Die EU-Kommission will mit einem Paket von Verpflichtungen grüne Investments stark fördern. Kritiker warnen vor Eingriff in die Freiheit von Unternehmen.
Die EU schlägt nachhaltige Finanzregeln vor – doch diese stoßen auf Kritik
Die EU-Kommission will mit einem Paket von Verpflichtungen grüne Investments stark fördern. Kritiker warnen vor Eingriff in die Freiheit von Unternehmen.
Presseerklärung der EU-Kommission
EU-Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis (l.) und Mairead McGuinness, EU-Kommissarin für Finanzdienstleistungen, haben ihr Paket für nachhaltige Finanzen in Brüssel präsentiert.
Brüssel An Selbstlob sparte die EU-Kommission für ihren umfangreichen Vorschlag für nachhaltige Finanzregeln nicht. Mit diesem komplizierten Regelwerk – Taxonomie genannt – sollen Unternehmen, Versicherer und Banken zu mehr grünen Investitionen bewegt werden.
„Europa gehört zu den Ersten, die sich auf nachhaltige Finanzierung konzentrieren“, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Valdis Dombrovskis. Die Kommissarin für Finanzdienstleistungen, Finanzstabilität und Kapitalmarktunion, Mairead McGuinness, sprach von „bahnbrechenden Vorschlägen“. Mit der Taxonomie sollen Investoren künftig besser erkennen können, welche Finanzprodukte in der EU dem Klimaschutz tatsächlich nutzen.
Die komplizierten Regeln, die unter der Führung Dombrovskis’ und seiner Kollegin McGuinness entwickelt wurden, sollen in Zukunft sogenanntes Greenwashing ausschließen. „Die neuen Bestimmungen werden eine grundlegende Wende im Finanzwesen herbeiführen“, war sich Kommissarin McGuinness sicher.
Das Paket besteht aus einer „delegierten Verordnung“ zur EU-Klimataxonomie, die Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten fördert. Darüber hinaus ist eine Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen geplant. Die neue Direktive will künftig fast 50.000 Unternehmen in der EU zu detaillierten Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung zwingen. Bisher waren es nur 11.000 Unternehmen.
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Die Kommission schlägt nicht nur die Entwicklung von Standards für Konzerne, sondern künftig auch die Entwicklung „verhältnismäßiger Standards“ für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) vor. Für nicht börsennotierte KMU sind die Standards aber noch freiwillig.
Reaktionen auf Paket kritisch
Außerdem sind noch sechs „delegierte Änderungsrechtsakte“, unter anderem zur Anlage- und Versicherungsberatung, von der Kommission vorgesehen. Sie sollen dafür sorgen, dass beispielsweise Banken und Versicherer die Nachhaltigkeit in ihre Kundenberatung aufnehmen.
Die Reaktionen auf das vorgestellte Taxonomie-Paket fielen in Brüssel am Mittwoch überwiegend kritisch aus. Zu den Plänen der Kommission für ein nachhaltiges Finanzwesen sagte der CSU-Europaabgeordnete und wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion, Markus Ferber: „So, wie die Kommission das Thema angeht, besteht die große Gefahr, dass sich die vielen einzelnen Puzzlestücke am Ende nicht zu einem schlüssigen Gesamtbild fügen und die Regeln für alle Beteiligten nicht mehr anwendbar sind.“
Obwohl der letzte Aktionsplan zur nachhaltigen Finanzierung noch nicht mal abgearbeitet sei, bringe die Kommission schon den nächsten Schwung an Vorschlägen auf den Weg.
Im Europaparlament wird befürchtet, dass mit den Kommissionsvorschlägen zusätzliche Bürokratie auf die Unternehmen zukommt. „Das Versprechen der EU-Kommission, die Taxonomie-Verordnung als eine einfache, anwendungsfreundliche Orientierungshilfe zu gestalten, ist nicht eingelöst worden“, sagte die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer (FDP), dem Handelsblatt in Brüssel.
„Klare Kriterien, fit für die Praxis ohne zusätzliche Bürokratielast für kleine und mittlere Unternehmen, das war der Maßstab, und da bleiben wir leider weit abgeschlagen.“ Denn anders als die Kommission glauben zu machen versuche, seien die Auswirkungen der Taxonomie nicht auf die Anlageseite beschränkt sondern würden über die Finanzierung von Investitionen tief in die Kreditvergabe an Unternehmen eingreifen.
