Interview mit Jean Pütz – Auszug aus dem Buch ‚Unser Corona-Jahr‘, Swiontek-Verlag Mainz
Der Vernunft eine Chance geben
Fernsehjournalist Jean Pütz: Allgemeinverständliche Wissenschaft ist Gegengift gegen Populismus
Jean Pütz, geboren 1936 in Köln, ist ein bekannter, mehrfach ausgezeichneter Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator. Als Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk gründete und leitete er über 30 Jahre die Redaktion Naturwissenschaft und Technik und moderierte mehrere Sendereihen wie „Die Welt des Schalls“ und die „Wissenschaftsshow“. Populär wurde er vor allem durch seine Sendung „Hobbythek“, aber auch durch Umweltmagazine wie „Dschungel“ und „Globus“. Auf Facebook, wo er eine Art Corona-Tagebuch veröffentlicht, hat Pütz derzeit 84 000 Follower.
Herr Pütz, haben Sie als erfahrener Wissenschaftsjournalist die Corona-Pandemie vorausgesehen?
Wir haben alle im Winter 2020 noch unbeschwert Karneval gefeiert, bevor es plötzlich mit dem Virus losging. Auch ich habe gedacht: Was im fernen China passiert, ist ein lokales Ereignis und kann nicht so schlimm sein. Als es dann aber zu dem Infektionsausbruch im Kreis Heinsberg kam, war mir als studierter Soziologe mit Statistik-Kenntnissen rasch klar, wie rasant das Virus sich ausbreiten würde. Ich habe mir deshalb schon früh Gedanken gemacht, was man gegen die Ausbreitung unternehmen könnte.
Zu welchem Ergebnis sind Sie dabei gekommen?
Mir war von Vornherein bewusst, dass vieles daran hängt, ob wir Mund-Nasen-Schutze haben. Die asiatischen Länder kommen glimpflicher durch die Pandemie, weil es bei ihnen Tradition ist, Mundschutz zu tragen. Bei uns hat man das Tragen von Masken dagegen lange lächerlich gemacht, und die Politik hat die breite Bevölkerung im vergangenen Frühjahr sogar anfangs davor gewarnt, sie zu kaufen, weil für das medizinische Personal nicht genug vorhanden war. Das war ein fundamentaler Fehler. Hätte die Bevölkerung eher Mundschutz getragen, dann hätte das Virus sich am Anfang nicht so stark ausgebreitet. Daher habe ich schon am 10. März eine Bastelanleitung zum Selbstnähen einer Patent-Nasen-Mund-Schutz-Maske mit Innentasche zur Aufnahme diverser Filter vorgestellt, mit der ich selbst bisher ungeschoren durch die Pandemie gekommen bin. Was ich anderen empfehle, nutze ich selbst auch.
Haben Sie als Angehöriger der Hochrisikogruppe Angst, sich anzustecken?
Ja, ich habe Angst vor einer Infektion, weil ich mir schon früh darüber im Klaren war, dass selbst dann, wenn sich nur schwache Krankheits-Symptome gezeigt haben, die Nachwirkungen nicht zu unterschätzen sind. Mit dem oft vermittelten Irrtum, dass eine Corona eine reine Lungenkrankheit sei, habe ich selbst in Facebook-Posts schon früh aufgeräumt. Das Schlimmste ist, dass die Viren die auch Blutgefäße befallen und dadurch Herz, Niere und Bauchspeicheldrüse, ja sogar das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen werden und es dabei zu neurologischen Ausfällen kommen kann.
Sie haben sich also mit dem Thema Corona stark auseinandergesetzt?
Ich habe mir schon frühzeitig alle Informationen dazu herangeholt, die ich bekommen konnte, und mich sehr stark mit dem Thema beschäftigt. Es macht inzwischen 50 Prozent meiner Recherche-Arbeit aus.
Wie beurteilen Sie die zentrale Rolle, die die Wissenschaft in der Corona-Krise spielt?
