China erwägt teilweise Abkehr vom Elektroauto

(Fokus) – China beendet die Förderung für E-Autos, behält aber zumindest Elektro-Quoten bei. Unheil droht dennoch: Das Beratungsunternehmen JSC Automotive erwartet eine Kehrtwende, die Elektroautos und Hybride hart treffen würde. Auf E-Autos fixierte Unternehmen wie VW müssten sich dann breiter aufstellen.

Die wichtigsten Punkte im Artikel kurz zusammenfasst:

  • China gilt als globaler Antreiber der E-Mobilität
  • Verkaufszahlen brachen zuletzt ein, weil die Förderung wegfällt
  • Marktexperten sehen Strategieschwenk: Neben Elektroantrieben sollen künftig auch synthetische Kraftstoffe oder Wasserstoff eingesetzt werden
  • China betreibt weniger Klimapolitik, sondern verfolgt eher geostrategische Interessen

Viele Autohersteller, darunter auch Deutschlands wichtigster Autokonzern Volkswagen, setzen ausschließlich auf die Elektromobilität und stoppen mittelfristig die Entwicklung von Verbrennungsmotoren oder anderer Alternativen. Was für E-Spezialisten wie Tesla sehr gut funktioniert, könnte breiter aufgestellten Herstellern aber auch Probleme bereiten. Denn ausgerechnet in dem Markt, der als größter Treiber der E-Mobilität gilt, sieht die Strategieberatung JSC Automotive aus Shanghai in den kommenden Jahren eine Trendwende.

China stoppt bekanntlich bis Ende 2020 seine Subventionen für Elektroautos. Zwar gibt es nach wie vor Quoten für „New Energy Vehicles“ (NEV), zu denen auch batterieelektrische Autos zählen. Doch Chinas Staatsregierung will diesen Begriff offenbar weiter fassen und dabei den Fokus nicht mehr nur auf die E-Mobilität setzen.

China sieht E-Mobilität nicht als einzige Option
„Viele glauben immer noch, dass der Anteil der Elektrofahrzeuge in China in den kommenden Jahren stark ansteigen wird. Wir können dies nicht bestätigen“, so Jochen Siebert, Geschäftsführer von JSC Automotive. Stattdessen werde „ein Fächer an Technologien im Verbrennungsbereich aufgemacht“. Dazu zählten Methanol, Wasserstoff und verbrauchsarme Benziner. Nach Informationen von FOCUS Online sollen vor allem Mini-Hybride künftig eine große Rolle spielen. Also Benzinmotoren, die mit Hilfe von 48-Volt-Systemen sparsamer werden.

Verbrennungsmotoren auf dem Abstellgleis, Tausende werden entlassen
Viele Hersteller, etwa Audi, setzen solche Systeme bereits bei ihren neuen Motoren ein. Allerdings fokussiert sich Audi wie der komplette Volkswagen-Konzern künftig auf reine Elektroantriebe. Die Weiterentwicklung der Verbrenner wird mittelfristig gestoppt, was ein Hauptgrund für den Arbeitsplatzabbau bei dem  Hersteller ist. Diese Entscheidungen sind bereits getroffen und nicht mehr umkehrbar. Für den europäischen Markt ist die Entscheidung auch sinnvoll, denn dort lassen die neuen CO2-Grenzwerte künftig quasi nur noch elektrifizierte Autos zu. Ob das auch für den chinesischen Markt gilt, wird sich zeigen.

China berücksichtigt die echte CO2-Bilanz von E-Autos
Der entscheidende Punkt der – allerdings noch nicht finalisierten – Pläne der chinesischen Staatsregierung: Ab 2025 soll nicht mehr der Kraftstoffverbrauch für den Flottenverbrauch der Hersteller maßgeblich sein, sondern das, was für ihren Betrieb tatsächlich an CO2-Emissionen aufgewendet wird. „Ab dann würden auch Elektrofahrzeuge und Plug-In-Hybride mit ihrem Stromkonsum – umgerechnet in CO2 – belegt werden. Methanol, Wasserstoff- und E-Fuel-Fahrzeuge würden hingegen mit Null veranschlagt“, so die Experten von JSC Automotive. Das wiederum würde den Kraftstoffen wohl einen Vorteil verschaffen, der ähnlich unfair wäre wie die Anrechnung eines E-Autos mit null Gramm – es bleibt daher abzuwarten, wie die Gewichtung am Ende wirklich aussieht.

