Lückenlose Weltkarte der Baumarten-Vielfalt
Neues statistisches Modell füllt weiße Flächen
Leipzig, Halle. Die biologische Vielfalt
(Biodiversität)unseres Planeten ist eine unserer wichtigsten Ressourcen.
Allerdings kennenwir von den meisten Orten der Erde nur einen kleinen
Ausschnitt dieserVielfalt. Forschern des Deutschen Zentrums für integrativeBiodiversitätsforschung
(iDiv) und der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg (MLU) ist es nun
gelungen, aus versprengten Daten eineWeltkarte der Biodiversität zu erstellen;
auf dieser ist die Anzahlvon Baumarten dargestellt. Mithilfe der neuen Karte
konnten die Forscheruntersuchen, welche Einflussfaktoren die globale
Baumartenvielfaltbestimmen. Das Klima spielt eine zentrale Rolle; zudem hängt
dieVielfalt der Arten, die man in einem bestimmten Gebiet feststellt, aberauch
von der räumlichen Skala der Betrachtung ab. Dies berichten dieForscher in der
Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution. Dieneue Methode könnte unter
anderem helfen, den weltweiten Artenschutzzu verbessern.
Rund um die Erde verändert sich die biologische
Vielfaltdramatisch; der Schutz der Biodiversität ist zu einer dergrößten
Herausforderungen unserer Zeit geworden. Gleichzeitigwissen wir noch wenig
darüber, warum manche Gegenden eine sehr hoheund andere eine vergleichsweise
niedrige Artenvielfalt aufweisen, und wodie artenreichsten Gebiete unserer Erde
liegen. Auch sind die Gründeoft unklar, warum manche Gegenden artenreicher sind
als andere: WelcheRolle spielen Umweltfaktoren wie das Klima und wie bedeutsam
sindvergangene Ereignisse wie zum Beispiel Eiszeiten für dieBiodiversität von
heute? Unser Wissen beruht auf einzelnenBestandsaufnahmen und ist sehr
lückenhaft – gerade in dentropischen Regionen, wo die Artenvielfalt besonders
hoch sein kann. Diegesamte Erde flächendeckend zu untersuchen, um alle Lücken
zuschließen, ist jedoch schlichtweg unmöglich.
Satellitenbilder können manche Datenlücke schließen,
zumBeispiel bei der Erfassung von Baumbeständen. Doch haben dieseTechniken ihre
Grenzen. „Wir müssen die Bäume nicht nurzählen, sondern auch bestimmen, welche
Arten es sind“,erklärt der Erstautor der neuen Studie, Dr. Petr Keil. „In
denTropen finden wir Hunderte verschiedene Baumarten auf einem einzigenHektar.
Diese können wir nur vor Ort bestimmen. Deshalb wurden diemeisten Gegenden auch
noch nicht auf ihre biologische Vielfalt untersucht– und werden es
wahrscheinlich auch nie.“ Keil und Co-AutorProf. Jonathan Chase sind
Wissenschaftler am Deutschen Zentrum fürintegrative Biodiversitätsforschung
(iDiv) und an derMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Keil und Chase wollten trotz lückenhafter Daten eine
Weltkarte derBaumartenvielfalt erstellen. Dazu sammelten sie in einem ersten
Schrittweit über 1.000 Baumartenlisten. Diese kamen einerseits von
kleinenUntersuchungsflächen, die in vorangegangen Studien erforscht
wurden,andererseits von ganzen Staaten. Für die meisten Staaten der Welt
istbekannt, welche Baumarten dort vorkommen, allerdings nicht, wo diese
genauwachsen und ob eine bestimmte Art selten oder häufig ist. Um fürdie
ausgedehnten weißen Flächen auf der Weltkarte dieBaumartenvielfalt berechnen zu
können, entwickelten die Forscher einstatistisches Modell. Der Clou daran: Das
Modell kombiniert dieversprengten Daten aus einzelnen Untersuchungsflächen mit
denInformationen auf Staatenebene. Es integriert außerdem bekannte Datenzu
Umweltfaktoren wie dem Klima. Das Ergebnis ist eine lückenloseKarte aller
bewaldeten Gebiete der Erde.
