Die heutige Zeit ist geprägt durch Spezialisirung. Jeder Wissenschaftler oder auch Ökonom muss tief schürfen, um seine Spitzenforschung zu betreiben. Die große Gefahr ist, dass er dabei den Überblick verliert. In der Volkswirtschaft wäre das verhängnisvoll. Diese hängt von vielen Voraussetzungen ab. Natürlich sollten soziale Aspekte an vorderster Stelle stehen und im Sinne der Marktwirtschaft auch die ökologischen .
Darüber hinaus kommt es auch auch die kreative Entwicklung von Hartware und Software an. Das heißt, die technologischen Aspekte gehen in diese Gleichung mit vielen Unbekannten ein. Jetzt hat Corona-Pandemie besondere Bedingungen geschaffen, die in der Regel absolutes Neuland bedeuten.
Trotzdem muss dem neugierigen Bürger die Möglichkeit gegeben werden, zumindest Einblicke zu bekommen. Die Notwendigkeit habe ich früher einmal so beschrieben: Unsere Wirtschaft ist ein großer Ozean und der Einzelne bzw. ganze Gemeinschaften befinden sich auf einem kleinen Boot mitten in den Wellen. Da tut es gut, wenn zumindest die Richtung erkannt wird. Dabei könnte bei der Navigation ein Kompass helfen oder das Wissen um den Verlauf der Gestirne. Mit dem Sextanten kann man dann auch wie in alter Zeit die Richtung ermitteln. Schön wäre es, wenn das Boot dann auch noch ein kleines Segel besitzt oder später einen Motor, mit dem die grobe Richtung bestimmt werden kann. Als Gemeinschaft muss man sich dann einigen, wohin es gehen soll. Dabei kann die Vernunft eine tragende Rolle spielen. Sollte dies nicht möglich sein, ist es notwendig, dass Einzelne aussteigen und auf einem individuellen Boot als Querdenker ihrer persönlichen Vernunft gehorchend versuchen, das Ziel zu erreichen. Doch das klappt nicht immer, was besonders für die Finanzen gilt. Da sitzen wir alle in einem Boot.
Nun habe ich hier einen interessanten Artikel gefunden, den mir eine Luxemburger Bank hat zukommen lassen. Ich kann nur jedem, der der Vernunft mächtig ist, empfehlen, ihn intensiv zu studieren, denn er ist fachlich und didaktisch einfach Spitze.
Ihr Jean Pütz
(bdl) – Die Covid-19-Krise verschärft die Überschuldung der Industrieländer. Guy Wagner, Managing Director von BLI – Banque de Luxembourg Investments, sieht nur einen Ausweg: die Rückkehr zu mehr Haushaltsdisziplin.
Die außerordentliche Krise, die wir derzeit erleben, hat die Staaten zu einer Reihe von Maßnahmen gezwungen, die bereits jetzt einen Umfang von mehreren Milliarden Euro haben. Können Staaten noch mehr tun?
Man kann sich natürlich zunächst einmal die Frage stellen, wie Staaten ihre Ausgaben finanzieren. Im Allgemeinen haben sie dazu zwei Möglichkeiten: entweder durch höhere (Steuer-)Einnahmen oder aber durch Schulden. Und anders als Privatpersonen haben Staaten vielfältige Möglichkeiten, Schulden aufzunehmen – allen voran durch die Emission von Anleihen, die anschließend von Pensionsfonds oder Versicherungen gekauft werden.
Ist die aktuelle Niedrigzinsphase denn nicht ein guter Zeitpunkt für solche Anleihen?
Technisch gesehen, ja. Der Gedanke aber, dass in Niedrigzinsphasen gewissermaßen alles möglich ist, ist gefährlich. Die Finanzierungskosten sind tatsächlich sehr niedrig oder sogar negativ, und viele fragen sich, warum Staaten dies nicht nutzen, um noch viel mehr auszugeben.
Darauf gibt es zwei Antworten: Zum einen werden die Zinsen wahrscheinlich nicht für immer so niedrig bleiben. Wenn sich Staaten jetzt verschulden und die Zinsen später wieder steigen, wird der Schuldendienst einen immer größeren Teil der Steuereinnahmen aufzehren – und das ist nicht ungefährlich.
Zudem ist das private Sparvermögen nicht unbegrenzt. Je mehr sich ein Staat verschuldet, desto weniger Geld steht ihm zur Verfügung, um den privaten Sektor zu finanzieren.
Heißt das, dass Staaten keinen großen Gestaltungsspielraum haben?
Zu normaleren Zeiten wäre dieser Spielraum quasi unbegrenzt. Doch dann sind da ja noch die Zentralbanken, die man ebenfalls in die Gleichung einbeziehen muss. Wenn die Zentralbanken (wie von manchen gefordert) die von den Staaten ausgegebenen Anleihen direkt kaufen, hätten diese es theoretisch gar nicht mehr nötig, privates Sparvermögen anzuziehen. Dieser Gedanke ist gefährlich, und dieses Vorgehen hatte in der Vergangenheit verheerende Auswirkungen, so z. B. im Deutschland der 1920er Jahre oder später in Lateinamerika oder Afrika.
