(Prof. Helmut Schatz) Mehr als die Hälfte der US-Bevölkerung und etwa 30% der Deutschen nehmen Nahrungsergänzungsmittel zu sich. Eine Kohorte aus der Nurses´ Health Study, einer prospektiven Untersuchung an US-Krankenschwestern von 1984-2014, ergab, dass bei hoher Zufuhr von Vitamin B6 und B12 ein erhöhtes Schenkelhalsbruch-Risiko besteht .
Von 75.864 postmenopausalen weissen Krankenschwestern erlitten in 3 Jahrzehnten 2304 (3%) einen Schenkelhalsbruch. Ihr mittleres Alter bei der Fraktur betrug 75.8 Jahre (Bereich 47.7 – 93.0 ), der mittlere Body Mass Index (BMI) 24.3 kg/m2. Die Fraktur-Patienten nahmen täglich im Mittel 3.6 mg Vitamin B6 zu sich, für Vitamin B12 waren es 12.1 µg/Tag. Dies ist wesentlich mehr als die empfohlene mittlere Tagesdosis (RDA, Recommended Daily Allowance) in den USA von 1.3 mg für Vitamin B6 und 2.4 µg für Vitamin B12 (RDA in der Europäischen Union: 1.4 mg bzw. 2.5 µg).
Vergleich des Frakturrisikos zwischen Patienten mit niedriger (<2 mg/Tag) und hoher (=/> 35 mg) B6-Einnahme: RR 1.29; CI 1.04-1.59, p=0.06; Vitamin B12: niedrige (< 5µg/Tag) vs. hohe (=/>30 µg/Tag) Einnahme: RR 1.25; CI 0.98-1.58, p= 0.02 für linearen Trend).
Das höchste Frakturrisiko fand sich bei kombinierter Einnahme von Vitamin B6 und B12 in hohen Dosen (B6 =/> 35 mg/Tag, B12 =/> 20 mg/Tag): Es war um fast 50% gesteigert (RR 1.47, CI 1.15-1.89) gegenüber Frauen mit niedriger Aufnahme beider Vitamine (B6 <2 mg/Tag und B12 <12 µg/Tag).
Kommentar
Ein erhöhtes Risiko für Schenkelhalsfrakturen unter hochdosierter Einnahme von Vitamin B6 in Kombination mit B12 wurde unerwarteterweise bereits in einer Sekundäranalyse von zwei doppelblinden randomisierten klinischen Studien (RCT´s) gefunden (2). Die Autoren der jetzigen Publikation (1) können keine Erklärung für ihre Befunde geben.
Die Stärke der Studie besteht in der großen Kohorte und jahrzehntelangen Dauer mit Fragebogen-Kontrollen der Diät, der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und anderer möglicher Einflußfaktoren (confounders) alle zwei Jahre. Es konnte aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Krankenschwestern Nahrungssupplemente zu sich nahmen, weil sie in einem schlechteren Gesundheitszustand waren.
Abschließend möchte der Referent betonen, was er in seinen DGE-Blogbeiträgen schon immer empfiehlt: Nahrungsergänzungsmittel und Vitaminpräparate nicht einzunehmen, wenn kein nachgewiesener, gravierender Mangel mit klinischen Symptomen (signs and symptoms) vorliegt. Eine normale, ausgewogene Mischkost versorgt die deutsche Bevölkerung in der Regel ausreichend mit allen notwendigen Vitaminen. Nahrungsergänzungsmittel unterliegen zudem nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern werden rechtlich als Lebensmittel behandelt. Somit sind sie nur anzeigepflichtig, d.h., ihre Zusammensetzung, Wirksamkeit und Sicherheit wird nicht überprüft. Nicht selten sind ihnen Wirkstoffen wie etwa Hormonsubstanzen oder andere, in den Stoffwechsel eingreifende Medikamente beigemischt, die nicht auf der Packung angegeben werden.