenzielle Bedeutung der Grundlagenforschung, deren Anwendungsrelevanz weder zeitlich noch inhaltlich vorhersagbar ist“, ergänzt Professorin Felicitas Pfeifer, Vizepräsidentin des VBIO.

Die Berichterstattung zur aktuellen COVID-19-Pandemie zeigt überdeutlich, dass das Verständnis von mathematischen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen unabdingbar ist, um komplexe Informationen über Fallzahlen, Reproduktionsziffern oder die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zu verstehen und nicht auf Panikmache oder „Fake News“ hereinzufallen. Die Fachgesellschaften fordern daher, dass in den Schulen Fächern wie Mathematik und Naturwissenschaften höchste Aufmerksamkeit geschenkt wird. „Wir brauchen mehr Naturwissenschaften in den Schulen und zwar in allen Altersstufen. Mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Unterricht fördern wir das logische Denken und das Verständnis für komplexe Zusammenhänge,“ betont Dr. Lutz Schröter, Präsident der DPG. Und Professor Peter R. Schreiner, Präsident der GDCh, ergänzt: „Und wir sorgen dafür, dass Deutschland auch in Zukunft über hervorragende Problemlöserinnen und Problemlöser aus Medizin, Mathematik und Naturwissenschaften verfügt, um künftige Herausforderungen zu meistern.“

Schließlich betonen die Fachgesellschaften auch die Bedeutung der Wissenschaftskommunikation. „Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, umfassend informiert zu werden, und zwar so, dass sie es versteht“, sagt DVGeo-Präsident Prof. Dr. Jan Behrmann. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fachgesellschaften empfehlen in diesem Zusammenhang, die Wissenschaftskommunikation und den Wissenschaftsjournalismus insgesamt zu stärken und ihre Rolle im Wissenschaftsbetrieb aufzuwerten.

Die Fachgesellschaften erwarten, dass die COVID-19-Pandemie auch langfristig Folgen haben wird. Dies betrifft sowohl die Krankenversorgung, die wirtschaftliche Entwicklung und das gesellschaftliche Miteinander, als auch die Art, wie Wissenschaft und Forschung künftig organisiert werden. Die Hochschulausbildung, der wissenschaftliche Austausch auf Tagungen und Konferenzen, Forschungskooperationen und das Publikationswesen werden sich ändern und darauf müssen sich Lehrende und Forschende an den Hochschulen ebenso einstellen wie Veranstalter von Tagungen sowie Verlage.

Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fachgesellschaften anerkennen die wichtige Rolle der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften beim Verständnis der Folgen der Pandemie sowie ethischer Kriterien, um mit den Folgen umzugehen. Sie betonen die große Bedeutung der Mathematik, der Medizin und der Naturwissenschaften für das Verständnis des Virus und seiner Ausbreitung.

Die unterzeichnenden Fachgesellschaften bieten der Politik und Gesellschaft ihre Fachkenntnis und ihre Unterstützung an, um geeignete Strategien zur Bewältigung der Coronakrise zu entwickeln und zu helfen, wichtige Entscheidungen – auch bei unvollständiger Erkenntnis – vorzubereiten.