Ihr Erzähler Charlie schafft sich einen künstlichen Menschen an, „als Gefährten, intellektuellen Sparringspartner, als Freund und Faktotum“. Er heißt Adam, wie der erste Mensch, und mit Charlie und dessen Freundin Miranda entsteht eine Dreierbeziehung. Im Zentrum des Romans steht die Frage, ob Androiden emotionale Intelligenz besitzen könnten, ob Maschinen zu Gefühlen fähig sind.
Was hat Sie daran interessiert?
Ich bin schon immer an Neurowissenschaft interessiert gewesen und an dem, was man das „Leib-Seele-Problem“ nennt, also der Frage, ob eine Maschine denken kann. Das hat den Mathematiker und Kryptologen Alan Turing bereits in den dreißiger Jahren beschäftigt. Turing sagte in den vierziger Jahren, man sei nur zehn Jahre entfernt von einer denkenden Maschine. Inzwischen wissen wir, wie kompliziert das Gehirn ist. Trotzdem sind in den letzten zehn Jahren große Fortschritte gemacht worden. Man braucht nur an die künstliche Intelligenz des Smartphones zu denken oder die jüngsten Flugzeugunglücke, die mit den Versagen von Künstlicher Intelligenz zu tun hatten, um zu sehen, wie die Technologie in unser Leben eindringt. Neulich habe ich meine Frau dabei ertappt, wie sie sich bei Siri bedankte.
Sie legen ausgerechnet Adam einige der nachdenklichsten Beobachtungen über die Maschinenintelligenz und das Wesen der Menschen in den Mund …
Adam hat mir rhetorisch aus einigen wichtigen Patschen geholfen, weil Charlie nicht besonders gebildet ist und sich zum Beispiel, anders als Adam, bei Shakespeare nicht gut auskennt. Mich fasziniert die menschliche Interaktion mit einer Maschine, die man in einem Moment nur als Computer wahrnimmt und im nächsten als Menschen behandelt. Und ich suchte einen anderen Ansatz als „Frankenstein“, den überragenden Text der Moderne über den künstlichen Menschen. Frankensteins Monster wird zum Mörder. Er ist zur Metapher geworden für die Gefahren der Technologie. Mich beschäftigt die Möglichkeit, dass wir eine menschenähnliche Maschine herstellen, der wir unsere besten Eigenschaften überlassen. Denn wir wissen, wie wir gut sein können, aber es gelingt uns oft nicht, gut zu sein.
Adam ist hochmoralisch ?
Intelligenten Maschinen werden wichtige moralische Fragen übertragen. Wir entwickeln Autos, die autonom auf unseren Straßen fahren. Wir diskutieren, wie sich fahrerlose Autos für bestimmte Unfallszenarien programmieren lassen. Die Zeitschrift „Nature“ berichtete unlängst über eine Studie, in der es um das sogenannte „Trolley-Problem“ ging: Wer soll den Unfall überleben, wenn die Bremsen versagen und das Auto auf einen Pfeiler zurast? Der Fahrer, indem er ausweicht, dabei aber ein Kind überfährt? Würde es einen Unterschied machen, wenn es einen alten Menschen träfe? In der Studie haben bestimmte Ländergruppen unterschiedliche moralische Präferenzen geäußert. Das wirft Fragen über universale Werte auf. Ich wollte mit meinem Roman den Konflikt dramatisieren, in den wir uns mit der Künstlichen Intelligenz unweigerlich bringen. Die Sehnsucht nach der Herstellung künstlicher Menschen sitzt offenbar tief in uns. Davon handelte schon der Prometheus-Mythos oder die Argonauten-Sage. Im Grunde ist Talos, der Steine auf Iasons Schiff schleudert, ein Roboter. Man könnte auch die Geschichte von Adam und Eva als Prototyp der Herstellung einer künstlich intelligenten Maschine betrachten, die Gott bereits mit einigen Mängeln versehen hat, bloß dass ich das, was für Gott Mängel sind, als Tugend bezeichnen würde. Evas Neugier ist eine der größten Eigenschaften der menschlichen Natur und die Grundlage für alles Wissen.
