KI- was ist das? Interview mit einem großen KI-Experten

In diesem Beitrag geht es vor allen Dingen auch um Defizite, die unsere
Gesellschaft in Beziehung zum ‚rationalen Denken‘ aufweist. Diesem Thema
widme ich, Jean Pütz, mich in meinen Statements auf meiner offiziellen
Facebook-Seite, erreichbar über Google unter dem Stichwort ‚Jean Pütz
Facebook‘. Dort sind mittlerweile weit über 50 Beiträge zum Thema ‚Der
Vernunft eine Chance‘ entstanden. Gegen das sogenannte Postfaktishe
Zeitalter ist auch diese Homepage entstanden, die ausschließlich mit den
seriösen Wissenschaftlern (Science Comunity) Abhandlungen enthält.

Mit gutem Gewissen kann ich dieses Interview jedem empfehlen, der kritisches Denken bevorzugt.

Ihr Jean Pütz

KI-Experte Chris Boos

„Rationales Denken ist derzeit nicht hip“

von
Thomas Tuma
und
Christof Kerkmann

Der KI-Experte über die Angst vor alles beherrschenden Superhirnen,
Ethik für Programmierer und wann Arbeit die Menschen wirklich glücklich
machen würde.
Der Arago-Chef gilt mittlerweile als einer der wichtigsten Experten für Künstliche Intelligenz hierzulande. Lêmrich für Handelsblatt

Der Arago-Chef gilt mittlerweile als einer der wichtigsten Experten für Künstliche Intelligenz hierzulande.

Quelle:
Lêmrich für Handelsblatt

Schon im Foyer seiner Frankfurter Firma Arago wird klar, dass Chris Boos kein normaler Unternehmer ist: „We’re building an asshole-free company“,
steht dort plakatgroß an der Wand. Na ja, das beschreibe zumindest das
Ideal, schmunzelt er dann auf dem Weg zum Konferenzraum. Und natürlich
ist auch der nach einer besonderen Ikone benannt: Douglas Adams, Autor
der Science-Fiction-Reihe „Per Anhalter durch die Galaxis“, die einst
ebenso fröhlich wie tiefschürfend die ganz großen Fragen stellte. Das
passt gut zu Boos, der mittlerweile als einer der wichtigsten Experten für künstliche Intelligenz hierzulande gilt.

Herr Boos, in Kino und Literatur endet
unsere Zukunft meist in düstersten Katastrophen. Verantwortlich ist oft
die Erschaffung maschineller Intelligenz. Sind Künstler einfach zu
kritisch?

In den Achtzigern waren alle Roboter plötzlich
Terminatoren. Interessanterweise ändert sich das neuerdings. Künstliche
Intelligenz wird plötzlich mit anderen Werten aufgeladen. In „Ex
Machina“ fängt die Maschine an, sich gegen ihre Gefangenschaft zu
wehren. Und man versteht das auch als Mensch. Die Kunst entwickelt sich
also allmählich weg von den Dystopien früherer Zeiten …

… was Ihnen als KI-Experten sicher gelegen kommt.
Die
Künstler haben recht mit ihrer Kritik. Die größte Gefahr ist nicht die
Technik, sondern der Mensch, der sie für seine Zwecke nutzt. Immer
schon. Und wie mit jeder Technik kann man auch mit KI gute und schlimme
Dinge tun.

Was ist überhaupt KI?
Dazu gibt
es natürlich einen KI-Witz: KI heißen nur Dinge, die nicht
funktionieren. Sobald was klappt, kriegt es einen richtigen Namen …
Gesichtserkennung etwa. Der ganze Mythos von alles beherrschenden
Superhirnen ist halt nur völliger Quatsch …

… aber doch beunruhigend …
Beunruhigend,
aber in einem positiven Sinne, sind nur die Zeiten, in denen wir gerade
leben. Denn erstmals seit Langem treffen sich angesichts solcher
Debatten ja Naturwissenschaften und Philosophie wieder. Das kann nur
helfen.