Mein großes Anliegen ist es seit Jahrzehnten, die Ergebnisse der Wissenschaft verständlich zu machen. Das eine Problem ist, dass sich heutzutage jeder als Wissenschaftler bezeichnen kann, weil das kein geschützter Begriff ist. Das andere Problem besteht darin, dass die Schwarmintelligenz der Deutschen bei den Naturwissenschaften minimal ist. Wenn Menschen aber etwas nicht verstehen, dann bekommen sie Ängste. Die Folge ist, dass die Wissenschaft dann sehr schnell für etwas verantwortlich gemacht wird, wofür sie nicht verantwortlich ist. Die Parole lautet häufig, dass nicht sein kann, was nicht sein darf.
Was kann man dem entgegenhalten?
Man muss der Vernunft eine Chance geben, und Wissenschaft ist nichts anderes als kristallisierte Vernunft und Logik – sollte sie zumindest sein. Im Vordergrund muss die Empirie, die Erfahrung stehen. Wissenschaft setzt auf stets wiederholbare Ergebnisse. Zu Recht haben derzeit die Virologen, Epidemiologen und Infektiologen das Sagen und werden von den Medien vorrangig befragt. Manche sind aber leider nicht in der Lage, die Akzeptanz der Bürger zu erlangen, weil sie in ihrer eigenen Sprache, ihrem Fachchinesisch sprechen und deshalb schwer zu verstehen sind. Dafür gibt es Wissenschaftsjournalisten, die die schwierigen Zusammenhänge verständlich machen können und müssen. Immerhin schaffen es aber einige Wissenschaftler, wie etwa der bekannte Virologe Christian Drosten, ihre Informationen allgemeinverständlich weiterzugeben, Kompliment, dafür müssen sie nämlich vom Elfenbeinturm heruntersteigen, was nicht einfach ist. Entscheidend ist, dass die Wissenschaft nicht den Bezug zur Allgemeinheit verliert und über den Tellerrand hinausschaut.
Es gibt aber auch unterschiedliche Standpunkte bei den Wissenschaftlern, und manche korrigieren im Laufe der Zeit ihre Positionen. Wird das von der breiten Öffentlichkeit verstanden?
Nein, die Leute können das nicht nachvollziehen und wissen oft nicht, wie Wissenschaft funktioniert. Sie haben auch keinen Überblick über die Sachlage. Ich bin zudem sicher, dass die Wissenschaftler manches anders gemacht hätten, wenn sie frühzeitig mehr über Covid-19 gewusst hätten. Definitive Forschungsergebnisse aber hatten wir im Frühjahr 2020 nicht und haben wir bis heute nicht.
Wie sehen Sie das Verhältnis von Politik und Wissenschaft in der Pandemie?
Das Verhältnis ist an der Schnittstelle von Politik und Wissenschaft sehr schwierig. Das Problem ist: Ein Politiker, der sich auf Vernunft und Sachkenntnis stützt, hat wenig Chancen. Wenn er Relevanz haben und dem Volk aufs Maul schauen will, darf er das also nicht tun. Der Populismus feiert leider immer mehr Triumphe.
Im Frühjahr 2020 verzeichnete die Regierung aber unglaubliche Zustimmungswerte, als sie ihre harten Maßnahmen auf das Votum der Wissenschaft stützte…
Das hatte damit zu tun, dass es zu dieser Zeit große Ängste in der Bevölkerung gab. Wenn es wirklich gefährlich wird, dann suchen die Menschen einen Anker, an dem sie sich festhalten können, und nehmen die Maßnahmen der Regierung als unabänderlich und alternativlos hin. Wenn man das Virus wirklich bekämpfen will, dann müssen die Ergebnisse der Wissenschaft möglichst in Politik umgesetzt werden. Es kommt vor allem darauf an, Kontakte weitgehend zu verringern, nur so lässt sich die Übertragung von Mensch zu Mensch kontrollieren.
Wie konnte es aber dann passieren, dass bei manchen die Stimmung plötzlich kippte und sich auf Demonstrationen von Corona-Leugnern, Querdenkern und Verschwörungstheoretikern entlud?