Unter E-Fuels versteht man künstlich hergestellte Kraftstoffe, deren CO2-Bilanz durch Nutzung von umweltfreundlichen Energien zumindest rechnerisch Null wäre. Die EU geht einen anderen Weg: Nur bei Elektrofahrzeugen wird der CO2-Ausstoß für die Flotten-Grenzwerte der Hersteller immer mit Null gewertet, egal wie der Strom zum Aufladen wirklich gewonnen wurde.

Der erklärte Elektro-Kritiker und Motoren-Experten Professor Fritz Indra sieht ebenfalls einen Strategie-Schwenk der Chinesen am Horizont . „China führt die Deutschen an der Nase herum. In China ist das E-Auto noch viel weniger umweltfreundlich als in Deutschland, weil dort der meiste Strom aus kalorischen Kraftwerken kommt. Alle zwei Wochen wird dort ein neues kalorisches Kraftwerk eröffnet. In China setzt man jetzt voll auf CO2-neutrale Kraftstoffe, weil das die einzige Methode ist, um die Emissionen nicht nur von Pkw, Lkw oder auch Schiffen schnell und wirksam zu reduzieren – und das ohne einen Nachteil für die Kunden“, glaubt Indra.

Geostrategie und Energieautarkie
Sehr gelegen dürfte den Chinesen dabei die maßgeblich in der EU geführte Diskussion um den Klimawandel kommen. Während die EU gerade den sogenannten Klima-Notstand ausgerufen hat und Sektoren wie Energie und Verkehr komplett umbauen will –  inklusive einer massiven Verteuerung des Individualverkehrs und Verbrauchskontrollen für alle Neuwagen – spielen für China offenbar geostrategische Erwägungen eine viel wichtigere Rolle. „Es geht in erster Linie um Energieautarkie. Der industriepolitische Aspekt ist auch interessant, weil durch breite Nutzung der Kohle auch viele Arbeitsplätze gesichert werden“, so Jochen Siebert von JSC Automotive zu FOCUS Online.

China ist Kohle-Nation Nummer Eins
Beim absoluten Ausstoß an CO2-Emissionen ist China mit weitem Abstand die Nummer Eins. Das gilt auch für die Gewinnung von Rohstoffen, allen voran gewaltiger Mengen Kohle. Trotz eines Ausbaus regenerativer Energien werden zwei Arten der Energieerzeugung auch künftig für Chinas Energiemix prägend sein: Kohle und Atomkraft – also genau die Energieformen, aus denen Deutschland gerade parallel auszusteigen versucht.

Elektro-Ausbau stößt an seine Grenzen
JSC-Geschäftsführer Jochen Siebert sieht noch einen weiteren Grund, weshalb China offenbar nicht mehr allein auf die E-Mobilität setzt: „Der Ausbau des Schnelllade-Netzes läuft gut, aber es hakt gewaltig bei dem Ausbau der Wechselstromladestationen, da die allermeisten Nutzer in Gebäudekomplexen wohnen und meist keine Genehmigung für eine Ladestation bekommen. Zudem besteht das Schnellladenetz vorrangig aus 50 kW-Stationen und ist somit bereits veraltet“, so Siebert. Der Ladenetz-Ausbau ist ein Problem, das wahrscheinlich auch Deutschland bevorsteht. Denn auch wenn die Furcht vor einem „Blackout“ durch Elektroautos übertrieben ist, sind die Niederspannungs-Verteilungsnetze an vielen Stellen noch gar nicht für einen echten Hochlauf der E-Mobilität vorbereitet

E-Mobilität bleibt vor allem mit neuen Modellen attraktiv
Wie groß künftig der Anteil von Stromern sein wird, hängt natürlich von vielen Faktoren ab. In China ging im dritten Quartal laut der Unternehmensberatung PwC der Absatz von reinen E-Autos um 15,7 Prozent zurück, der von Plug-in-Hybrid-Fahrzeugen um 27,3 Prozent. Gründe hierfür: Das bereits erwähnte Zurückfahren staatlicher Fördermittel, aber auch der Zollstreit mit den USA, wirtschaftliche Unsicherheit und wohl auch der wachsende Erfolg von Fahrdiensten in China. „Der Hochlauf und das Angebot der neuen E-Fahrzeuge trifft auf ein extrem schwieriges wirtschaftliches Umfeld“, so PwC-Automotive-Chef Felix Kuhnert. E-Autos seien bislang ein urbanes Phänomen.