Nicht ohne Grund war die Unabhängigkeit der Zentralbanken immer ein hohes Gut, nicht ohne Grund war es ihnen verboten, öffentliche Anleihen direkt zu kaufen.
Eine andere Aufgabe, die die Zentralbanken seit einem Jahr übernehmen, ist die Stützung einer expansiven Geldpolitik, die auf den extrem niedrigen Zinsen basiert. Dies hat jedoch keine Probleme gelöst, sondern vielmehr mit zu der Situation geführt, in der wir uns heute befinden.
Das große Problem des weltweiten Finanzsystems ist die immer weiter zunehmende Überschuldung. Wie könnte man aus dieser Situation herauskommen?
Eine Patentlösung gibt es leider nicht. Manche vertreten eine Idee, die auf dem Papier ihren Charme haben mag: Die Zentralbanken könnten ja manche dieser öffentlichen Schuldtitel übernehmen und dann auf die Forderungen verzichten. Dies mag wie ein Zaubertrick aussehen: Weil die Zentralbanken ebenfalls zum öffentlichen Sektor gehören, wäre ein solcher Schuldenerlass für den privaten Sektor neutral, da die Verluste ja von den Zentralbanken getragen würden. Die einzige Konsequenz wäre, dass ihr Eigenkapital stark negativ würde – und manche meinen, das sei gar nicht so schlimm.
Auf dem Papier sieht alles ganz einfach aus…
Und dennoch wäre so etwas in der Realität alles andere als leicht umzusetzen. Zudem könnte dies auch nur ein einziges Mal gemacht werden; anschließend müssten wirksame Leitplanken aufgestellt werden, um zu verhindern, dass sich die Staaten erneut verschulden. Bislang hat so etwas noch nie funktioniert.
Und man könnte sogar noch weiter gehen: Man könnte sich ja vorstellen, dass die Zentralbanken noch mehr öffentliche Anleihen von den Märkten aufkaufen, um in noch größerem Stil Verschuldung zu streichen. Doch all das würde das Problem der Überschuldung im privaten Sektor in keiner Weise lösen.
Der angenehmste Weg, um aus der Schuldenfalle herauszukommen, wäre weiteres Wachstum. Doch weil die Überschuldung das Wachstum bremst, stecken wir hier in einem Teufelskreis.
Bedeutet das, dass die bislang sakrosankten Konvergenz- und Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrags hinfällig geworden sind?
Der große Unterschied zu der letzten schweren Wirtschaftskrise ist, dass die meisten Staaten, vor allem in Europa, seinerzeit zwar auf Haushaltsdisziplin pochten, gleichzeitig aber eine extrem expansive Geldpolitik verfolgten. Heute wird diese Haushaltsdisziplin von manchen bereits als etwas Negatives betrachtet. Stattdessen ist man der Meinung, in einem Niedrig- bzw. Nullzinsumfeld könnten geldpolitische Maßnahmen kaum mehr etwas ausrichten und vielmehr müsse die Haushalts- und Fiskalpolitik übernehmen, um staatliche Ausgaben zu ermöglichen.
Die Abkehr von der Haushaltsdisziplin ist sicherlich eine der großen Lehren, die aus dieser Situation gezogen wurden. Dies ist mittelfristig höchst gefährlich. Guy Wagner, Managing Director von BLI – Banque de Luxembourg Investments
Hinzu kommen die weiterhin bestehenden Inflationsrisiken: Zumindest auf mittlere Sicht sind sie nach wie vor vorhanden, auch wenn die aktuelle Krise kurzfristig eher deflationsfördernd wirkt.
Auf längere Sicht jedoch sprechen verschiedene Faktoren für ein erhöhtes Inflationsrisiko: Zum einen erleben wir zurzeit einen Anti-Globalisierungstrend, der eine Rückkehr zu lokalen Produktions- und Versorgungsketten mit sich bringt. Globalisierung hat stark deflationsfördernde Auswirkungen; Globalisierungsfeindlichkeit hingegen fördert die Inflation.
Zum anderen werden die quasi unbegrenzten öffentlichen Ausgaben, die durch die viel zitierte Geldpresse finanziert werden, die Inflation mittelfristig ebenfalls anheizen.
Was wären die wichtigsten Maßnahmen, die unmittelbar umzusetzen wären?
Schwer zu sagen… Ausgangspunkt des Problems ist offensichtlich die Überschuldung: Derzeit versammeln die sieben G7-Staaten eine öffentliche Verschuldung auf sich, die 140 % ihrer Wirtschaftsleistung entspricht – ein historischer Höchststand. Dabei sind noch nicht einmal die Ausgaben berücksichtigt, die durch die Demographie und die Pensionssysteme bedingt sind.
Die Lösung, öffentliche Schulden zu streichen, kann nur funktionieren, wenn sie perfekt umgesetzt wird. Dazu bräuchte es Garantien, dass sich eine solche Überschuldung nie mehr wiederholt. Die Staaten müssten sich anschließend ausdrücklich dazu verpflichten, die vorgegebene Haushaltsdisziplin einzuhalten. Angesichts dessen, was man in der Vergangenheit erlebt hat, fällt Optimismus an dieser Stelle schwer.