(Morning Briefing) – Wer die Welt – und sei es nur für ein paar Minuten – mit den Augen von Xi Jinping betrachtet, wird eine faszinierende Entdeckung machen. Der chinesische Staatschef und KP-Generalsekretär, der keine Status-quo-Macht, sondern eine Weltmacht im Werden verkörpert, sieht vor sich nicht nur das, was die Amerikaner als „window of opportunity“ bezeichnen, sondern er sieht vor sich eine ganze „world of opportunities“.
Ein ums andere Mal weicht sein großer Gegenspieler, der Westen, freiwillig zurück. Amerika spitzt die Lippen. Aber pfeift nicht. Man droht, ohne zu handeln. China muss nichts weiter tun, als bei dieser historischen Entladung von Weltmachtenergie zuzuschauen. Fast könnte man meinen, Amerika sei als John Wayne gestartet um als Monty Python zu landen.
Die Geschichte der vergangenen drei Jahrzehnte ist eine Geschichte des Rückzugs:
Die ehemals britische Kronkolonie Hongkong wurde am 1. Juli 1997 feierlich an die Volksrepublik China übergeben. Im „Hongkonger Grundgesetz“ hat man demokratische Grundrechte für die 7,5 Millionen Bewohner von Hongkong niedergeschrieben, die seither lustvoll ignoriert werden. Hongkong ist heute das kapitalistische Kronjuwel der Volksrepublik China.
Präsident Barack Obama kündigte im Syrienkonflikt dem dortigen Machthaber Baschar al-Assad Vergeltung an, wenn er die rote Linie überqueren würde:
Die rote Linie wurde überquert. Am 23. August 2013 starben in der Region Ghuta östlich von Damaskus durch eine Reihe von Giftgasangriffen rund 1700 Menschen. Obama zauderte. Heute ist er Geschichte und der syrische Machthaber sitzt fester im Sattel denn je.
Russlands Präsident Putin marschierte am 27. Februar 2014 auf der Halbinsel Krim ein und verschmolz die bis dahin ukrainische Republik mit seiner Russischen Föderation. Der UN Sicherheitsrat tagte; das Weiße Haus tobte und Putin bekam, was er sich genommen hatte.
Präsident Donald Trump war der Weltmeister im politischen Schattenboxen. Er wollte Amerika großartig machen und einigte sich schließlich mit den Taliban auf die kampflose Übergabe Afghanistans. Nachdem Joe Biden diese Verabredung durch den Rückzug aus Kabul in die Realität umgesetzt hat, darf wieder gesteinigt und geköpft werden. Oder um in den abgewandelten Worten des ehemaligen deutschen Verteidigungsministers Peter Struck zu sprechen:
An der ukrainischen Ostgrenze ist eine neuerliche Unterhöhlung staatlicher Autorität durch die Russen zu beobachten. An die 650.000 Bewohner in den nicht anerkannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk wurden bereits russische Pässe ausgegeben. In Reichweite stehen rund 100.000 russische Soldaten.
Der ehemalige außenpolitische Berater von Angela Merkel und künftige Chef der Münchner Sicherheitskonferenz Christoph Heusgen fordert Waffenlieferungen an die Ukraine, damit Kiew wenigstens seine Selbstverteidigung organisieren kann. Die neue Bundesregierung verweigert sich dem Ansinnen: „Die wichtigste geopolitische Erkenntnis dieser Tage ist die anhaltende Schwäche der europäischen Außen- und Verteidigungspolitik”, schreibt Dr. Robert Kelly in „19FortyFive”.
Der chinesische Machthaber kann aus alledem nur einen Schluss ziehen: Wenn er eines womöglich nicht mehr so fernen Tages die abtrünnige Provinz Taiwan annektieren sollte und die 24 Millionen Taiwanesen in das 1,4 Milliarden Volk einverleibt werden, werden sich viele Münder, aber keine Hände regen. Die Annexion Taiwans werden die ihre Freiheit liebenden Taiwanesen verhindern – oder niemand.
Fazit: Der Westen war früher ein Schwergewichtsboxer und ist heute ein Bodybuilder, der sich vom Kämpfen aufs Posing verlagert hat. Man will nicht mehr siegen. Man will imponieren. Und das vor allem dem heimischen TV-Publikum.
Und der Mann in Peking? Hält ohne eigenes Zutun plötzlich eine Carte blanche in der Hand. Der Tag, an dem er sie ausspielt, wird für uns kein fröhlicher sein.
Ein weiterer Grund zur Freude für Xi Jinping: Am Freitag starten die 24. Olympischen Winterspiele in Peking. Allerdings: Es regt sich Widerstand. Nicht nur aufgrund der umstrittenen Menschenrechtslage im Reich der Mitte, sondern auch aus Umweltaspekten. Die Geografie-Professorin Carmen de Jong von der Uni Straßburg vertritt die These:
Die Spiele werden die am wenigsten nachhaltigsten aller Zeiten. “
Dass Olympische Spiele eine hohe Belastung für Mensch und Umwelt bedeuten, ist nicht neu. In Peking werden aber nochmal neue Dimensionen erreicht. Hier ein paar Fakten:
- Es existiert so gut wie kein natürlicher Schneefall in der Region. Für den ordnungsgemäßen Ablauf der Skirennen werden in etwa 185 Millionen Liter Wasser zur Produktion von Kunstschnee benötigt.
- Wegen des geringen Niederschlags in der Region gelangt das Wasser über kilometerlange Pipelines, die unterirdisch neu verlegt wurden, in die Skigebiete