(FAZ) – Viele Betriebe suchen händeringend Bewerber für ihre Ausbildungsplätze – und würden sich vor allem über mehr Abiturienten freuen. Aber nur wenige Gymnasiasten bekommen in der Schule ein klares Bild vermittelt, dass ihnen auch über den Weg der beruflichen Aus- und Fortbildung, also ohne Studium, chancenreiche Karrieren offenstehen. Diese kritische Diagnose stellt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) und stützt sich auf eine neue große Erhebung unter 20.000 Absolventen der Höheren Berufsbildung. Das sind Menschen, die irgendwann nach der üblichen Berufsausbildung eine Aufstiegsfortbildung gemacht haben und nun zum Beispiel als geprüfte Meister, Techniker oder Bilanzbuchhalter arbeiten.
„Schon in der Berufsorientierung müssen Schülerinnen und Schüler informiert werden, dass sie über eine duale Ausbildung und eine entsprechende Weiterbildung praxisnah eine ebenso erfolgreiche Erwerbsbiografie erfahren können wie Akademiker“, fasst Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer, die Analyse zusammen. Bisher fehle eine flächendeckende Berufsorientierung für Gymnasiasten – und erst recht eine, die nicht nur in Richtung Studium laufe. Der Erhebung zufolge haben 58 Prozent der Absolventen einer Höheren Berufsbildung damit ihr Gehalt und/oder ihre berufliche Stellung binnen fünf Jahren spürbar verbessert. Gut ein Fünftel schaffte Sprünge von mehr als 750 Euro im Monat.
Nähere Vergleichsdaten zu Einkommen von Hochschulabsolventen einerseits und Absolventen der Höheren Berufsbildung andererseits liefert diese Erhebung nicht. Auskunft gibt aber eine Studie des Tübinger Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) von 2019. Akademiker erzielten demnach bis zu ihrem 60. Lebensjahr im Mittel ein Gesamteinkommen von 1,45 Millionen Euro – und damit auf dieser langen Strecke gut 40.000 Euro mehr als geprüfte Meister oder Techniker. Allerdings erarbeiteten sich die Akademiker den Einkommensvorsprung erst spät im Berufsleben: Bis zum 35. Lebensjahr hatten es Weiterbildungsabsolventen schon zu 355.000 Euro gebracht, Akademiker nur zu 260.000 Euro – etwa so viel, wie auch ausgelernte Azubis ohne Weiterbildung bis zu diesem Alter erreicht hatten.
„In der Phase der Familiengründung stehen Weiterbildungsabsolventen also besser da“, folgert Dercks. Tatsächlich gehen der DIHK-Erhebung zufolge die meisten Teilnehmer ihre Aufstiegsfortbildung zwischen Mitte 20 und Mitte 30 an. Doch auch für Betriebe bringe dieser Qualifizierungspfad viele Vorteile, urteilt er: „Sie können aus der eigenen Belegschaft auf Topniveau weitergebildete Fach- und Führungskräfte entwickeln, die mehr Verantwortung übernehmen können und wollen.“ Die Höhere Berufsbildung sei „eine Art Geheimtipp“ für karrierebewusste Mitarbeiter wie auch für unternehmerische Strategien gegen Fachkräftemangel.
Insgesamt verfügen etwa 2,5 Millionen Erwerbstätige in Deutschland über einen höheren Berufsabschluss. Allein von den Industrie- und Handelskammern würden jährlich 60.000 Prüfungen abgenommen, so die DIHK. Aber es könnten „gerne noch mal mehr werden“. Der Arbeitsmarkt für diese Absolventen sei leer gefegt: Ihre Arbeitslosenquote beträgt 1,2 Prozent, ist damit noch niedriger als jene von Akademikern, die um 2 Prozent pendelt.
Mehr Berufsabsolventen für den Klimaschutz
Dass mehr höher qualifizierte Berufsabsolventen gebraucht würden, begründet Dercks zudem mit dem Klimaschutzziel: Es reiche nicht aus, dafür mehr Menschen auszubilden, die Wärmepumpen, Windräder oder Solaranlagen montieren, solange es nicht auch im Vorfeld gut funktioniere: „Entlang der Wertschöpfungskette – etwa von Entwicklung, Beschaffung und Bau bis hin zur Errichtung einer Windkraftanlage – sind die Aus- und Fortbildungsabschlüsse der Beruflichen Bildung über ihre gesamte Bandbreite gefragt.“
Der Weg zum höheren Berufsabschluss ist im Alltag aber fordernd: Meist bereiten sich Kandidaten in Abendkursen neben dem Hauptberuf auf die Prüfung vor. Jenseits der Orientierung für Einsteiger sollte sich nach Ansicht der Kammern daher auch die staatliche Förderung verbessern: Kurs- und Prüfungskosten, die auch 15.000 Euro ausmachen können, werden mit dem „Aufstiegs-Bafög“ zwar zur Hälfte als Zuschuss aus öffentlichen Mitteln bezahlt, zur anderen Hälfte aber nur als Darlehen. Falls die Prüfung schiefgeht, ist für Betroffene neben der Zeit auch viel Geld weg.
„Das ist eine Unwucht zulasten der beruflichen Bildung – zumindest solange es ein gebührenfreies Hochschulstudium gibt“, moniert Dercks. In der Erhebung hatten mehr als die Hälfte der Absolventen für ihre Fortbildung das Aufstiegs-Bafög in Anspruch genommen. Im Koalitionsvertrag haben die Ampelparteien vereinbart, bestehende „Förderlücken“ im Vergleich zum Studenten-Bafög zu schließen. Nun sei es Zeit dafür, findet Dercks.