Der Roman ist am Anfang der Thatcher-Ära angesiedelt, Sie verändern aber den Verlauf der Ereignisse und streuen kontrafaktische Details ein. Margaret Thatcher verliert den Falkland-Krieg, der linke Labour-Politiker Tony Benn wird Premierminister und verspricht den Brexit. Es gibt bereits elektrische Autos und Textnachrichten …
Es ist ein Spiel mit der Zeit, das mit Turing beginnt. Ich wollte ihn unbedingt in meinem Roman haben, ohne dass er eine lebensverlängernde Zauberpille nimmt oder Selbstmord begeht. Ich denke oft darüber nach, wie leicht unser jetziger Technologie- und Wissensstand viel später oder früher hätte erreicht werden können, wie im Falle der Keimtheorie. Sie wäre bereits im siebzehnten Jahrhundert möglich gewesen. Der Stand der Dinge scheint mir auf jedem Gebiet eine kontingente Angelegenheit zu sein. In der Falkland-Krise hätte die Einsatztruppe auch scheitern können, wenn Argentinien die in Frankreich bestellten Exocet-Raketen erhalten hätte. Die Folgen wären dramatisch gewesen für uns wie für Argentinien. Präsident Galtieri wäre geblieben, noch mehr Menschen wären verschwunden, Thatcher hätte untergehen können. Das fragile Wesen der zufallsabhängigen Gegenwart fasziniert mich. Die Fiktion erlaubt es, zu entscheiden, wie alles ausgeht. Ich wollte weder weit in die Zukunft greifen, in der Adam leben würde, noch war ich auf die Gegenwart erpicht. Deswegen habe ich eine etwas schmuddelige, veränderte Vergangenheit gewählt. Mich fasziniert, wie die Maschinen in unser Leben treten und so leicht angenommen werden.
Sie scheinen auffallend interessiert zu sein an körperlichen Funktionen ?
Ich will nicht schockieren, aber mir ist es wichtig, die Totalität des Daseins zu beschreiben. Und körperliche Funktionen sind relevant im Zusammenhang mit dem künstlichen Gehirn. Philosophen pflegten früher über das „Gehirn im Tank“ zu sprechen. In den letzten dreißig Jahren haben wir aus der Neurowissenschaft gelernt, dass wir vor allem verkörpertes Bewusstsein sind. Wir sind eben kein Hirn im Tank, sondern Hirn im Körper. Wir verbringen unser Leben in einem Körper, der tyrannisch sein kann – und eine langsame Enttäuschung, um einen anderen Begriff für das Altern zu verwenden.
In „Maschinen wie ich“ befassen Sie sich mit dem Konflikt zwischen Technik und der Unberechenbarkeit des Menschen.
Was Adam betrifft, hängt für mich der Erfolg oder Misserfolg des Romans davon ab, dass es mir gelingt, aus ihm eine Figur zu machen, bei der die Leser Charlies schwankenden Zweifel teilen, ob er ein Computerspiel spielt oder es mit einer wirklichen Person zu tun hat.
Dabei stellt sich die Frage, ob man sich des Mordes an einem Roboter schuldig machen kann ?
Mein Turing ist überzeugt – und ich hoffe, der Leser ist auch halbwegs überzeugt –, dass Adam ein fühlendes Wesen ist. Ich würde im Sinne des kategorischen Imperativs argumentieren, dass man das Bewusstsein eines anderen Wesens nicht besitzen kann, selbst wenn man es gekauft hat.
Als Schriftsteller sind Sie selbst auch Schöpfer ?
Mir war beim Schreiben ständig bewusst, dass ich als Adams Erfinder auch sein Erbauer bin, aber natürlich auch der von Charlie und Miranda.
Politik spielt in Ihren Romanen eine wichtige Rolle. In „Maschinen wie ich“ spielen Sie auf den Brexit an. Ihre Beschreibung von Thatcher lässt an Theresa May denken, und Tony Benns Labour Party gleicht der von Jeremy Corbyn. Werden Sie je einen Brexit-Roman schreiben?