Immerhin: Insgesamt reicht es in wichtigen Märkten wie China im Quartals-Vergleich noch zu einem Plus. Zudem dürften neue E-Modelle, allen voran das jetzt auch in China gebaute Tesla Model 3 sowie das neue Elektro-SUV Model Y, durchaus Verkaufsschlager bei den E-Auto-affinen Chinesen werden. Denn aktuell werden die Stromer ja noch finanziell gefördert und haben auch andere Vorteile, etwa bei der Neuzulassung in Städten, in denen es Zulassungsbeschränkungen gibt.

„Die Zukunft bestimmen allein die Regulierungen“
Dass batterieelektrische Autos eine wichtige, aber eben nicht die einzige Säule im chinesischen Antriebsmix sein werden, erwartet auch Jack Wey, CEO eines der größten chinesischen Autobauers. Er sagte auf der IAA, die im September wahrscheinlich zum letzten Mal in Frankfurtstattfand, im Interview mit FOCUS Online. „Ob die Zukunft nun Elektro sein wird, Wasserstoff oder Hybridtechnik – das bestimmen allein die staatlichen Regulierungen. 2030 werden Elektroautos meiner Einschätzung nach die Mehrheit stellen, das gilt zumindest für China und womöglich auch für Europa.  Aber natürlich wird es 2030 auch noch Autos mit Verbrennungsmotoren geben. Denn diese Technologien werden ebenfalls effizienter, sparsamer und umweltfreundlicher“, so Wey.

Bundesregierung blockiert alternative Kraftstoffe
Interessant ist vor diesem Hintergrund die Haltung der deutschen Bundesregierung,die die Elektromobilität als quasi alternativlos ansieht und entsprechende Weichen bei der finanziellen Förderung gestellt hat. So sperrt sich die Regierung gegen die Zulassung alternativer Kraftstoffe wie synthetisch produziertem Diesel und könnte damit sogar ein Vertragsverletzungsverfahren der EU riskieren . Umso überraschender war die kürzliche Ankündigung von Umweltministerin Svenja Schulze (SPD), ein „Power-to-x-Netzwerk“ aufbauen zu wollen, um Wasserstoff oder eben auch synthetische Kraftstoffe zu erforschen. Die FDP-Abgeordnete Judith Skudelny traut diesem Strategieschwenk nicht: „Erst vor wenigen Wochen hat die Ministerin genau das verhindert, was sie heute großartig ankündigt. Deutsche Start-Ups, wie beispielsweise Ineratec aus Karlsruhe, finden in Deutschland aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen keinen Markt, obwohl deren Produkte von Finnland bis nach Spanien verkauft werden. Frau Schulze sollte vielleicht erst einmal bei uns ihre überfälligen Hausaufgaben machen, bevor sie sich auf der Klimakonferenz mit inhaltsleeren Ankündigungen feiern lässt“, so Skudelny zu FOCUS Online.

Ökosprit-Skepsis der Bundesregierung
Das Bundeskabinett hatte die zum freien Verkauf von synthetischen Kraftstoffen in Reinform nötige DIN 15940 bei der Umsetzung der AFID-Richtlinie (Richtlinie 2014/94/EU über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe) nicht in den Gesetzentwurf aufgenommen – nach Informationen von FOCUS Online geschah dies durch intensives Einwirken des Umweltministeriums. Am 29. November wurde der Gesetzesentwurf im Bundesrat dann knapp und gegen die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Bundesrats angenommen. Somit sind synthetische Kraftstoffe weiter nicht in Reinform erlaubt.