„Es ist wie ein 1.000-Teile-Puzzle, von dem wir nur
wenigePuzzleteile hatten, und von dem wir auch das Gesamtbild nichtkannten”,
sagt Jonathan Chase. „Mit unserem Ansatz konnten wirdie fehlenden Teile
berechnen und das Puzzle zusammensetzen.” Dieneue Methode ermöglicht es den
Forschern, die Baumartenvielfaltfür unterschiedlich große Flächen zu berechnen,
zumBeispiel für ein Naturschutzgebiet, für einen Staat oder füreinen ganzen
Kontinent. Dadurch konnten sie untersuchen, welcheEinflussfaktoren die
Variation der Baumartenvielfalt auf unserem Planetenbestimmen. Die Analyse hat
gezeigt, dass das Klima der wichtigste Faktorist: Die höchste Baumartenvielfalt
findet sich in den feuchtwarmenTropen. Dennoch unterscheidet sich die
Baumartenvielfalt zwischenverschiedenen Orten gleichen Klimas zum Teil
erheblich. Im südlichenChina zum Beispiel finden die Forscher eine Vielfalt,
die deutlichgrößer ist als in klimatisch ähnlichen Regionen.
Dabei ist jedoch wichtig: Wie viel „Extra-Vielfalt“ an
Ortenwie China zu finden ist, hängt von der Sicht des Betrachters ab.„Wenn man
in einem Wald steht und die Anzahl der Arten um einen herumzählt, wird einem
der Unterschied zwischen China und einer klimatischähnlichen Region
wahrscheinlich gar nicht auffallen. Erst wenn man voneinem Standort zum
nächsten wechselt und die Arten zusammenzählt,die man an mehreren Standorten
gesichtet hat, wird deutlich, wie artenreichChina ist“, sagt Jonathan Chase.
Die Unterschiedlichkeit solcher benachbarter Standorte
wirdBeta-Diversität genannt. Über eine größere Regiongesehen bedingt sie eine
hohe Gesamtvielfalt. Keil und Chase konnten mitihrer Analyse zeigen, dass
dieses Maß der Biodiversität in dentrockenen (nicht den feuchten) Tropen
besonders hoch ist, vor allem dort,wo es gebirgig ist – neben Süd-China zum
Beispiel in Mexiko oderim äthiopischen Hochland. Ein Grund für diese
hoheBeta-Diversität könnten Ereignisse in der geologischenVergangenheit wie
Eiszeiten sein. „Während der letzten Vereisungkonnten die Bäume nur in
Bergtälern überleben und wurdendadurch voneinander isoliert“, erklärt Petr
Keil. „Wennman heute in einem dieser Täler steht, so sieht man eine
mittelhoheAnzahl von Baumarten. Aber wenn man über den Kamm klettert und
insNachbartal hinabsteigt, findet man andere Baumarten und im nächstenTal
wieder andere.“
Keil und Chase geht es in erster Linie darum, zu verstehen,
wieBiodiversität auf dem Planeten verteilt ist und welche Faktorendafür
verantwortlich sind. Aber ihr Modell kann auch dazu genutztwerden, Strategien
für den Naturschutz zu entwickeln, vor allemfür Wälder, deren Baumartenvielfalt
noch nicht stark vom Menschenverändert wurde. In den Bergen Chinas zum Beispiel
reicht es nicht,nur ein Tal zu schützen. Erst die Vielzahl der
unterschiedlichenTäler macht den hohen biologischen Wert dieser Gegend aus.
„UmBiodiversität wirklich zu verstehen und schützen zu können,müssen wir sie
gleichzeitig auf der lokalen und auf der regionalenSkala betrachten“, sagt
Keil. „Wir brauchen also sowohl diePerspektive des Naturforschers, der im Wald
steht, als auch das großeBild, das sich bei der Betrachtung eines ganzes
Staates ergibt. UnserAnsatz macht dies nun möglich.“
Volker Hahn, TabeaTurrini
Originalpublikation:
Keil, P., & Chase, J.
M. (2019). Global
patterns and drivers of treediversity integrated across a continuum of spatial
grains. NatureEcology & Evolution.
/www.nature.com/articles/s41559-019-0799-0">doi:10.1038/s41559-019-0799-0