Was ist KI denn nun und was nicht?
Ich
versuch‘s mal ganz deutsch und erkläre Ihnen erst mal, was sie NICHT
ist. KI versteht nichts, auch wenn immer mehr Marketingprofis das gern
behaupten. Maschinen verstehen nichts. Korrelation und Kausalität sind
nicht das Gleiche.

Bitte?
Aus einzeln validen
Statistiken könnte man den Schluss ziehen, dass Menschen, die Skier
kaufen, an ihren Bettlaken ersticken. Das hat aber miteinander nichts zu
tun. Und darum dürfen wir Maschinen nicht auf Korrelationen arbeiten
lassen. Und Kausalitäten können eben bisher nur wir Menschen rational
argumentieren. Aus solchen Missverständnissen heraus werden bisweilen
wirtschaftlich katastrophale Entscheidungen.

Ein Beispiel!
Einer Maschine,
die gut Schach spielen kann, wird unterstellt, sie sei auch gut in
analytischem Denken. Das ist aber totaler Quatsch. Sie wird nie etwas
anderes können als Schachspielen. Es werden aber leider auch schon
Maschinen angeboten, die sich die Gespräche in Meetings anhören und dann
angeblich erklären können, was wirklich los war, und darauf basierend
Entscheidungen treffen. Leider ist aktuell unglaublich viel solcher
Werbe-Bullshit zu beobachten.

Gern wird auch behauptet, dass Maschinen dem menschlichen Gehirn nachempfunden würden.
Und
wer so was sagt, sollte zur Strafe seiner alten Bio-Lehrerin beweisen,
dass die Amöbe dem menschlichen Körper nachempfunden ist. Große
neuronale Netzwerke haben heute vielleicht eine Million Knoten und
brauchen ein halbes Atomkraftwerk. Ein durchschnittliches menschliches
Gehirn hat 84 Milliarden Neuronen und kommt mit einem Butterbrot aus.

Wenn Moores Gesetz, wonach sich die Rechenleistung alle 18 Monate verdoppelt, weiterhin gilt …

dann könnten wir 2029 das elektrische System des Gehirns nachbauen. Ja,
ja. Aber eben auch nur das. Da würden noch die gesamte Chemie und die
Quantenmechanik fehlen. Mit drei Bier ist auch Ihr Gehirn schon wieder
ein ganz anderes.

Sie plädieren für Pragmatismus in der KI-Debatte?
Ich
plädiere dafür, nicht in Angststarre zu verfallen vor Maschinen, die
uns morgen wie Ameisen zertreten werden. Am Steuer wird immer der Mensch
sitzen. Und er wäre sehr dumm, wenn er sich diese Kontrolle aus der
Hand nehmen ließe. Wenn wir überhaupt vor irgendetwas Angst haben
sollten, dann davor, dass die anderen gerade die Zukunft entwickeln,
während wir uns wegducken und keine haben wollen. Dann nämlich könnte Deutschland ganz schnell vom größten Industrie- zum größten Entwicklungsland werden.

Wer ist in Forschung und Entwicklung derzeit am weitesten, China?
In
der Forschung sind wir in Europa und gerade in Deutschland wirklich
gut. Plattform-Ökonomien gibt es aktuell aber nur in den USA und in
China. In Europa ist bislang nicht viel. Gerade in der Volksrepublik ist
das Mindset ein ganz anderes: Die machen einfach. Und da das
Zeitfenster viel kleiner ist, als hierzulande noch viele denken, ist
China momentan schon sehr erfolgreich …

… aber nicht, weil die IT-Unternehmen dort
besonders schlau sind, sondern weil die Politik in Peking den
unbedingten Willen hat, bis zum Jahr 2025 die Führungsposition
einzunehmen. Die deutsche Regierung werkelt noch an einer KI-Strategie.

Politik
läuft der Realität zwangsläufig immer hinterher. Dafür sollte man sie
nicht schelten. Das Dümmste ist doch, Probleme regulieren zu wollen, die
wir noch gar nicht haben. Auch da sind die Chinesen viel nüchterner.
Schauen Sie sich nur den Markt für Leihfahrräder an! Peking wurde erst
zugepflastert mit Rädern, dann hat man eben wieder aufgeräumt. Das eine
wie das andere ging sehr schnell. Es ist nur alles eine Frage der
Geschwindigkeit, des Mindsets, und das wiederum ist eine
gesellschaftliche Frage.

