fzm – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass
Depressionen bereits im Jahr 2020 zu den zweithäufigsten Krankheiten
gehören werden. An erster Stelle stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Für depressiv erkrankte Menschen ist meist der Hausarzt die erste
Anlaufstelle. Doch viele Allgemeinmediziner sind mit der Diagnose eines
Depressionsleidens überfordert. Zum einen werden Patienten mit
Angststörungen nicht als solche erkannt, zum anderen auch auch
fälschlicherweise als depressiv eingestuft. "Das bedeutet jedoch nicht,
dass Hausärzte nicht kompetent genug sind, depressive Erkrankungen als
solche zu erkennen", betont Dr. med. Martin Sielk, Wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Abteilung für Allgemeinmedizin der Universität
Düsseldorf. "Dass die Zahl der nicht diagnostizierten Fälle über Länder
und Systemgrenzen hinweg konstant bleibt zeigt, dass es sich hier um
ein systematisches Problem handelt, das generell die Primärversorgung
betrifft."
Die Ursachen dafür, warum depressive Erkrankungen in Hausarztpraxen
häufig falsch diagnostiziert werden, haben nun mehrere Studien
untersucht. Die aktuelle Ausgabe der "ZFA – Zeitschrift für
Allgemeinmedizin" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2005) informiert
über diese Arbeiten, bei denen ebenfalls untersucht wurde, wie häufig
Allgemeinmediziner Symptome ihrer Patienten auf eine Angsterkrankung
zurückführen.
Die Analyse ergab, dass Hausärzte seit den 80er Jahren konstant bei
etwa zehn Prozent ihrer Patienten eine depressive Erkrankung
diagnostizieren. Allerdings wird gleichzeitig etwa die Hälfte aller
tatsächlichen Fälle von den Allgemeinmedizinern nicht als solche
erkannt. Mit zunehmender Schwere der Depression steigt die Anzahl der
als richtig diagnostizierten Fälle jedoch an. "Dass depressive
Erkrankungen von Allgemeinmedizinern nicht immer eindeutig als solche
erkannt werden liegt unter anderem daran, dass klinische
Leitlinienempfehlungen zur Behandlung dieser Leiden in der
Hausarztpraxis auf besondere Probleme stoßen", erklärt Dr. Martin Sielk
in der aktuellen Ausgabe der ZFA. "Psychiater gehen bei der Diagnose
von Angsterkrankungen stark formalisiert vor. Allgemeinmediziner
beziehen dagegen viele Faktoren bei der Analyse ihrer Patienten mit
ein. Zum Beispiel befragen sie die Behandelten auch nach ihrem
persönlichen Umfeld." Ob ein Patient antriebsarm, lustlos und traurig
sei, weil er nach einem psychologischen Diagnoseschema als depressiv
eingestuft werde, spiele für den Hausarzt jedoch keine Rolle. Er müsse
seinen Symptomen entsprechend behandelt werden, auch wenn er
wohlmöglich nach den in der Psychiatrie geltenden Kriterien nicht als
depressiv eingeschätzt wird.
Becker, Nicole und Professor Dr. med. Heinz-Harald Abholz:
Prävalenz und Erkennen von Depressiven Störungen in deutschen Allgemeinarztpraxen – eine systematische Literaturübersicht.
Dr. med. W. Christoph Hager und Prof. Dr. med. Heinz-Harald Abholz:
Zur Prävalenz von Depression und Angststörung in der Hausarztpraxis – eine Sekundärauswertung
Dr. med. Martin Sielk und Professor Dr. med. Heinz-Harald Abholz:
Warum bezeichnen Allgemeinärzte andere Patienten als depressiv als Psychiater?