Folgt dem Russland-Ukraine-Krieg eine ebenso zerstörende Auseinandersetzung in der Sahelzone?

Unabhängig von den politischen terroristischen Auseinandersetzungen sollte nicht vergessen werden, dass dieses von der Sonne verwöhnte riesige Gebiet auf unserem Globus Chancen hat, die die ganze Welt mit regenerativer Energie versorgen könnten. Dem steht entgegen, dass der dort herrschende Terrorismus und Stellvertreter-Krieg zwischen autoritären Staaten und westlichen demokratischen Ländern nur deshalb eine solche  katastrophale Entwicklung ermöglicht, weil die dort lebenden Bürger extremer Armut ausgesetzt sind. Wer morgens nicht weiß, wie er seine Kinder ernähren soll, ist natürlich sämtlichen terroristischen und verschwörungstheoretischen Einflüssen hilflos ausgesetzt. Für sie – insbesondere jungen Menschen – ist der ‚heilversprechende‘ Terrorismus eine Alternative. Dabei könnten diese Länder über die Fotovoltaik mit anschließender Wasserstoff- und daraus entstehender regenerativer Methanol-Produktion zum dezentralen Energie-Lieferanten der Welt werden. Diese grüne Methanol kann alle fossilen Energieträger ersetzen, ohne aufwendige und kostenträchtige Eingriffe in die Infrastruktur. Dafür braucht es nur eine geschickte Friedenspolitik, wie sie im Beitrag beschrieben ist. Dieses Win-Win-Verhältnis auf Augenhöhe mit Industrie- und Entwicklungsländern ist allein deshalb so erfolgreich, weil in der Historie immer dort Arbeitsplätze geschaffen wurden, wo Energiequellen entstanden. Ich gebe zu, dass dies der Wunschtraum eines einsamen Rufers in der Wüste ist, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Jean Pütz

(Bosch) – Die Ukraine-Krise oder – wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sie nannte – die Russland-Krise, stand zu Recht im Mittelpunkt der Münchner Sicherheitskonferenz 2022 (MSC). Abseits der Hauptbühne forderten Redner:innen Europa jedoch auf, bei aller Konzentration auf die Ukraine eine andere Krise nicht aus den Augen zu verlieren: „Die Sahelzone ist auch eine europäische Herausforderung“, sagte Hanna Serwaa Tetteh, Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Afrikanische Union, am Rande der Diskussionsveranstaltung „Jenseits von Putschen, Interventionen und Sanktionen – Wie geht es weiter mit Stabilisierung und Peacebuilding in der Sahelzone?“, zu der die Robert Bosch Stiftung im Rahmen der MSC eingeladen hatte. Neben Tetteh diskutierten Comfort Ero, Präsidentin und CEO der International Crisis Group, sowie General Tom Middendorp, Vorsitzender des International Military Council on Climate and Security.

Die politische und humanitäre Lage in der Sahelzone hat sich über die letzten 12 bis 18 Monaten erheblich verschlechtert. Gewalt und Instabilität spitzen sich zu und verursachen ein nie dagewesenes Ausmaß an Ernährungsunsicherheit und Vertreibung in der Region. Wie ein in München vorgestellter Bericht des Sahel and West Africa Club (SWAC) bei der OECD zeigt, sind die Grenzen in der Region besonders stark von Gewalt betroffen. Die Afrikanische Union und die Wirtschaftsgemeinschaft der afrikanischen Staaten (ECOWAS) haben nach den jüngsten Militärputschen die Mitgliedschaft von Burkina Faso und Mali  ausgesetzt. ECOWAS hat Mali mit schweren Sanktionen belegt. Nach der Ankündigung von Präsident Macron am 17. Februar 2022, dass Frankreich sich aus Mali zurückzieht, werden auch andere westliche Staaten ihr Engagement überdenken. Weder Sanktionen noch militärische Interventionen haben bisher dazu geführt, die Sicherheit der Menschen in der Region zu verbessern.

Wenn weder Militäreinsätze noch Sanktionen zum Erfolg führen, was sonst könnte Frieden in der Sahelzone schaffen? Die Diskussion mündete nicht in einem umfassenden Aktionsplan für die Region, doch ein Punkt erschien Podiumsteilnehmenden und Gästen gleichermaßen wichtig: Die Verantwortung für die Entwicklung der Region muss fest in den Händen der Regierenden vor Ort liegen. Die Krise in der Sahelzone sollte in erster Linie als eine Krise der Regierungsführung behandelt werden. Sie kann nicht gelöst werden, wenn sie ausschließlich als Sicherheitsherausforderung betrachtet wird. Diejenigen, die an der Macht sind und ihrer Verantwortung für das Wohlergehen der Bürger:innen nicht gerecht werden, sollten von ihren internationalen Partnern zur Rede gestellt werden. Gleichzeitig sollten internationale Gemeinschaft und regionale Organisationen die Länder der Sahelzone weiter bei den Herausforderungen zur Seite stehen, die die diese nicht allein aus eigener Kraft bewältigen können. Dazu gehören beispielsweise die Anpassung an den Klimawandel, der die Region besonders hart trifft, oder die Entwicklung von Bildungssystemen und Berufschancen, die den Bedürfnissen einer Bevölkerung gerecht werden, die die jüngste der Welt ist. Doch auch die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der organisierten Kriminalität muss eine gemeinsame Aufgabe bleiben. Nicht zuletzt brauchen die Sahel-Staaten Unterstützung bei der Bekämpfung von Desinformationskampagnen, die deutliche Ähnlichkeiten mit denen aufweisen, denen die Ukraine seit Jahren ausgesetzt ist und die wahrscheinlich aus derselben Quelle stammen.

Außerdem sollten die westlichen Partner der Sahel-Länder eine ehrliche Bilanz der Erfolge und Misserfolge ihrer bisherigen Interventionen ziehen, bevor – um erneut aus der Debatte zu zitieren – „der internationale Zirkus von Mali, wo die Europäer gescheitert sind, nach Niger weiterzieht, um dort erneut in ähnlicher Weise zu scheitern.“ Sie sollten sich die Zeit nehmen, den lokalen Friedensakteur:innen zuzuhören, die jeden Tag ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Sicherheit und die Lebensgrundlagen der vom Konflikt betroffenen Gemeinschaften zu verbessern. Ihre Erfahrung und ihr Wissen werden allzu oft nicht ernst genommen und ihre Arbeit wird dadurch erschwert, dass in die Region entsandte Fachleute aus dem Ausland ihre Beiträge als unbedeutend abtun. Es ist entscheidend für jeglichen Fortschritt auf dem Weg zum Frieden in der Sahelzone diejenigen in seine Gestaltung einzubeziehen, die am stärksten von Unsicherheit und Gewalt betroffen sind.

Ihren Stimmen Gehör zu verschaffen und sie bei ihrer Arbeit vor Ort zu unterstützen, sind Schlüsselelemente der Strategie der Robert Bosch Stiftung für eine lokal geführte Friedensförderung. Es ist sehr bedauerlich, dass die diesjährigen Reise- und Anwesenheitsbeschränkungen verhindert haben, dass Vertreter:innen der Sahelländer an den Debatten über ihre Länder auf der MSC 2022 teilnehmen. Wir sollten dafür sorgen, dass sie es beim nächsten Mal auf die Hauptbühne schaffen.