China ist jedenfalls noch nicht führend in der KI-Forschung …

gibt das auch zu, will es immerhin werden und ist bereit, dafür enorm
viel Geld auszugeben. Was Start-up-Finanzierung angeht, sind wir in
Europa mittlerweile ganz gut aufgestellt. Aber in der zweiten Runde,
wenn deutlich größere Summen aufgerufen werden, ist China immer vorne
mit dabei.

Es sollte also in Deutschland mehr über Geld als über Regulierung gesprochen werden?
Auf
jeden Fall. Ich werde immer noch für einen Fantasten gehalten, wenn ich
über Milliarden-Bewertungen noch junger Unternehmen spreche. Dann sage
ich: Hier geht’s nicht um Geld, sondern um die Erschaffung einer neuen
Währung, mit der sich solche Technologien zusammenziehen lassen.

Ist es da nur romantisches Beiwerk oder wichtiges Asset, wenn die Bertelsmann Stiftung jüngst forderte, die Entwickler von Algorithmen bräuchten dringender denn je einen eigenen berufsethischen Kodex?
Braucht
den nicht jeder Mensch? Wir können nicht so tun, als wäre es möglich,
dieses eminent wichtige Thema an ein paar Programmierer abzudrücken, die
das natürlich auch angeht. Zum Beispiel sollten möglichst wenige
KI-Profis sich am Bau von Waffensystemen beteiligen, weil das böse ist.
Übrigens wollen Militärs gar nicht, dass Maschinen die
Entscheidungshoheit darüber bekommen, wann getötet wird. Und das ist
auch richtig so.

Schon Algorithmen, die Vorurteile reproduzieren, sind ein Problem.
Klar
sind KIs voreingenommen. Aber warum? Weil unsere Gesellschaft
voreingenommen ist. Da können wir noch so politisch korrekt reden, wir
handeln oft anders. Und das ändert sich nur langsam. Dass Männer und
Frauen noch immer vielerorts unterschiedlich bezahlt werden, hat ja
nicht damit zu tun, dass Frauen schlechtere Menschen sind. Aber solches
Verhalten zu verändern dauert lange. Algorithmen bilden ab, was wir in
der Gesellschaft haben. Letztlich sind sie ein ziemlich fieser Blick in
den Spiegel.

Sie sagen selbst, dass künftig 80 Prozent der Arbeit von Maschinen übernommen wird. Auch das macht den Menschen Angst.
Warum
eigentlich? Wir haben schon immer unsere eigene Arbeit abgeschafft.
Früher hat uns das sogar Spaß gemacht, weil wir zum Beispiel erkannten,
dass es nicht allzu erstrebenswert ist, Felsblöcke für eine Pyramide
durch die Gegend zu schleppen.

Wir fürchten uns eben davor, dass die Maschinen uns überflügeln.
Aber
dafür bauen wir sie doch! Oder will einer von uns Kran werden? Oder
Flugzeug? Oder Blutdruckmessgerät? Damit geht noch eine andere Frage
einher: Sind wir überhaupt glücklich mit dem, was wir tun? Da werden Sie
in Deutschland nicht allzu viel Zustimmung finden. Andererseits leben
in manchen Teilen Afrikas Menschen in bitterster Armut – und dennoch
können sie von Herzen lachen.

Wie erklären Sie sich das?
Je
höher entwickelt eine Gesellschaft ist, umso unglücklicher wird sie.
Weil die zugrunde liegende Industrialisierung von Skaleneffekten lebt,
die uns Menschen wiederum dazu zwingt, wie gut geölte Maschinen zu
funktionieren. Die Chance der Digitalisierung ist nun, dass wir Menschen
wieder Dinge tun, für die wir besonders geeignet sind mit all unseren
Talenten, die Maschinen nie erreichen werden und die uns deshalb auch
Freude machen.