Lebten Vorfahren der Säugetiere unterirdisch?

die im Sonnenlicht enthaltene
UV-Strahlung kann Zellen und Erbsubstanz schädigen. Die Natur hat daher
für einige Reparatursysteme gesorgt, ein besonders effizientes wird
durch Licht gesteuert. Es ist ein sehr altes System, das sich im Laufe
der Evolution kaum geändert hat. Nahezu alle Organismen verfügen
darüber. Nur den höheren Säugetieren, und damit auch dem Menschen, fehlt
dieses lichtinduzierte Reparatursystem. Sie schützen sich mit einem
weit weniger effizienten Mechanismus. Warum, ist bis heute unklar. Einem
Team des KIT ist es nun in einem internationalen Forschungsprojekt
gelungen, einige Antworten zu geben. Die Ergebnisse veröffentlicht es in
Current Biology (10.1016/j.cub.2018.08.039).

In der Erbsubstanz steckt die Bauanleitung
für sämtliches Leben und alle biologischen Funktionen, zugleich ist sie
anfällig für schädigende Einflüsse. Diese können durch Fehler bei der
Vervielfältigung, aber auch durch externe Faktoren, etwa Strahlung oder
toxische Substanzen, ausgelöst werden. Die Natur schützt sich dagegen
von jeher mit Reparatursystemen. Eines der wichtigsten und
effizientesten ist die sogenannte Photoreaktivierung. Durch sichtbares
Licht werden dabei spezielle Enzyme, sogenannte Photolyasen, aktiviert,
die schädigende Veränderungen der Erbsubstanz rückgängig machen. Von
Pflanzen über Einzeller, Pilze und Bakterien bis hin zu fast allen
Tierarten verfügen Organismen über ein fast identisches System der
Photoreaktivierung. Lediglich höheren Säugetieren fehlt es. Diese
evolutionäre Auffälligkeit verbindet sie mit einem seltenen
Höhlenbewohner: Der blinde Höhlenfisch Phreatichthys andruzzii ist eine
Besonderheit, denn er lebt seit vielen Millionen Jahren unterhalb der
somalischen Wüste in wassergefüllten Felsspalten – völlig isoliert und
im vollkommenen Dunkel. Untersuchungen an dem Fisch ergaben, dass neben
einigen anderen ungewöhnlichen Veränderungen auch dieses Reparatursystem
für die Erbsubstanz defekt ist.

Der Evolution bei der Arbeit zusehen

Gemeinsam mit Professor Tilman Lamparter vom
Institut für Botanik des KIT und Professor Cristiano Bertolucci von der
Universität Ferrara, Italien, untersuchten die Forschenden des Instituts
für Toxikologie und Genetik (ITG) des KIT in einer mehrjährigen
internationalen Zusammenarbeit die Genetik dieses DNA-Reparatursystems
in Höhlenfischen und verglichen es mit dem von Zebrafischen. Dazu
bestrahlten sie Zellen der Fische mit UV-Licht und untersuchten deren
Fähigkeit zur DNA-Reparatur. „Wir konnten nachweisen, dass bei den
Höhlenfischen, im Unterschied zu den Zebrafischen, dieses System nicht
mehr richtig funktioniert. Die betroffenen Gene sind stark verändert und
auch die Art, wie diese Gene durch Licht reguliert werden, ist
abnormal“, so Professor Nicholas Foulkes vom ITG. „Zum ersten Mal können
wir der Evolution gewissermaßen bei der Arbeit zusehen, denn die
Ergebnisse geben uns Hinweise, wie sich diese Reparatursysteme unter
besonderen Bedingungen im Laufe der Jahrmillionen verändert haben
können“, so Foulkes. Das wiederum könnte darauf deuten, warum Säugetiere
diesen Schutzmechanismus nicht mehr besitzen. „Wir glauben, dass wir
hier die ersten Schritte eines Veränderungsprozesses beobachten, wie er
sich bei den Vorfahren der höheren Säugetiere während des Mesozoikums
abgespielt haben könnte“, berichtet der Forscher. Das Erdzeitalter
Mesozoikum begann vor etwa 250 Millionen Jahren und endete vor ungefähr
65 Millionen Jahren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
schlussfolgern daraus, dass diese Säugetier-Vorfahren im Laufe der
Evolution unter der Erde gelebt und als Ergebnis von Jahrmillionen in
Dunkelheit ihr DNA-Reparatursystem verloren haben könnten.

Was sind die Schlüsselgene für UV-Schäden?

Insgesamt, so Foulkes, brächten die
Erkenntnisse ein besseres Verständnis über die Biologie dieser
Reparatursysteme. „Je mehr wir darüber lernen, desto eher können wir
diese Erkenntnisse in einem medizinischen Kontext anwenden“, führt er
weiter aus. Die negativen gesundheitlichen Folgen übermäßiger
Sonnenlichtexposition seien ein wichtiges Gesundheitsthema. „Wir
verstehen aber noch nicht vollständig, welche Mechanismen daran
beteiligt sind und welches die Schlüsselgene für die DNA-Schäden sind.
Sie könnten wichtige Marker und vielleicht auch Ziele für therapeutische
Ansätze sein, um UV-Schäden zu behandeln“, hofft Foulkes.

Warum Fische Fett vertragen

Phreatichthys andruzzii weist noch weitere für die Forschung interessante Besonderheiten auf.
Wie viele andere Höhlentiere auch, ist der Somalische Höhlenfisch
äußerst langlebig und hat eine besondere Zellregulation, welche die
Entstehung von Krebs verhindert. Außerdem verfügt er über eine
ungewöhnlich niedrige Stoffwechselrate. Höhlenfische überdauern längere
Perioden ohne Nahrung, indem sie äußerst effizient Fett speichern. „Wie
überleben sie ohne negative Folgen mit so viel Fett im Körper?“, fragt
Nicholas Foulkes und hofft, durch ein besseres Verständnis dieses
außergewöhnlichen Stoffwechsels langfristig wichtige Erkenntnisse für
den menschlichen Körper erzielen zu können.

Originalpublikation:

Haiyu Zhao, Giuseppe Di Mauro, Sebastian
Lungu-Mitea, Pietro Negrini, Andrea Maria Guarino, Elena Frigato, Thomas
Braunbeck, Hongju Ma, Tilman Lamparter, Daniela Vallone, Cristiano
Bertolucci and Nicholas S. Foulkes: Modulation of DNA repair systems in
blind cavefish during evolution in constant darkness, Current Biology