Wolfgang Reitzles Zumutung: Eine Republik sägt an ihrem automobilen Ast
(Welt) – 200.000 der heutigen 800.000 Jobs werden in den kommenden 18 Monaten in Deutschland aus der Autoindustrie verschwinden. Die grün-politischen Enthusiasten triumphieren ob dieses Wandels, endlich soll der Verbrenner wirklich sterben. Aber Wolfgang Reitzle, der Aufsichtsratsvorsitzende von Conti, mutet uns zu, den Folgen ins Auge zu blicken, als er in Steingarts Nachrichtenportal „The Pioneer“ sagt: „Man zerstört politisch die Autoindustrie, die ja noch 99 Prozent ihrer Wertschöpfung durch Autos mit Verbrennungsmotor generiert.“ 30.000 Stellen will Conti abbauen, davon 13.000 in Deutschland.
Die Arbeitsrechtler meinen, eine Zumutung sei eine „durch die Zumutbarkeit begrenzte Belastung“. Einfach mal ein paar Takte Weiterdenken ist so eine zumutbare Belastung.
Sicherlich, ein Wandel birgt immer auch Chancen. Für die Mobilitätsrevolution benötigen wir viele neue Unternehmen, vernetzte Software, intelligente Sensoren und all die großartigen, neuen Geschäftsmodelle. Ich bin optimistisch, dass diese auch entstehen werden. Die Bedingungen für das Wachstum dieser Ideen müssen wir jedoch alle gemeinsam noch deutlich verbessern (die Zerstörung von Jobs fällt offenbar leicht, neue Jobs zu schaffen ist schwieriger). Aber das Neue betrifft eben das Übermorgen.Als verantwortliche Entscheider benötigt man zuerst einen klaren Blick auf das Jetzt, wie ihn Reitzle liefert. Wenn die politischen Akteure in ihrer medialen Echokammer den schmelzenden Eisberg unserer – bisher tragenden – industriellen Basis quasi über Nacht verlassen wollen, muss die Industrie reagieren. Genau das macht Conti vor.Natürlich antworten wir auf die vielen Jobverluste erst mal wie konditioniert: mit Protest. Wir finden emotionale Blitzableiter und sind: Anti-Kapitalismus, Anti-Trump, Anti-China, Anti-Kommunismus, Anti-Carbon, Anti-Corona. Oder alles zugleich. Wie in der Adoleszenz bröckelt das aber irgendwann. Spätestens dann, wenn wir die simplen Fragen stellen: Was sonst werden wir morgen machen? Konkreter noch: Wovon wollen wir morgen Früh die vielen Rechnungen bezahlen? Und wer wird am Ende vom Elektromotor profitieren, wenn – wie bei der Energiewende – erst im zweiten Schritt Fragen gestellt werden, die aus politischem Kalkül im ersten Schritt als nicht opportun galten?
Die Autoindustrie, einst Motor unseres Wohlstandes, scheint dem politischen Abschuss freigegeben.
Was ist also zu tun? Meiner Meinung nach müssen wir als Entscheider in der Industrie jetzt klar in die Zumutung gehen. Schluss mit dem lauen Transfer aus dem Süden, dem Osten oder den alten Kassen. Schluss mit der Hoffnung auf eine Lebensverlängerung des Verbrenners. Wenn das System uns zur Härte zwingt, müssen wir dem System die harten Antworten geben, um Reste davon am Leben zu erhalten. Gnadenlose Effizienz ist mehr denn je gefragt. Ich meine: Es muss ein Ruck durch unsere Industrie gehen, wie wir ihn noch nicht erlebt haben. Wir laufen sonst Gefahr, so wie einst die englische Fertigungsindustrie, in einem jahrzehntelangen Siechtum zu verenden.
Wir brauchen eine breit angelegte Effizienz- und Flexibilisierungsrevolution für unsere Industrie. Eine neue Welle von „lean und agil“ (mehr dazu in unserem White Paper). Wir müssen schnell und konsequent Skaleneffekte suchen, Kapazitäten anpassen, Lieferketten optimieren. Industrie 4.0 muss sofort Realität werden!
Die Zumutung für die Führung der Autoindustrie: Den Sturm annehmen und hart am Ruder stehen. Die Zumutung für die Politik: Verantwortung für die aktive Zerstörung übernehmen und eingestehen, dass wer mutwillig am Eisberg rüttelt, sich um Schwimmwesten kümmern sollte.
Wie ist Ihre Meinung dazu? Diskutieren Sie gerne mit – ich freue mich über Feedback und weitere, vertiefende Gedanken.