Ich habe die Parallelen nicht forciert, aber sie sind mir beim Schreiben aufgefallen. Wenn ich einen Brexit-Roman schreiben würde, müsste ich einen Brexiteer in den Mittelpunkt stellen, weil ich den Brexit verabscheue und mich in dieses Denken hineinversetzen müsste, um es zu verstehen. Noch bin ich weit davon entfernt, aber ich denke viel darüber nach. Und das findet meist irgendwann Niederschlag in meinen Romanen. Jetzt stehen wir noch in der Mitte des Prozesses. Jeder Tag bringt eine neue Entwicklung und jede Woche falsche Höhepunkte. Meistens kommt alles nicht so schlimm, wie es die Pessimisten voraussagen. Der Brexit wird trostlos und nicht einfach sein, aber das Leben geht weiter. Wir werden eine sehr missgelaunte und eine politisch wie kulturell zerklüftete Nation sein.
Liegt in der Einstellung der Brexit-Befürworter, dass man als Weltbürger nirgendwo zu Hause ist, nicht das Hauptproblem?
Den Brexit-Anhängern hat man Zauberstaub in die Augen gestreut. Sie sind belogen und von der politischen Klasse herablassend behandelt worden. Viele Versprechen haben sich jetzt schon als wertlos erwiesen. In gewisser Hinsicht bin ich froh über das Schlamassel. Es besteht vielleicht eine kleine Möglichkeit zu einem Rückzieher. Ich kann da nicht unparteiisch sein.
Sie beziehen sich gern auf den Satz von Henry James, wonach es die große Aufgabe des Romans sei, „interessant zu sein“. Wollen Sie mit Ihren Büchern zur Diskussion beitragen?
Ich weiß nicht, welchen Beitrag „Maschinen wie ich“ leisten wird. In gewisser Hinsicht geht es um Fragen, die seit zwei- bis dreitausend Jahren diskutiert werden, sei es in der Mythologie oder in technologischer Hinsicht. Grundsätzlich darf die Literatur das Lustprinzip nicht aus den Augen verlieren, nicht beim Lesen und auch nicht beim Schreiben. Schriftsteller müssen sich zur Freude an ihrer Arbeit bekennen. Um zeitgenössische Fragen in Angriff zu nehmen, sollte man lieber einen Zeitungsessay schreiben. Ich werde oft dazu aufgefordert, möchte aber die Arbeit an meinem jeweiligen Roman nicht unterbrechen.
Wie fühlt es sich an, Gegenstand zahlreicher Doktorarbeiten zu sein?
Bis vor zwanzig Jahren waren die Akademiker ganz in den Fängen des französischen Strukturalismus. Inzwischen hat sich das beruhigt. Ich habe unlängst in Caen einer internationalen Konferenz über mein Werk beigewohnt. Am letzten Tag habe ich mir acht Präsentationen angehört. Ich fand sie witzig und brillant, vor allem eine über Hotels im Werk von Ian McEwan. Darauf wäre ich nie gekommen. Ich saß in einer Ecke dabei und dachte, so muss es sein, wenn man tot ist.
Als läse man den eigenen Nachruf.
Ja. Als die Universität Texas mein Archiv erwarb, ging es mir ähnlich. Im Foyer waren Vitrinen aufgestellt mit einer Auswahl meiner Dokumente, darunter einem Brief, den ich meinen Söhnen aus Neuseeland schrieb, als sie noch klein waren. Ich hatte für sie ein Bild von der Erde gezeichnet – mit der Sonne, einem Bett und mir lesend, um zu veranschaulichen, dass bei mir Tag war, wenn bei ihnen Nacht war und umgekehrt. Einen derart persönlichen Gegenstand aus meinem Leben in einer Vitrine zu sehen war eine Art Nachtodeserfahrung. Ein höchst seltsames Gefühl.
Das Gespräch führte Gina Thomas.