Durch Verbrauch fossiler Brennstoffe produziert jede Person auf unserem
Planeten täglich im Durchschnitt elf Kilogramm Kohlendioxid, die in die
Atmosphäre gelangen. Vier Kilogramm davon werden von den Weltmeeren
aufgenommen, was den Treibhauseffekt mildert. Unglücklicherweise
reagiert das Kohlendioxid mit dem Meerwasser zu Säure, welche die
Kalkschalen vieler Meeresbewohner auflösen kann.
Die jetzt im Wissenschaftsmagazin Nature unter Mitwirkung des
Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung veröffentlichte
Studie einer Gruppe von 27&nbs p;Meeresforschern aus Europa, Japan,
Australien und den USA zeigt, dass die Versauerung der Meere in den
Polargebieten bereits in fünfzig bis hundert Jahren zu einem
Verschwinden wichtiger Meeresorganismen führen könnte, viel früher als
bisher angenommen. Bedroht sind vor allem Seegurken, Kaltwasserkorallen
und im Wasser schwebende Flügelschnecken. Da diese Tiere eine wichtige
Nahrungsquelle für andere Tiere von Krebsen über Lachse bis zu Walen
darstellen, sind schwerwiegende Auswirkungen auf das gesamte polare
Ökosystem zu befürchten. Ursachen der Versauerung der Meere sind
eindeutig menschliche Einflüsse,&n bsp;die Forderung der Forscher
ist eine drastische Einschränkung der Treibgasemissionen.
Die Studie beruht auf weltweiten Messungen des Kohlenstoffgehalts der
Meere. "Um die Vorhersagen abzusichern, haben wir 13 alternative
Berechnungsmodelle mit den Daten gefüttert³, erklärt Prof. Reiner
Schlitzer vom Alfred-Wegener-Institut. "Beim Vergleich der Ergebnisse
gab es kleine Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Modellen,
aber die grundsätzliche Aussage war immer die gleiche: Die Meere
versauern viel schneller als bisher angenommen.³ Nach Ansicht der
Wissenschaftler ist die Vorhersage deutlich sicherer als derzeitige
Klimaprognosen, da die Aufnahme von Kohlendioxid durch die Meere
einfachen Gesetzmäßigkeiten folgt und vergleichsweise wenig
Störfaktoren berücksichtigt werden müssen.
Die Computerberechnungen zeigen, dass bei dem derzeitigen Anstieg der
Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre bereits in fünfzig Jahren
in den Polarmeeren die Schalen der dort massenhaft vorkommenden
Flügelschnecken (Pteropoda) einfach aufgelöst werden würden. Die
wärmeren Meere folgen mit Zeitverzögerung. Der Leiter der Studie, Prof.
James Orr vom Laboratoire des Sciences du Climat et de l’Environnement
in Frankreich, meint: "Viele d er jetzt lebenden Menschen werden
erleben, wie die polaren Meere für einige der heutigen
Schlüsselorganismen unbewohnbar werden.³
Die Schale der Flügelschnecken besteht aus Aragonit, einer verbreiteten
Form des Kalziumkarbonats. Nur wenn das Meerwasser ausreichend mit
Aragonit gesättigt ist, können die Schalen der Flügelschnecken wachsen.
In den Berechnungen der Forscher und Forscherinnen werden bereits im
21. Jahrhundert die Aragonit-Konzentrationen in allen Weltmeeren stark
absinken. Betroffen sind nicht nur die Flügelschnecken, sondern auch
Seegurken und die besonders im Nordatlantik verbreiteten
Kaltwasserkorallen.&nb sp;Anders als ihre bekannteren tropischen
Verwandten wachsen Kaltwasserkorallen sehr langsam und sind schon heute
durch die Bodenschleppnetze der Fischerei stark bedroht. Ein
Verschwinden der Korallen würde auch zum Verschwinden der gesamten
Riffgemeinschaft aus Tiefseefischen, Aalen, Krabben und anderen
Organismen führen. Andere schalentragende Meeresbewohner, wie die
ökologisch wichtigen Kalkalgen, die für ihre Schutzgehäuse Kalzit
anstatt Aragonit nutzen, wären zu diesem Zeitpunkt nicht betroffen. Sie
hätten noch weitere fünfzig bis hundert Jahre Zeit, bis sie bei weiter
steigenden Kohlendioxidemissionen das gleiche ;Schicksal ereilen
würde.