Saure Mitgift für den neuen Verkehrsminister Volker Wissing

(Morning Briefing) – „Das katastrophale Versagen seiner Vorgänger Dobrindt und Scheuer in Sachen Mobilität mit der Bahn“

Wenn das Virus weiter grassiert und mutiert, zuckt die neue Regierung genauso die Achseln wie die alte. Der noch amtierende Gesundheitsminister hat die Generalamnestie bereits erlassen: „Wir werden einander viel verzeihen müssen.“ Was er damit meinte: für verspätete Booster-Impfungen, das fortgesetzte Sterben unter der Atemmaske und andere Nebenwirkungen unserer Politik sprechen Sie bitte mit ihrem Arzt oder Apotheker, nur bitte nerven Sie damit nicht Ihre Regierung.

Aber: Es gibt ein politisches Aufgabenfeld, da gelten keinerlei Beschönigungen. Da entscheiden sich Erfolg oder Misserfolg einzig und allein in einem Ministerbüro. Und – auch das unterscheidet diese Angelegenheit von allen anderen – jeder und jede kann den Erfolg oder eben den Misserfolg dieses Ministers sehen und fühlen. Er ist der Mann ohne Ausreden.

Die Rede ist von der Deutsche Bahn AG und ihrem neuen Chef-Chef, dem liberalen Verkehrsminister Volker Wissing. Er managt – im Auftrag aller Bürgerlein – 100 Prozent der Anteile dieser letzten großen Staatsfirma.

Die Erwartungen an einen Liberalen, der ja in Sachen Wirtschaft und Führung einer Kompetenzvermutung unterliegt, sind deutlich höher als an den Vorgänger, der vor allem fesch, aber fachlich nicht sattelfest war. Hier zur Erinnerung die Mängelliste, die der eine hinterließ und die deshalb oben auf den Schreibtisch des neuen Amtsinhabers gehört:

Punkt 1: Die Worte Bahn und Pünktlichkeit reiben sich. Bei einer vom ADAC durchgeführten Untersuchung von 30 Verbindungen waren nur 43 Prozent der Züge auf die Minute pünktlich; selbst laut der geschönten internen Bahn-Statistik – hier werden fünf Minuten Verspätung als Normalfall akzeptiert und ausgefallene Züge zählen erst gar nicht – waren im Oktober nur 67,6 Prozent der Fernverkehrszüge pünktlich. Jeder dritte Zug ist demnach ein Bummelzug.

Punkt 2: Die Bahn hasst den Mobilfunk. Die Netzabdeckung ist nicht gewährleistet und eine verlässliche WLAN-Verbindung gilt als Glücksfall. Laut der jährlichen Untersuchung der Fachmagazine „Chip“ und „Connect“ konnten etwa über das Telekom-Netz nur rund 90 Prozent der Verbindungen aufgebaut werden. Jeder zehnte WhatsApp-Anruf plumpst ins Funkloch.

Punkt 3: Die Bahn leidet unter Materialermüdung: Marode Brücken, kaputte Tunnel, veraltete Bahnhöfe, wenig Digitalisierungstechnik – die deutsche Schieneninfrastruktur ist in die Jahre gekommen.

Punkt 4: Die Bahn als Treiber der Mobilitätswende ist bisher ein Totalausfall. Sie lockt den Güterverkehr nicht auf die Schiene, sondern stößt ihn in Richtung Straße ab. Bis 2030 soll der Marktanteil im Gütertransport nach den Plänen der Bundesregierung bei 25 Prozent liegen, dabei ist er in der Realität bereits weit unter die 20-Prozent-Marke gefallen. Der Lkw konnte seinen Marktanteil auf 74,1 Prozent ausbauen.

Punkt 5: Der Aufsichtsrat verdient diesen Namen nicht. Er tagt, aber er kontrolliert nicht. Sowohl Bundestagsabgeordnete wie Bundesbedienstete sitzen im Kontrollgremium der Deutsche Bahn AG, nur der Minister bisher nicht. Die Aufsichtsräte nehmen, sagt der Bundesrechnungshof, „konkurrierende Funktionen beim Mittelempfänger DB AG und beim Geldgeber Bund wahr“, sprich sie konnten ihre Kontrollfunktion gar nicht wahrnehmen.

Dabei sei es die Aufgabe des Verkehrsministeriums, „bereits dem Anschein einer möglichen Parteilichkeit bei Entscheidungen“ entgegenzuwirken. Doch der Minister (der bisherige) habe die Interessenkonflikte „weder vorbeugend geprüft“, noch hätten die Aufsichtsratsmitglieder die „widerstreitenden Interessen“ selbst gemeldet. Ein grober Fall von Aufsichtsversagen.

Punkt 6: Das chronische Missmanagement von Bahn-Chef Richard Lutz wurde vom bisherigen Minister nicht goutiert, aber toleriert. Der Schuldenberg des Konzerns hat sich in den vergangenen zehn Jahren beinahe verdoppelt, derweil der Umsatz schrumpfte.