Antwort an einen Kollegen, der sich um den Fortbestand unserer Deutschen Demokratie sorgt – Mit einer Einführung von Jean Pütz

Sehr geehrter Kollege,

zu Ihrer intelligenten Analyse möchte ich Ihnen gratulieren. Als ehemaliger Oberstudienrat für Mathematik und Physik an Berufsfachschulen musste ich auch Pädagogik studieren, im Gegensatz zum Kurrikulum für gymnasiale Studienräte. Davon habe ich später enorm profitiert, auch weil ich freiwillig ein Parallel-Studium der empirischen Soziologie absolviert habe. Es war nicht geplant, wurde aber zum Fundament meiner wissenschaftsjournalistischen Berufung durch den WDR als Quereinsteiger.

Im Geheimen müssen Sie mir zustimmen, dass das, was Sie und ich unter Demokratie verstehen, sich leider auf dem absteigenden Ast befindet. Ihre Beschreibung wirkt auch als Resignation, denn die Selbstorganisations-Mechanismen, die meine Generation nach dem 2. Weltkrieg geprägt haben, wurden bestimmt durch Mangel, Kreativität zum Überleben und dem Bewusstsein, dass es bergauf ginge. Aber unsere Gesellschaft ist sich der Ursache des Wohlstands nicht mehr bewusst, alles wird als Selbstverständlich hingenommen. So erzeugen selbst die kreativsten Ideen, die uns das Leben erleichtern, nur ein müdes Lächeln. Warum auch nur einen Gedanken darauf verlieren, wenn der ausufernde Sozialstaat einen jederzeit auffängt, die Neugier, die Jugendliche so getrieben hat, hat das Zeitliche gesegnet. Zur Information reichen die Bildzeitungs-Überschriften nach dem Prinzip: Bad News is good News – mehr als drei Zeilen zu lesen, macht sich kaum jemand die Mühe. So verlieren die Zusammenhänge immer mehr  ihre Überzeugungskraft.

Nun gibt es im privaten als auch im sozialen Leben allein schon deshalb Probleme, die die uns umgebende Natur erzeugt. Das Wissen über Naturgesetze könnte das Verständnis verbessern. Aber warum? Wie im Mittelalter herrscht immer noch das tief in uns verankerte Prinzip, dass nicht sein darf, was nicht sein kann, kein Wunder, das Verschwörungstheorien bei einem Drittel der Bevölkerung fruchtbaren Boden finden. Hinzu kommt, dass in der Schwarmintelligenz der Deutschen und Europäer das komplexe Wissen abhanden gekommen ist. Lineares Denken herrscht vor, Verzweigungen passen nicht mehr in das Oberflächliche unserer Zeit.

Gestatten Sie mir zwei Beispiele:

1. Berechtigterweise ist CO2 als eine der Ursachen für die Klimaproblematik identifiziert. Lineares Denken heißt, dass das dann zum Teufel deklariert wird. Vermutete Teufel hat man früher auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Dass es aber auch ein Wertstoff sein könnte, wenn man nicht populistisch linear, sondern verzweigt denkt, wird vehement abgestritten.  In die grün-ideologische Vermeidung von CO2 werden dann Milliarden von staatlichen Investitionen gesteckt. Das korrumpiert sogar die Wissenschaft und wird dann zum Dogma erhoben. Jemand, der dann auf Nebenwirkungen und Risiken aufmerksam macht, wird politisch und sozial an den Pranger gestellt. Hinzukommt, dass das dem Volk so eingebläut wurde, weil es ja so einfach verständlich ist, dass sich die Populisten sich dem bemächtigt haben. ein Politiker, die das ablehnen und die Vernunft in den Vordergrund stellen, was die Demokratie ja fordert, haben keine Chance mehr. So passiert es, dass die Demokratie nicht mehr in der Lage ist, Probleme zu lösen. Die müssten ja zumindest auf ein Minimum eines rationalen Fundamentes aufbauen. Was können sie gegen die Behauptungen machen, dass das Elektro-Auto die Welt retten kann, denn hinten kommt ja kein CO2-strotzendes Abgas heraus …..