Das sind die Neunmalklugen, die sich über die Naturgesetze stellen, und teilweise soweit gehen, dass sie im Zweifelsfall die Nacherkrankungen und sogar den Tod vieler Menschen in Kauf nehmen würden. Das Problem ist auch, dass das Virus stark selektiert und hauptsächlich die Alten und Jüngere mit Vorerkrankungen erwischt. Viele dieser Leugner kennen niemanden, der an Covid-19 erkrankt war und einen schweren Verlauf hatte. So ist das mit dem Begreifen von seelenloser Statistik. Die Bürger glauben daher den Fehlinformationen in den sozialen Medien eher als selbst seriöser Presse. So entstand der verunglimpfende Begriff „Lügenpresse“, wieder einmal ganz nach der Vorstellung, dass nicht sein darf, was nicht sein kann, was ganz tief in der menschlichen Psyche verankert ist. Außerdem ist es bei allen Pandemien der Vergangenheit, Stichwort: Pest, Cholera, Pocken, so gewesen, dass immer nach einem Schuldigen gesucht wurde, der oft überhaupt nichts damit zu tun hatte. Sogar das Wasser wurde verantwortlich gemacht, was zu der Manie zu Zeiten der französischen Könige führte, dass sogar auf das Waschen verzichtet wurde. Aber auch Juden, andersgläubige, angebliche Hexen und deklarierte Sünder wurden bildlich gesprochen dem Scheiterhaufen übergeben. So wird auch heute diffamiert auf Teufel kommt heraus.
Was ist überhaupt die Ursache für die Proteste der „Querdenker“, Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker gegen die Maßnahmen des Staates? Angst vor Kontrollverlust?
Das hat mit Kontrollverlust und Angst zu tun, die aber emotional weggedrückt werden. Viele betrügen sich so selbst. Für die Corona-Leugner ist gleichsam eins plus eins nicht mehr gleich zwei. Sie sind keinem rationalen Argument mehr zugänglich, und es hat keinen Zweck, mit ihnen zu diskutieren. Durch die Wirklichkeit und die Entwicklung der Pandemie – die bewiesene Übersterblichkeit in manchen Regionen lässt sich gar nicht mehr leugnen – sind sie längst überrollt und widerlegt worden, aber das ignorieren sie. Sie suchen einen Feind und einen Grund, jemanden zu diffamieren, und finden ihn. Die tiefere Ursache liegt darin, dass wir in der Wissenschaft und Technik einen Turmbau zu Babel errichtet haben. Die Menschen nutzen die gedankenlos die auf Wissenschaft beruhende Technik, etwa beim Smartphone, ganz selbstverständlich, durchschauen aber nicht mehr, was dahinter steht, weil es zu kompliziert geworden ist. Wir, die Eingeweihten, haben dabei versagt, den vielzitierten „kleinen Mann“ zu informieren. Wie viele inzwischen bereit sind, auf den Populismus herzu einfallen, ist erschreckend, ich gehe von bis zu einem Drittel der Deutschen aus. Wenn es uns nicht gelingt, diese Unwissenheit und Ignoranz gegenüber der Wissenschaft abzubauen, sind wir gescheitert und müssen die schlimmen demokratisch wirksamen Folgen tragen, denn nur mit Vernunft lässt sich der Zusammenbruch des Turmbaus zu Babel verhindern.
Können Sie guten Gewissens empfehlen, sich impfen zu lassen?
Ja, das empfehle ich mit voller Überzeugung. Wir müssen die Menschen nur darüber aufklären, wann und wie das Impfen funktioniert, und das geschieht in den Medien ganz gut. Der mit völlig neuen und extrem kreativen Methoden der Gentechnik entwickelte Impfstoff von Biontech/Pfizer und ähnlichen, ist relativ nebenwirkungsarm. Trotzdem reagiert jeder Organismus auf seine Art und Weise. Dazu gehört auch eine manchmal heftige Unpässlichkeit, aber das gehört zum Immunisierungsprozess. Wenn man eine Risiko-Betrachtung macht, dann ist das aber bei Weitem das kleinste Übel. Wenn man durch die Impfung Millionen von Menschen vor der Krankheit bewahren kann und Hunderttausende vor dem Tod, dann ist Impfen die beste Medizin, die je entwickelt wurde. Das Problem ist nur, dass der Beweis, wegen einer Impfung nicht krank geworden zu sein, sehr schwer zu führen ist.
