Immer öfter gewünscht: Kernkraft zur Bewältigung des Klimawandels – Mit einer Einführung von Jean Pütz

Tschernobyl und Fukushima haben dazu geführt, dass die Alternative Kernkraft in Deutschland keine Chance mehr bekommt. Doch die Energielücken werden sich spätestens dann offenbaren, wenn das letzte Kernkraftwerk in Deutschland abgeschaltet wird. Die Kraftwerksbetreiber konnten sich mit nur 22 Milliarden Euro von jeglicher Verantwortung in Zukunft  freikaufen.  Die tatsächlichen Kosten des Rückbaus betragen aber mindestens das fünf- bis zehnfache. Eine riesige Summe, die dem Steuerzahler aufgebürdet wird.

Nun stehen diese Ruinen festgemauert in der Landschaft, vollgepackt mit reststrahlenden Brennstäben, die in Deutschland kein Endlager finden werden. So sind sie genauso gefährlich für die Verstrahlung der Umwelt bei terroristischem Angriff wie die vormals aktiven Kernkraftwerke.

Neulich wurde ein extrem teures Elektro-Kabel durch die Nordsee nach Norwegen eröffnet (eine HGÜ-Hochspannungsleitung, d. h. übertragen durch 500 000 Volt Gleichstrom). Tatsächlich ermöglicht dies eine kontinuierliche Einspeisung elektrischer Energie in das deutsche Hochspannungsnetz. Aber die Milliarden Investition in eine Länge von 400 Kilometer entspricht bestenfalls der Energiespeisung von maximal ein bis zwei bisheriger Kernkraftwerke, es stabilisiert also kaum den auf zukünftige regenerative Elektroverbund  in Deutschland.

Tatsächlich bin ich ein Gegner von in Deutschland neu gebauten Kernkraftwerken, aber das irrationale Moratorium für die vorhandenen, veranlasst durch die Physikerin Angela Merkel, wird sich noch als Katastrophe für Deutschland herausstellen, ohne dass mehr Sicherheit gewonnen wird.

Wie sehr diese Entscheidung mangelnder Logik entsprach beweist auch ein ‚Offener Brief‘ des Energiespezialisten Professor André Thess von der Universität zu Stuttgart an die damals beratende Ethik-Kommission, in der keine Fachleute berufen waren, die die langwierigen Nebenwirkungen hätten beurteilen können.

Jean Pütz

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(NZZ) – Der Kampf gegen den Klimawandel soll verstärkt werden. Doch ein Thema ist bisher weitgehend tabu: die CO2-freie Option Kernkraft. Zumindest den möglichst raschen Ausstieg gilt es zu überdenken.

«Wir müssen uns beim Kampf gegen den Klimawandel sputen», sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, als sie die Unwettergebiete in ihrem Land besuchte. Und sie ist damit keineswegs allein: Allenthalben wird nach den jüngsten Überschwemmungen eine Beschleunigung der Klimapolitik gefordert

In dieser Diskussion ist bis jetzt aber ein Thema in weiten Kreisen tabu: der Ausstieg diverser Industriestaaten aus der Kernkraft nach dem Reaktorunfall von Fukushima. Deutschland stellt als vermeintlicher Musterknabe bereits nächstes Jahr seine letzten Kernreaktoren ab – während Kohlekraftwerke weiterlaufen. Das ist absurd.

Die Schweiz ist zwar etwas weniger rigoros, weil sie nicht gleich alle Kernkraftwerke vom Netz nimmt, aber auch das Schweizer Stimmvolk hat 2017 den schrittweisen Ausstieg gutgeheissen. Gerade in der Wirtschaft macht man sich deshalb Sorgen um die längerfristige Versorgungssicherheit – Magdalena Martullo-Blocher von der Ems-Chemie ist im «Blick mit der Unterstützung der Atomkraft zwar vorgeprescht, aber unter Industriellen ist sie mit ihrer Meinung keineswegs allein.

Gewiss, die Erinnerungen an Fukushima und hier in Europa besonders an Tschernobyl sind haften geblieben. Dennoch gehört die Kernkraft zusammen mit den Erneuerbaren Wind, Sonne und Wasserkraft nicht nur zu den saubersten Energiequellen, sie ist auch vergleichsweise sicher – jedenfalls wenn man die verursachten Todesfälle in Beziehung zur produzierten Strommenge setzt

Kernkraftwerke haben zudem den Vorteil, dass sie im Gegensatz zu den riesigen Wind- oder Solarfarmen kaum die Landschaft verschandeln, da sie auf wenig Fläche Platz haben. Das ist im Hinblick auf eine 10-Millionen-Einwohner-Schweiz ein Vorteil.

Es ist keine Frage: Soll die Dekarbonisierung auch im Verkehr und im Wärmesektor gelingen, braucht es künftig nicht weniger, sondern mehr Strom, und dieser sollte möglichst nicht mehr aus fossilen Energieträgern stammen. Wenn man nun vor allem auf Wind und Sonne setzt, wird Elektrizität für Konsumenten und Unternehmen viel teurer als nötig, weil deren Stromerzeugung stark schwankend ist.

Betreiber bestehender Kernkraftwerke sollten diese deshalb so lange wie von der Sicherheit her möglich laufen lassen können. In vielen Fällen werden das sechzig Jahre sein, zuweilen auch achtzig Jahre. Deutschland hat sich dieser Möglichkeit jedoch bereits beraubt – ein kapitaler Fehler.

In Industrieländern kann es zwar nicht darum gehen, dass der Staat nun selbst in die Kernkraft investiert. Das müssen, wenn schon, private Investoren übernehmen. Geld sollte die öffentliche Hand aber weiterhin in die Forschung stecken. Und Regierungen können die Rahmenbedingungen ändern, so dass Kernkraftwerke überhaupt eine Chance haben – dort, wo sie noch zugelassen sind. Erstens wird zuverlässige Leistung heute nicht angemessen honoriert. Und zweitens macht eine spürbare CO2-Abgabe auch Kernkraft konkurrenzfähiger.

Es ist eines, wenn sich wohlstandsverwöhnte Länder wie die Schweiz und Deutschland dazu entscheiden, ganz auf die Kernenergie zu verzichten. Man sollte aber nicht auch noch Schwellenländer erziehen wollen. Es wäre jedenfalls fürs Klima viel gewonnen, wenn China statt der vielen geplanten Kohlekraftwerke stärker auf Kernkraft setzen würde.

Das Hauptwachstum des CO2-Ausstosses findet in den Schwellenländern statt. Doch etwa die Weltbank, die Energieprojekte in diesen Staaten mit Milliarden unterstützt, hat kürzlich gerade bekräftigt, dass sie weiterhin keine Kredite für Kernkraft vergibt. Einer Fussnote in ihrem Aktionsplan entnimmt man, es mangle der Institution an entsprechender Expertise.

Der möglichst rasche Ausstieg aus der Kernenergie ist keine gute Politik, sondern scheint angesichts der gewaltigen Herausforderung des Klimawandels zunehmend rückwärtsgewandt. Es gilt vielmehr, Vor- und Nachteile der Kernkraft neu abzuwägen. Sie hat einen frischen Blick verdient.