2. Oder, noch einmal nach dem Prinzip, dass nicht sein darf, was nicht sein kann: Die Natur der Verteilung der elektrischen Energie beruht auf dem Angebotsprinzip. Wird auch nur im geringsten die Nachfrage übertroffen, also mehr verbraucht als angeboten, bricht das Netz zusammen. Ein GAU von nicht nur Stunden, sondern Tagen kann die Folge sein. Kann das unsere Volkswirtschaft überstehen? Aber CO2-Vermeidung  erfordert ja, und da besteht offenbar demokratischer Konsens, weg mit den Kraftwerken. Die Atomkraftwerke sind ja schon in Form von strahlenden Denkmälern in der Landschaft verschwunden.

Doch da gibt es ja noch die Sonne und den Wind und das angeblich reichlich, also müssen diese die Lücken ausfüllen. Ist ja auch plausibel, jeder, der die Nase in die Sonne oder den Wind hält, stimmt dem emotional zu. Nun ist nur noch jemand erforderlich, der dem Volk weiß macht, diese Energie würde selbst in unseren mittleren Breiten ausreichen, unsere gesamte Wirtschaft mit der notwendigen Energie zu versorgen. Das ist leider der Grünen-Ideologie gelungen, verbunden mit dem Vorbild-Prinzip: Am deutschen Wesen muss die Welt genesen. Es wird unisolo behauptet, unser Beispiel würde die ganze Welt so schlüssig überzeugen, dass sie uns alles nachmachen – bei nur 2% Anteil weltweit. In den berühmten Weltklima-Konferenzen und der EU sind wir so in Sachen Klimarettung die Stars geworden. Viele von uns propagierte Grenzwerte wurden dort angenommen und beschlossen. Nach meinem Wissen aber hat sich nur Deutschland dazu verpflichtet. Wer weiß, ob das für viele andere Länder nur reine Lippenbekenntnisse sind, Stichwort China, Brasilien, Indien – neuerdings die Hauptverursacher. Wenn es hart auf hart kommt, werden sie darauf pfeifen. Doch Deutschland hat die weiße Weste. So wurde zum Beispiel vieles schon vom Bundestag in Gesetzesform gebracht, Nebenwirkungen und Risiken spielten keine Rolle. So wird ab 2030 das Erdgas, welches heute vorwiegend das Wohlbefinden in unseren Wohnungen und Gebäuden mit Wärme und Kälte und die dafür notwendige Energie sichert, abgeschafft. Das soll durch elektrische Energie geleistet werden, was physikalisch gesehen natürlich der größte Schwachsinn ist. Dem Volk wird auch vorenthalten, dass schon allein das gepriesene Elektroauto so viel Strom benötig, dass für die Gebäude gar nichts mehr übrig bleiben kann. Wie gesagt, dass selbst bei kleinster Überlastung der Total-Ausfall nicht zu verhindern ist, aber das ist offenbar den Ideologen kein Problem.

Unsere Demokratie scheitert an diesen Hunderten von Widersprüchen, die im Wunschdenken der Politiker verschwinden. Zum Schluss möchte ich noch zwei dieser besonders schwerwiegenden Widersprüche herausstellen:

a) Das Volk stöhnt bereits, wenn der Bezinpreis um 10 Cent steigt, und zwar nur, weil die Länder, die das Erdöl aus der Erde fördern, einmal eben auf Reduzierung der Produktion geschaltet haben. Milliarden von Barrel bestimmen heute und in der näheren Zukunft die Weltpolitik. Glaubt wirklich jemand, dass das von heute auf morgen verhindert werden kann?

b) Welchen politischen Wirbel hat die sogenannte Nordtrasse der Erdölpipeline durch die Ostsee ausgelöst. Wenn ich mich richtig erinnere, kostet sie mindestens 10 Milliarden und soll bei Greifswald Deutschland beglücken. (Darauf freut man sich schon. In Greifswald gibt es übrigens auch ein Forschungs-Institut, welches mit großem Erfolg nach der Möglichkeit sucht, aus der Fusion von Wasserstoff zu Helium grenzenlose Energie zu gewinnen. Vor 40 Jahren hat man mir gesagt, das sei so um 2020 der Fall, heute rechnet man immer noch mit weiteren 40 Jahren.) Mit dieser Pipeline – und einigen weiteren z. B. die politisch gewünschte durch die Ukraine – werden Milliarden Kubikmeter Erdgas fließen, die  ja irgendwo sinnvoll verbraucht werden müssen und CO2 erzeugen, wenngleich auch viel geringer als von Kohle. Hoffentlich entstehen nicht zu viele Leckagen, denn Methan beeinfluss  über 50 mal stärker das Klima als CO2.

