Philosoph Nida-Rümeling liest der Regierung zur Corona-Bewältigung die Leviten – Mit einem Vorwort von Jean Pütz

Liebe Besucher meiner Homepage,
dass die Regierung die Zwischenzeit zwischen der ersten und zweiten Corona-Welle nicht genutzt hat, dem stimme ich zu. Aber dass es Alternativen zum Begegnungen reduzierenden Lockdown gegeben hat, das sehe ich nicht. Die Alten und gesundheitlich Vorgeschädigten aus dem öffentlichen und teils privaten Leben ihrer Familie zu verbannen ist nicht durchdacht und mit auf das Individuum gerichteten Werten  unserer Demokratie nicht vereinbar, es sei denn, man schickt sie in die Isolation. Es stimmt nicht, dass die viel beschwörte Eigenverantwortung der Bürger im Begriff ist, Schiffbruch zu erleiden. Aber das liegt auch an der Heimtücke des Covid-Virus. Im Bewusstsein der meisten vermeintlich gesunden Menschen hat sich nun einmal die Meinung durchgesetzt, dass sie selbst nicht gefährdet sind. Das aber kann in einem persönlichen Desaster enden. Wenn man die Statistiken richtig interpretiert, liegen heutzutage angeblich kerngesund Patienten in den Krankenhäusern oder auf der Intensiv-Station. Auch die Meinung, Corona sei eine Lungenkrankheit, ist nicht mehr haltbar. Das Virus greift vorwiegend unser Blutgefäßsystem. Da unsere Lunge stark mit Blut führenden Kapillaren besetzt ist, erwischt es dieses Organ am häufigsten. Doch auch viele andere – wie zum Beispiel Herz, Leber bis hin zum Gehirn – werden geschädigt. Der in der Statistik hoch gelobte Begriff ‚genesen‘ bedeutet nicht, dass diese Menschen gesund sind. Leider wird diesen Nachwirkungen in der Wissenschaft beigelegt, oder zumindest zu wenig in der Öffentlichkeit verbreitet, um die Menschen nicht noch zusätzlich zu verängstigen. Teilweise sind dafür auch die öffentlichen Medien verantwortlich.

Aber noch viel schlimmer ist, dass sich das Wunschdenken unter dem Motto: was nicht sein darf, das nicht sein kann, so verbreitet hat, dass verrückte ‚Querdenker-Ideen‘ nicht nur Verschwörungstheorien produzieren, sondern auch viele Menschen veranlassen, die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen – genannt AHA –  Abstand halten, Hygiene beachten und Alltagsmaske (Mund-Nasen-Bedeckung) tragen – für unnötig erachtet und sogar bewusst abgelehnt werden. Deshalb liegt darin die Ursache, dass sich selbst in Deutschland, welches von allen Länder am besten die Krise bewältigt hat – mittlerweile extrem hohe Infektionszahlen zu verzeichnen hat. Wahrscheinlich bleibt deshalb nichts anderes übrig, als das wenigstens – trotz aller wirtschaftlicher Nachteile – ein totaler Lockout notwendig wird.

Erfreulich ist, dass diese Empfehlung von den glaubhaften Wissenschaften der Leopoldina in die Diskussion gebracht wurde. Sie sind sonst der Grundlagenforschung verpflichtet, aber hier haben sie sehr pragmatisch die Zeit um Weihnachten und Neujahr empfohlen, der der die Wirtschaft normalerweise auch wegen der Besinnlichkeit die Aktivitäten aufs Minimum reduziert. Leider wird diese Einsicht wiederum nur von zwei Dritteln der Bürger befolgt werden, was die von mir so abgelehnten Strafmaßnahmen wahrscheinlich unverzichtbar machen.

Frohe Weinachten und viel Glück und Impfbereitschaft im Neuen Jahr. Nur damit kommen wir dem strapazierten Gebot der Nachhaltigkeit nach.

Lesen Sie den folgenden Artikel – es lohnt sich
Jean Pütz

Ein Interview mit Professor Julian Nida-Rümeling von Gabor Steingart

(Morning Briefing) – Der Philosoph Prof. Julian Nida-Rümelin, der im ersten Kabinett der Regierung Schröder/Fischer als Kulturstaatsminister im Kanzleramt diente, ist mein heutiger Gesprächspartner im Morning Briefing Podcast Er befindet sich nicht in Fundamentalopposition zur Regierung, aber er ist ihr kritischer Begleiter. Gerade auch die Wissenschaftlichkeit der Merkelschen Lockdown-Politik, auf die sie gestern erneut pochte, bezweifelt er:

Er hat das Gefühl, dass die Zeit zwischen Lockdown eins und Lockdown zwei ungenutzt verstrichen ist:

Was mich wirklich betrübt: Wir haben den ganzen Sommer nicht genutzt, um konsequent eine Strategie einzuschlagen, die nicht diese massiven ökonomischen, sozialen und kulturellen Nebenfolgen hat, wie ein Shutdown oder ein Lockdown. “

Er vermisst die konsequente Nutzung digitaler Technologien, die im demokratisch verfassten Südkorea auch ohne das Schließen und Herunterfahren der Volkswirtschaft zu sensationellen Ergebnissen geführt hat:

Es ist nicht erkennbar, dass wir gegenwärtig eine nachhaltige Strategie haben, die uns sicher über den Winter und über das Frühjahr bringt. “

Er wirbt für das Prinzip des Cocooning, also den besonderen Schutz der besonders gefährdeten Altersgruppen:

Es ist sehr sinnvoll, in dieser Krise nicht mit allgemeinen Maßnahmen alle gleichermaßen einzuschränken, sondern diejenigen in erster Linie zu schützen, die am gefährdetsten sind. “

Der Philosoph entwickelt hier die Alternative zur Rettungspolitik der Regierung. Prädikat erhellend. Falls die Bundeskanzlerin nicht nur ihren eigenen Podcast hört: Die Minuten des Zuhörens sind in diesem Fall gut investierte Zeit. Prof. Nida-Rümelin wird auch sie bereichern.