(IER) – Das IER der Universität Stuttgart untersucht die Folgen von Kohleausstieg und Energiewende für deutsche Haushalte.Die Bepreisung von Kohlendioxyd (CO2), wie sie derzeit als flankierende Maßnahme zum Kohleausstieg und auch im Rahmen des geplanten Klimaschutzgesetzes intensiv diskutiert wird, ist ökologisch und ökonomisch effizient und daher sinnvoll. Ohne Maßnahmen zur Rückverteilung wird das Instrument aber je nach Ausgestaltung zu erheblichen Mehrbelastungen der Verbraucher führen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Policy Brief*, den das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart jetzt veröffentlicht hat. Betroffen sind bis zu 70 Prozent der Haushalte insbesondere in den niedrigen und mittleren Einkommensgruppen.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am IER untersuchten in einem vom BMBF geförderten Projekt, wie sich die derzeit diskutierten Transformationsszenarien auf die Einkommen der Haushalte auswirken. Die Szenarien umfassen einen ordnungsrechtlichen Kohleausstieg, wie er von der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung der Bundesregierung (KWSB) vorgeschlagen wurde, sowie alternativ die Einführung einer stringenten CO2-Bepreisung zum Beispiel durch die Einführung eines Mindestpreises und die Kombination dieser Instrumente mit weiteren flankierenden Maßnahmen.
Dabei zeigte sich, dass das Instrument der CO2-Bepreisung zu einem deutlich kosteneffizienteren Transformationspfad führt und daher aus ökonomischer Sicht zu bevorzugen wäre. Für die Verbraucher führt dieser Weg jedoch zusätzlich zu den ohnehin anfallenden Kosten für den Systemumbau zu erheblichen Mehrbelastungen, wenn die Mehreinnahmen des Staates nicht an die Haushalte zurückfließen. Dies gilt im Grundsatz auch für die im Klimaschutzgesetz neu geplante Bepreisung von CO2 in den Sektoren Wärme und Verkehr. „Die Verteilungseffekte einer CO2-Bepreisung sind massiv und fallen in ein gesellschaftliches Klima, in dem schon heute zwei Drittel der Bevölkerung die Auffassung vertritt, die Energiewende sei teuer und belaste vor allem die kleinen Leute“, so der Leiter des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung, Prof. Kai Hufendiek. „Will man die Akzeptanz der Energiewende nicht gefährden, muss der Transformationsprozess dringend diese Verteilungsfragen berücksichtigen.“
Im Detail kamen die Forschenden zu den folgenden Schlussfolgerungen:
- Der Strompreisanstieg, der sich im Falle eines Kohleausstiegs oder bei einer zusätzlichen ambitionierteren CO2-Bepreisung bei der Stromerzeugung ergibt, erscheint mit 0,5 – 2 ct/kWh eher tolerierbar. Werden aber die gesamten Kosten und vor allem Wälzungseffekte auch bei anderen Gütern des täglichen Lebens berücksichtigt, kann sich die Mehrbelastung eines Haushalts je nach Szenario auf bis zu 44 Euro pro Monat summieren.
- Besonders betroffen von der Entwicklung sind Haushalte mit geringeren Einkommen, die bereits heute einen problematisch hohen Anteil ihres verfügbaren Einkommens für Energie (Strom, Wärme, Warmwasser) ausgeben müssen. Aber auch Haushalten, die heute noch in geringem Umfang Ersparnisse zum Beispiel für die Altersversorgung bilden können, werden die finanziellen Spielräume völlig genommen. Dies betrifft bei den Mehrkosten alleine aus der Transformation des Stromsystems bis zu 50 Prozent, bei zusätzlicher Berücksichtigung der Transformation der Sektoren Wärme und Verkehr bis zu 70 Prozent aller Haushalte in Deutschland.
- Ohne verteilungspolitische Begleitung bergen notwendige weitere Maßnahmen zum Klimaschutz damit ein erhebliches Risiko, die Haushalte zu überfordern. Dies betrifft nicht nur die Bezieher von Transferleistungen, sondern reicht bis in die Mittelschicht hinein. Um gesellschaftlichen Verwerfungen vorzubeugen, sind konkrete flankierende Maßnahmen zur Kompensation der Transformationskosten daher unbedingt notwendig und gleichzeitig mit den Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen.
„Unsere Untersuchungen zeigen, dass dem Aspekt einer kosteneffizienten Umsetzung der Energiewende und der Verteilung der Mehrkosten auf die Verbraucher in Zukunft ein deutlich höherer Stellenwert beizumessen ist als bisher“, folgern Dr. Ulrich Fahl, Audrey Dobbins und Claudia Hofer aus dem Projektteam. Dies gelte umso mehr, da angesichts einer Vielzahl von Maßnahmen und von Milliardenzahlungen für die Energiewende in der Bevölkerung der Eindruck entstanden sei, dass die Kostenbelastung der Energiewende keine Rolle mehr spielt. „Ein Pfadwechsel und eine Neuorientierung erscheinen hier dringend notwendig, zumal die CO2-Bepreisung auch im Zuge des Klimaschutzprogramms 2030 sinnvollerweise als zentrales Lenkungsinstrument angesehen wird“, so die Forschenden. Dies gelte sowohl für die gewählte Höhe des effektiven Preises und für die sektorale Abgrenzung, als auch für die Verwendung der Einnahmen in Form einer gewährten oder nicht gewährten Rückverteilung.