Politische Steuerung von Geschäftsmodellen
Es drohe eine politische Steuerung von Geschäftsmodellen und Lebensentwürfen, warnte die liberale Europapolitikerin eindringlich. Um nicht mit einem Schlag Arbeitsplätze gerade im Mittelstand zu gefährden, müsse sehr kurzfristig dafür gesorgt werden, dass die Berichtspflichten entschlackt werden und diese vor allem nicht schon für 2021 rückwirkend ab dem 1. Januar 2022 vorgeschrieben sind.
Auch der CSU-Europapolitiker Ferber sieht die zunächst noch freiwilligen Reporting-Regeln für mittelständische Unternehmen kritisch: „Was heute freiwillig ist, wird morgen verpflichtend. Diese Hintertür sollten wir definitiv geschlossen lassen“, warnte der einflussreiche Parlamentarier. „Wir müssen aufpassen, dass der Mittelstand nicht über die Lieferkette ohnehin in den Anwendungsbereich gezogen wird.“
Auch die geplante verpflichtende Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen bei der Beratung für Anleger durch Banken stößt auf Ablehnung im EU-Parlament. Nach Meinung von Kritikern dürfen Kunden nicht in Produkte gedrängt werden, die nicht für sie geeignet sind.
Die EU-Kommission verteidigte sich am Mittwoch, dass die Vorschläge zur Taxonomie „lebend“ seien und je nach wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen geändert würden.
Geld soll in Richtung Nachhaltigkeit
In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hatten sich die EU-Institutionen – Parlament, Rat und Kommission – auf das EU-Klimaschutzgesetz endgültig geeinigt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr für den Green Deal zuständiger Stellvertreter Frans Timmermans haben am Mittwoch die erzielte politische Einigung auf das Gesetz begrüßt.
Das Gesetz verpflichtet die EU darauf, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen und ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken. „Unser politisches Versprechen, bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu werden, ist nun auch eine rechtliche Verpflichtung. Dieses Gesetz schreibt rechtsverbindlich fest, dass die EU bis spätestens 2050 klimaneutral sein muss“, sagte von der Leyen.
Die EU steht daher mächtig unter Druck, das Geld in nachhaltige Projekte umzulenken. Um die Treibhausgase radikal zu senken, braucht sie nach eigenen Angaben jährliche Investitionen von 350 Milliarden Euro. Mit einem Rahmen für ein nachhaltiges Finanzwesen will sie nun das Investorengeld in großem Maßstab umleiten. Deshalb macht die EU-Exekutive Tempo.
Die vorgeschlagene „delegierte Verordnung“ zur EU-Klimataxonomie wird von Parlament und Mitgliedstaaten in den nächsten vier Monaten geprüft. Insider in Brüssel erwarten um den Vorschlag der Kommission zur Nachhaltigkeitsberichterstattung der Unternehmen intensive Diskussionen mit den Europaabgeordneten und den Regierungen der Mitgliedstaaten. Die sechs „delegierten Änderungsrechtsakte“ beispielsweise in der Anlage- und Versicherungsberatung dürften laut Kommission bereits ab Oktober 2022 Anwendung finden.
Spätere Reglungen
Wie erwartet, hat die EU-Exekutive unterdessen Investitionen in Gas und Atomenergie von einer Regelung ausgenommen. Sie sollen zu einem späteren Zeitpunkt nach einer tieferen Prüfung geregelt werden.
Dafür gab es Kritik von Rasmus Andresen, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament. Andresen sprach von einer „herben Enttäuschung“ und nannte die Entscheidung „zukunftsfeindlich“.
Lob gab es hingegen aus der EVP, der größten Fraktion im Europaparlament, für die Entscheidung. „Bioenergie, Gas und Kernenergie in einem eigenen separaten Rechtsakt zu regeln gibt die Chance für eine schnellere und effizientere Energiewende. Ich bin deshalb dankbar, dass die Kommission die auch von uns vorgebrachte Kritik gehört hat und somit einen technologieneutralen Ansatz wählt“, sagte Markus Pieper (CDU), parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe.
Nicht nur das EU-Parlament, sondern auch zahlreiche Mitgliedstaaten – insbesondere aus Osteuropa – sehen Gas weiter als unverzichtbare „Übergangstechnologie“.