c) Um die Amerika zu besänftigen, insbesondere unter der Trump-Ära, hat sich Deutschland zusätzlich zum russischen Erdgas verpflichtet, große Terminals an unserer Nordsee-Küste zu errichten, wo die großen Flüssiggas-Tanker anlegen, die das in Texas aus der Erde gepresste Fracking-Gas anliefern können. Von dort aus wird es dann vorwiegend als Methan-Gas in das tausende von Kilometer verzweigte deutsche Erdgasnetz eingespeist.

Eigenartig, denn ab 2030 soll das Erdgas ja ausgedient haben. Wolkenkuckucksheime über Wolkenkuckucksheime. Die katastrophale Nebenwirkung: Deutschland macht seine eigene Zukunft kaputt, ohne dass eine Chance besteht, auch nur minimal zur Senkung der Atmosphären-Temperatur aus Deutschland heraus beizutragen.

Ob das unsere Demokratie übersteht, ist die Frage. Nicht nur die AFD bietet Anlass zur Sorge, sondern auch die populistischen Parolen der aus der SED hervorgegangenen aber angeblich geläuterten Linken, die aber trotzdem sich immer noch der Kollektivierung verschworen haben.

Jean Pütz

(Demokratie Plus) – Irgendwie ist es noch mal glimpflich ausgegangen. Das ist zumindest die überwiegende Meinung in Medien und den meisten Parteien.

Wir sprechen von der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. Dort wurde ein selbst innerhalb der AfD besonders rechtslastiger Landesverband mit über 20% der Stimmen „nur“ zweitstärkste Partei und (fast) alle zeigen sich erleichtert.

So sieht unsere demokratische Wirklichkeit im Jahr 2021 aus. Zumindest an der Oberfläche.

Denn schauen wir ein wenig genauer hin, sind die Ergebnisse noch weitaus dramatischer: Nahezu in jedem Jahrgang unterhalb von 45 Jahren war die AfD stärkste Partei oder lag mit der CDU gleichauf.

Was treibt junge Menschen in Teilen Deutschlands heute dazu, mehrheitlich eine Partei zu wählen, deren zentrales Führungspersonal mit völkisch-nationalistischen und rassistischen Positionen auffällt und eng mit Alt- und Neonazis verbandelt ist?

Die Erklärungsmuster, die dazu kursieren, sind wenig überzeugend.

Wenn der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, davon spricht, viele Ostdeutsche seien eben „diktatursozialisiert“ und nicht in der Demokratie angekommen, so könnte dies möglicherweise das Wahlverhalten der Älteren in Sachsen-Anhalt erklären, faktisch haben jedoch genau jene den völligen Erfolg der AfD verhindert.

Dass nun ausgerechnet deren Kinder, weit überwiegend Jahre nach dem Ende der DDR geboren, von jener „sozialisiert“ worden sein sollen, scheitert schon an den Gesetzen der Logik.

Eine andere Erklärung bekam ich jüngst von einer ostdeutschen Politik-Professorin angeboten. Wir hatten eine kleine Debatte darüber, wie rechtes, „queres“, demokratieverachtendes Denken entsteht – und was die Demokratie unternehmen kann und muss, um wieder an Attraktivität zu gewinnen.

Ihre Diagnose: Es läge vor allem am „demokratischen Analphabetismus“.

Es fehle schlicht an der Kenntnis unserer elementaren demokratischen Institutionen und Prozesse. Ihre logische Schlussfolgerung: Auch die Angebote neuer Beteiligungsformate – bis hin zu den gerade beliebten Bürgerräten – bräuchte zunächst einmal eine Bildungsphase für die Teilnehmenden, um vernünftige Debatten und Ergebnisse erwarten zu lassen.

