Gebrochene Versprechen: Das Plastikzeitalter

(Pioneer Breifing) – Im Universum der gebrochenen Politikerversprechen hätte das Thema „Kampf dem Plastikmüll“ eine eigene Hölle verdient. In ihr würden viele schmoren, die Rang und Namen haben.

„In Zukunft muss alles Plastik auf dem Markt vollständig recycelbar sein“, sagte der französische Präsident Macron in seiner Videobotschaft am Montag bei der UN-Konferenz in Paris.

„Der Verzicht wird leicht fallen und unsere Umwelt sehr entlasten“, behauptete die Altkanzlerin Merkel bereits anlässlich des Weltumwelttags 2021.

„Nicht Wegwerfplastik, sondern Mehrweg“ sei der neue Standard – frohlockt die amtierende Umweltministerin Steffi Lemke.

Die Wahrheit sieht brutal anders aus. Der neue Standard ist der alte. Der Verzicht fällt nicht leicht, weshalb ihn auch niemand probiert. Plastik wird nicht verboten, sondern in rauen Mengen produziert. Das Plastikzeitalter, sagt Jacqueline Goebel, die Autorin des vergangene Woche veröffentlichten Buches „Die Plastiksucht“, hat eben erst begonnen.

In dieser Woche haben die Vereinten Nationen zu einer großen Plastik-Konferenz nach Paris geladen. Die Faktenlage – an der es nichts zu deuteln gibt – ist erdrückend:

Im vergangenen Jahrhundert sind rund fünf Milliarden Tonnen Plastik in der Umwelt und auf Deponien gelandet. Jedes Jahr kommen inzwischen fast 400 Millionen Tonnen hinzu.

Vor allem der asiatische Raum treibt die Produktion an; Europa stagniert auf hohem Niveau. Wird diese Entwicklung beibehalten, gehen Experten von einer Verdreifachung des Plastikverbrauchs im Jahr 2060 aus.

31 Prozent des weltweit hergestellten Plastiks werden als Verpackung genutzt. Das bedeutet: Fast ein Drittel des Kunststoffs landet schon nach wenigen Tagen – oft nach Minuten – als Müll in der Tonne, im Wasser oder am Straßenrand.

Auf den Weltmeeren verschlechtert sich die Situation unter den Augen einer entsetzten Weltöffentlichkeit. Kunststoffe machen mittlerweile rund 85 Prozent des gesamten Meeresmülls aus. Mehr als 100 Millionen Tonnen Plastik befinden sich schwimmender Weise in den Ozeanen und jedes Jahr kommen rund 10 Millionen Tonnen Plastik dazu. Robben, Seevögel und Fische leiden und verenden oft jämmerlich.

Auch dem Weltklima ist dieses Plastikzeitalter nicht bekömmlich. Insgesamt verursacht der Plastik-Lebenszyklus weltweit 1,8 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalente – rund 2,5-mal so viel, wie Deutschland im vergangenen Jahr ausgestoßen hat.

Doch der wirklich erschreckende Faktor liegt nicht in den Kunststoffen selbst, sondern in der Erkenntnis, dass die Politik ihr Primat an die Wirtschaft verloren hat. Es gelingt ihr – trotz aller guten Vorsätze – nicht, die Standards zu setzen und das Versprechen der lebenswerten Umwelt praktisch erfahrbar zu machen.

Der große Verlierer dieser öffentlich erlebbaren Hilflosigkeit von Politik ist die Demokratie. Nutznießer der Plastikflut sind die Unternehmen:

  • Nach Schätzungen von Marktforschungsunternehmen ist die Plastikproduktion 600 Milliarden US-Dollar wert, bis 2030 könnten es 800 Milliarden Dollar sein.
  • Nur 20 Konzerne produzieren die Hälfte des Plastikmülls der Welt, der US-Ölkonzern ExxonMobil führt die Liste an. Das fossile Imperium schlägtzu
  • Lebensmittelkonzerne wollen auf Plastik als Verpackung nicht verzichten. Es ist in der Anschaffung billig und außerdem leichter als Glas, wodurch auch die Kosten für den Transport sinken. Die Organisation „Break Free From Plastic“ fand bei ihren globalen Aufräumaktionen in über 80 Ländern in den vergangenen fünf Jahren am häufigsten Plastikverpackungen des Herstellers Coca-Cola. Dicht dahinter folgen Pepsi Cola, Unilever und Nestlé.
  • Hinzu kommt: Laut EU finden 15 bis 30 Prozent der Müll-Exporte illegal statt. Diese kriminellen Netzwerke würden geschätzt einen Jahresgewinn von 9,5 Milliarden Euro einfahren.
    • Seit Mitte 2021 ist Einwegplastik – zum Beispiel Strohhalme oder Geschirr – in der EU verboten. Seit 2022 gibt es in Deutschland auch keine kostenlosen Plastiktüten mehr. Prof. David Laner, Leiter des Fachgebiets Ressourcenmanagement und Abfalltechnik an der Universität Kassel, erklärt, nur etwa 1,6 Prozent des Plastikabfalls in privaten Haushalten würden durch das Verbot gespart. Weiter:

    Es ist nicht so, dass die Politik das Thema nicht oft schon adressiert hat. Aber keine der Verordnungen scheint zu wirken:

    Fazit: Noch bis Freitag tagt die Plastik-Konferenz der Vereinten Nationen in Paris. Die Hoffnungen auf ein weltweites Plastikgesetz mit durchschlagender Wirkung sind gering. Die Staats- und Regierungschefs glauben, der Hölle der falschen Versprechungen dadurch zu entkommen, dass sie auf der Konferenz gar nicht erst auftreten. Selbst Emmanuel Macron, obwohl der Élysée-Palast nur drei Kilometer Fahrtweg vom Tagungsort entfernt liegt, schickte lediglich eine Videobotschaft.