Bei Medikamenten ist das anders. Vielleicht ist auch versäumt worden, solche Medikamente gegen das Corona-Virus genauso intensiv zu entwickeln und zu subventionieren, wie das bei der Gewinnung des Impfserums der Fall war.
Läuft das Impfen bisher zu langsam?
Ich bin nicht glücklich darüber, wie das Impfen bisher abläuft. Es wäre Aufgabe der Kommunen und Landkreise gewesen, die Leute über das Impfen zu informieren. Jetzt sind viele verunsichert und wissen nicht, ob sie sich impfen lassen sollen, die Hotlines sind überlastet, die Impfzentren stehen leer. Das hätte besser laufen müssen.
Wie wird die Welt nach der Corona-Pandemie aussehen? Genauso wie vorher, oder wird man Lehren aus der Krise ziehen, etwa im Hinblick auf den Klimawandel?
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und will meist das Leben fortführen, das er kennt. Im Hinblick auf den Klimawandel begreifen selbst die Grünen nicht, dass der Energieverbrauch, der mit Gebäuden verbunden ist, dringend reduziert werden müsste und auch um 95% Prozent reduziert werden kann. Der CO2-Ausstoß über unsere privaten Autos macht dabei nur 6-8% aus. Man hat den Hebel an der falschen Stelle angesetzt. So wie im Moment mit den vorgeschlagenen Methoden des Mainstreams lässt sich der Anstieg der Welttemperatur nicht lösen. Das eine tun, das andere nicht lassen, ist die Devise, die ich persönlich für mich gelöst habe. Mein Vorschlag des HyperHyrid-Autos, welches eine viel bessere Ökobilanz besitzt als das reine Elektroauto, ist als Prototyp realisiert und benötigt beim Bau und Betrieb nur noch maximal 10% der natürlichen Ressourcen. Ich persönlich lebe aus Überzeugung weitgehend CO2-neutral, indem ich den Hebel bei meinem eigenen Haus angesetzt habe. Es gibt durch die Photovoltaik mehr Energie, als ich während des ganzen Jahres zum Heizen und zum Betrieb benötige. Dabei habe ich mich an orientiert an Vorschlägen, die ich vor 30 Jahren in einer der berühmten ARD-Sendereihe ‚Bilder aus der Wissenschaft‘ mit dem Titel ‚Der Sonne eine Chance‘ als Autor und Moderator gemacht habe.
Ich weiß zwar die Verdienste der Grünen für unsere Umwelt zu schätzen, aber sie sollten im Auge haben, dass sie mit ihrem populistischen Klimarettungsprojekt unsere Wirtschaft, insbesondere die Industrie, mit der wir unser Geld im europa- und weltweiten Konzert verdienen, in arge Bedrängnis gerät, trotz aller gegenteiligen Bekundungen. Nicht, dass inzwischen schon 50% der ehemaligen Produktionen nach Asien ausgewandert sind, auch bei uns entwickelte kreative Ideen wurden China kostenlos überlassen. Auch in Zukunft stehen Millionen von Arbeitsplätzen mit dem Abwandern der Automobilindustrie auf dem Spiel, weil jetzt auch noch der Verbrennungsmotor abgeschafft werden soll und Deutschland sich da als Vorreiter gebärdet. Wegen einer Schimäre – genannt Elektroauto – welches nur auf die Bedürfnisse Chinas mit ihren verdreckten Städten konzipiert ist. Damit dieses Elektroauto bei uns überhaupt gekauft wird, muss es vom Staat mit 9.000 Euro pro Exemplar subventioniert werden. Zum Klimaschutz trägt es nicht bei und auch den Flottenverbrauch, vorgeschrieben von der EU, verringert es nur unwesentlich. Dabei gibt es preiswertere Alternativen, wenn man nicht bestimmte Technologien von vornherein verunglimpft. In dieser Hinsicht denke ich an Heinrich Heine: ‚Denk ich an Deutschland in der Nacht …‘ und das nicht wegen Corona, welches fälschlicherweise von den Parteien demnächst als Grund allen Übels und als historischer Prügelknabe herhalten muss.