Auf dem Weg zur unendlich verfügbaren Energie? – Mit einer Einleitung von Jean Pütz

1971 habe ich der Fusions-Energie im Rahmen meiner Sendereihe ‚Energie, die treibende Kraft‘ eine der 13 Folgen gewidmet. Sollte es möglich sein, die Energie-Prozesse in der Sonne, das heißt, die Fusion von Wasserstoff und Helium auf die Erde zu holen, ist der Verfügbarkeit der Energie keine Grenzen mehr gesetzt. Damals, Anfang der 70er Jahre erklärten die Wissenschaftler mir, man bräuchte noch etwa 40 Jahre, um diesen Traum zu verwirklichen. Um eine Fusion in Gang zu setzen, benötigt man mindestens Temperaturen von 150 bis 200 Millionen Grad Celsius. Dem können keine Materialien Stand halten. Aber, ähnlich wie in der Sonne, gibt es das Plasma, das heißt, Gase, in denen sich Elektronen unabhängig von ihrem Kern bewegen. Ein Plasma ist deswegen durch magnetische oder elektrische Felder beeinflussbar. Die Forschungen laufen darauf hinaus es so zu beeinflussen, dass es wie in einem Behälter, sogar unter höchstem Druck, eingefangen wird. Das war wissenschaftlich so schwierig, dass die Vorhersage mehr Wunschdenken als Realität entsprach, denn die Geometriefelder so zu gestalten, das dies möglich wird, zieht so komplizierte Rechenvorgänge nach sich, dass erst heute extreme Super-Computer dazu in der Lage sind, das zu simulieren. Dies scheint nun gelungen zu sein, z. B. in dem man 100 Millionen Grad heißes Plasma gezielt bündeln kann. Darüber berichtet die folgende Mitteilung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Greifswald und Garching. Um dies real umzusetzen, gibt es dort riesige Apparaturen, bei einem dieser Versuche, die einen Weltrekord von über 50 Millionen Grad Celsius heißes Plasma realisierte, war ich als Beobachter dabei.

Die weitere Forschung in ganz Europa macht Hoffnung, dass der Fusionsreaktor realisierbar ist. Die größten Super-Computer der Welt sind dabei involviert, aber mindestens 30 Jahre müssen wir uns noch gedulden, so lange sind wir verpflichtet, die Sonnenenergie noch durch Fotovoltaik, Solarthermie, Wind oder Wasserkraft in herkömmlicher Weise einzufangen.

Jean Pütz

Eine aktuelle Veröffentlichung aus dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) zur theoretischen Vorhersage einer neuartigen Transportbarriere im Plasma und ihrer anschließenden experimentellen Bestätigung (Physical Review Letters) zeigt beispielhaft, wie dramatisch die Leistungsfähigkeit von Plasma-Simulationen und -Modellierungen in den letzten Jahren gewachsen ist. Ein europaweites Projekt zu Plasmatheorie und Simulation soll diese Entwicklung verstärken. Ziel sind virtuelle Plasma-Modelle als digitale Zwillinge wirklicher Plasmen.

Eine neuartige Transportbarriere in Fusionsplasmen, die den magnetischen Einschluss des Plasmas verbessert, hatte ein Theoretiker-Team des IPP mit Hilfe modernster Simulationen vorhergesagt. Hervorgerufen durch schnelle Plasma-Teilchen, sollte die Barriere Turbulenzen im Plasma lokal stark unterdrücken können. Ein nach entsprechenden Vorgaben geplantes Experiment in der Garchinger Fusionsanlage ASDEX Upgrade konnte diese theoretische Prognose anschließend bestätigen: Schnelle Teilchen, die durch die zielgenau eingesetzte Heizung des Plasmas mit Radiowellen erzeugt wurden, ließen im Zentrum des Plasmas einen Bereich mit den erwarteten verbesserten Einschlusseigenschaften entstehen. Die Arbeit wurde jetzt von der Fachzeitschrift Physical Review Letters zur Veröffentlichung angenommen (A. Di Siena et al.,

„Dieser große Erfolg der Theorie“, sagt Professor Frank Jenko, Leiter des Bereichs Tokamaktheorie im IPP in Garching, „ist nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, wie dramatisch sich Plasma-Simulationen und -Modellierungen in den letzten Jahren verbessert haben.“ Auch die zur Verfügung stehende Computerleistung hat stark zugenommen, so dass raffinierte Modelle die komplexe Plasmaphysik inzwischen rechnerisch gut beschreiben können. Möglich werden damit quantitative Vorhersagen – ein „Riesenfortschritt“ im Vergleich zu den vergangenen zwanzig Jahren: „Statt wie früher bloße Interpretation von Messdaten“, so Frank Jenko, „liefern Theorie und Simulation inzwischen auf vielen Themenfeldern Modelle mit verlässlicher Vorhersagekraft“. Außerdem kann die Theorie bislang getrennt untersuchte Erscheinungen – wie die Physik schneller Teilchen und die Turbulenz – jetzt im Supercomputer zusammenbringen und so immer komplexere Zusammenhänge aufklären.

Im europäischen Fusionsprogramm, das durch das EUROfusion-Konsortium koordiniert wird, will man die neuen Möglichkeiten nutzen, um den Betrieb des internationalen ITER-Experiments und den Entwurf des nachfolgend geplanten Demonstrationskraftwerks DEMO optimal vorzubereiten. Mit strategisch ausgewählten Projekten gibt dazu die E-TASC-Initiative (EUROfusion – Theory and Advanced Simulation Coordination) diesem Teil der Forschung eine neue Struktur. Ein europaweit abgestimmtes Arbeitsprogramm zu offenen Schlüsselfragen in Theorie, Simulation, Verifizierung und Validierung soll – unterstützt durch neu zu entwickelnde Standard-Software – die Entwicklung der Vorhersagekraft in Plasmaphysik, Materialwissenschaft und Ingenieurwesen vorantreiben.

Von den in diesem Rahmen für den Arbeitsplan von 2021 bis 2025 ausgewählten vierzehn Forschungsprojekten, die EUROfusion an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ganz Europa vergeben hat, gingen fünf an das IPP nach Garching und Greifswald. Auch eines der fünf Expertenteams für Hochleistungsrechnen und Codeoptimierung wird hier angesiedelt. „Das ehrgeizige Ziel, das wir mit E-TASC verfolgen, sind virtuelle Plasma-Modelle als digitale Zwillinge wirklicher Plasmen“, erklärt Frank Jenko, einer der beiden Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats von E-TASC. Zu diesem „Plasma im Computer“ sollen schrittweise Modelle weiterer DEMO-Teilsysteme hinzukommen, um nach und nach eine möglichst umfassende digitale Entwurfs- und Simulationsfähigkeit für das Kraftwerk aufzubauen.