Pessimistische Prognose der Nach-Corona-Zeit – aber Nachdenkenswert

Die Hoffnung stirbt zuletzt, vielleicht bringt die Vernunft ein helles Licht am Ende des Tunnels

Jean Pütz

(Morning Briefing) – Die Corona-Erkrankung des Gesundheitsministers, eines Mannes von Tatkraft und Besonnenheit, der in dieser Pandemie seine Rolle gefunden hat, macht betroffen. Sie zeigt, dass es jeden erwischen kann. Auch den Umsichtigen, den gut Informierten, den jungen Mann ohne Vorerkrankung, der von Ärzten gut beschützt wird. Ich wünsche Jens Spahn einen milden Krankheitsverlauf und danach gute Besserung.

Wir sollten seine Erkrankung nicht als neuen Höhepunkt eines medialen Spektakels begreifen, sondern als Zäsur, als Einschnitt in unsere bisherige Denk- und Debattenroutine. Diese Pandemie löst ein ökonomisches und soziales Beben aus, von dem wir erst die Vorläufer erleben. Eine Destabilisierung der bisherigen Weltordnung deutet sich an, die durch kein Kurzarbeitergeld verhindert werden kann. Fünf Dinge werden nie mehr sein wie zuvor:

1. Die bisherige Welt beruhte unausgesprochen auf dem Trickle-Down-Effekt, also auf der Annahme, dass wenn es dem oberen Drittel gut geht, auch das untere Drittel profitiert. Dies erweist sich in der Krise als Illusion. Die ökonomischen Eliten – der Staatsdienst, die Kernbelegschaften der Traditionsunternehmen und die von der Börse finanzierten Technologie-Start-Ups – haben sich vom prekären Teil der Arbeitswelt entkoppelt, da wo Tagelöhner, Leiharbeiter und Soloselbstständige sich nun im Überlebenskampf befinden.

2. Was in Amerika die Arbeitslosigkeit, ist in der Dritten Welt der Hunger. Soziale Unruhen, härter werdende Verteilungskämpfe und ein Anwachsen der Migrationsströme dürften mit Zeitverzögerung die Welt von morgen erschüttern. Bis der Impfstoff entwickelt und global verteilt ist, wird das Virus in immer neuen Wellen angreifen.

3. Die europäischen Sozialstaaten versuchen derzeit den Nachfrageausfall durch Billionen-Schulden zu kompensieren, was die Gegenwartsgesellschaft narkotisiert, aber das künftige Leben schwer belasten wird. Die Staatsverschuldung der Industriestaaten übersteigt signifikant heute schon das Niveau nach der Weltfinanzkrise und erreicht in Kürze den Stand der Weltkriegsjahre.

Damals konnte die Schuldenlast durch ein exponentielles Wirtschaftswachstum und insbesondere durch den Aufstieg der USA zur Weltwirtschaftsmacht zurückverdient werden. Die heutige Pandemie aber trifft – zumindest im Westen – auf reife Volkswirtschaften, die Jahre brauchen werden, um überhaupt das Vor-Corona-Niveau wieder zu erreichen.

4. Corona wirkt auf weite Teile der traditionellen Industrie wie eine Sterbehilfe. Der Retterstaat stützt und beteiligt sich in der Hoffnung, das Sterben zu verlangsamen. Doch die digitale Wertschöpfung ersetzt in beschleunigtem Tempo große Teile der Traditionswirtschaft, was im kometenhaften Aufstieg der Technologiebörsen seinen Ausdruck findet. Der von Yuval Noah Harari prognostizierte Einsatz der Mensch-Maschine, die besser und präziser operieren, rechnen und fliegen kann als der Chefarzt, der Controller und der Lufthansa-Pilot, wird dadurch beschleunigt. Homo Deus steht ante Portas – mit allem, was das für Millionen von gut bezahlten Jobs im Mittelbau unserer Gesellschaft bedeutet. Corona hat diese Entwicklung nicht ausgelöst, wohl aber beschleunigt.

5. Was als medizinisches Infektionsgeschehen begann und sich nun in den weitverzweigten Leitungssystemen der Globalwirtschaft fortsetzt, dürfte auch die politische Landschaft verändern. „Seuchen sind die sozialsten aller Krankheiten“, sagt Prof. Malte Thießen. Kosten-Nutzen Relationen, der Freiheitsbegriff, die Rolle des Staates und das Verhältnis gegenüber dem Anderen werden – sagt er – bei jeder globalen Seuche neu verhandelt. Es kommt, wir erleben das bei dieser Neu-Verhandlung zur gesellschaftlichen Kontroverse und womöglich zur Spaltung.

Fazit: Mit der Fortdauer der Pandemie verlängern sich die Schmerzen und vertiefen sich die Gegensätze. Die Welt von morgen wird eine andere sein.