Das klingt zunächst einmal sehr attraktiv. Auch weil es uns einen vermeintlich klaren Weg aufzeigt, wie wir unsere Demokratie stärken können: Mit mehr Wissen.

Doch leider ist dieser Weg einer Sackgasse. Wer glaubt, Demokratie sei eine Frage der Bildung hat weder Demokratie noch Bildung wirklich verstanden. Dieser Ansatz hat keine Aussicht auf Erfolg. Denn:

Demokratie ist keine Frage des Wissens.

In den USA hat es eine lange Tradition, die Reihenfolge der bislang 46 Präsidenten auswendig zu lernen, abzufragen und die Unterrichtsräume mit ihnen zu dekorieren. Nummer 45 wurde dennoch ein gewisser Donald Trump. Und es ist durchaus möglich, dass er auch wieder die Nummer 47 sein wird.

Wenn unsere Schülerinnen und Schüler also in Zukunft die Liste unserer ehemaligen Bundeskanzler*innen aufsagen, die Rolle des Bundespräsidenten erklären und souverän die D’Hondtsche Höchstzahl genauso erläutern, wie das Kumulieren und Panaschieren, wird das die Wahlergebnisse kaum verändern. Denn:

Demokratie ist keine Frage des Wissens.

Sondern der Haltung.

Demokratische Haltung ist in der Tat keine Frage des Wissens. Sie ist aber auch keine genetische Disposition. Sie kann nicht gelehrt und durch Klausuren gefestigt werden. Sie ist keine Frage des Lehrens, sehr wohl aber eine des Lernens.

Demokraten werden wir aus Erfahrungen. Weil wir als akzeptierte Mitglieder einer Gemeinschaft Respekt und Selbstwirksamkeit erfahren. Weil wir lernen, im respektvollen Konflikt mit anderen unsere Interessen zu artikulieren und Lösungen anzustreben. Das müssen wir erleben, reflektieren und so die Sicherheit gewinnen, dass dies der Weg ist, indem wir in einer freien Gesellschaft Gemeinwohl generieren.

Es ist also durchaus eine Frage unseres Bildungssystems. Wenn wir in Ländern wie Sachsen-Anhalt nachhaltig über Jahre hinweg zu großen Teilen Wähler*innen mit Präferenzen für demokratieverachtende Positionen produzieren, dann müssen wir dieses Bildungssystem kritisch hinterfragen.

Mehr Politik-Wissen in den Lehrplan zu schreiben, wird da aber nicht genügen.

Beteiligungspraktiker*innen wissen, dass Belehrungen zum Anfang von Beteiligungsprozessen die Debatten ganz schnell ins Kippen bringen können. Auch Lehrer*innen wissen, dass Betragensnoten keine besseren Menschen produzieren. Warum sollten dann Demokratienoten bessere Demokrat*innen produzieren?

Es geht nicht darum, Demokratie zu lehren und zu prüfen. Es geht darum, Demokratie zu erleben. Dazu gehören Diskurse, Debatten, aber eben auch demokratisch getroffene Entscheidungen über viele Alltagsfragen im schulischen Kontext. Es geht um demokratische Wirksamkeit der Schüler*innen in ihrem schulischen Alltag. Doch das sind wir nicht gewöhnt.

Bereits der Gedanke daran irritiert uns.

Stattdessen praktizieren wir noch heute ein Schulkonzept, das in all seinen Grundlagen noch aus dem Kaiserreich stammt. Wir können wir da ernsthaft glauben, dass wir so Demokrat*innen produzieren?

Wenn wir langfristig eine starke Demokratie wollen, dann müssen wir demokratische Haltung von den jungen Menschen nicht einfordern, sondern sie ihnen ermöglichen. Dann müssen wir Selbstwirksamkeit ermöglichen und Autorität hinterfragen lassen. Dann müssen wir über Lehrpläne sprechen, über die Lehrer*innenausbildung, vor allem aber: Über das Konzept Schule.

Über ein neues, ein demokratisches Konzept von Schule.

Wie das aussehen kann, darüber sprechen wir in einigen der folgenden Ausgaben von demokratie.plus. Ihre Gedanken dazu interessieren mich – wie immer – sehr.

Herzlichst, Jörg Sommer