Drama von Bayer mit Monsanto war vorauszusehen – Mit einer Einführung von Jean Pütz

Über Facebook und persönliche Mails habe ich Bayer frühzeitig vor diesem Deal gewarnt. Aber der Wunsch von Bayer durch die Übernahme von Monsanto Weltmarktführer in Sachen konventionelle Landwirtschaft zu werden, hat möglicherweise eine Pleite von Bayer zur Folge.

Ihr Jean Pütz

(Pioneer) – Noch 57.000 offene Glyphosat-Klagen lasten auf dem deutschen Traditionskonzern – und es könnten mehr werden. Eine umstrittene Strategie soll zum Befreiungsschlag werden. Doch die Erfolgsaussichten sind ungewiss.

Es geht wieder los. Anwaltskanzleien in den USA nehmen erneut Millionen US-Dollar in die Hand, um potenzielle Opfer des Glyphosat haltigen Unkrautvernichters Roundup über das Fernsehen zu finden und für eine Klage zu motivieren. Ihr Versprechen: Hoher Schadensersatz von Bayer.

Neun Millionen US-Dollar gaben US-Anwälte für TV-Spots im vergangenen Jahr aus. „Call The number on your screen now, don’t wait”, heißt es in den Spots. Im ersten Halbjahr dieses Jahres lagen die Ausgaben schon bei rund fünf Millionen US-Dollar, wie exklusive Auswertungen der amerikanischen Analyseplattform X Ante für The Pioneer zeigen.

Die Bayer AG wird das Glyphosat-Problem, das es mit der Übernahme des US-Konzerns Monsanto gleich mit übernommen hat, nicht los. Die US-Klageindustrie erhöht ihren Druck auf Bayer weiter – und treibt den Leverkusener Traditionskonzern in die Defensive. Wie The Pioneer erfuhr, arbeitet der Vorstand nun aber an einer neuen Strategie, um der Lage Herr zu werden. Die Taktik: smart. Die Erfolgsaussichten: ungewiss. Sollte der Deal gelingen, wäre Bayer in der Offensive – und das Klageproblem mit einem Mal erledigt.

Noch aber geht die juristische Angriffswelle auf Bayer weiter. Gingen die Werbeausgaben der Glyphosat-Anwälte seit 2020 zunächst zurück, stiegen sie 2023 wieder sprunghaft an. Seit 2015 bis heute wurden von US-Anwaltskanzleien schätzungsweise 145 Millionen Dollar für etwa 720.000 Fernsehwerbespots ausgegeben.

Roundup, der in den USA marktführende Unkrautvernichter, ist damit das Produkt, das in den vergangenen neun Jahren am häufigsten in TV-Spots von Anwälten auftauchte, die Klienten für Massenklagen ausfindig machen wollen.

Der deutsche Dax-Konzern Bayer übernahm die Monsanto Company 2018 mitsamt ihrem Verkaufsschlager Roundup und erbte damit das enorme Klagerisiko. Bayers CEO Bill Anderson hat die Massenklagen bei der diesjährigen Hauptversammlung als „existenzielles” Risiko für sein Unternehmen bezeichnet.

Ein Branchenkenner sagt, die Kanzleien, die Roundup-Werbung schalten, hätten nur ein geringes Interesse daran, die Fälle vor Gericht zu bringen. Die Anwälte seien auf hohe Vergleichssummen aus, „das sei das Geschäftsmodell.”

Regelmäßig kontaktieren die Kanzleien den Bayer-Konzern, um ihn von Forderungen ihrer Klienten wissen zu lassen – in der Hoffnung auf einen Vergleich. 170.000 solcher Forderungen wurden Bayer seit der Monsanto-Übernahme übermittelt, 113.000 wurden bereits verglichen. 57.000 Fälle sind jedoch noch offen. Jeder Fall ist eine potenzielle Klage, die noch nicht vor Gericht gelandet ist.

Die Rechtsanwälte verdienen auf Erfolgsbasis, sie bekommen in der Regel ein Viertel bis ein Drittel des Erlöses. Dafür legen sie die Rechtskosten für die potenziellen Opfer aus. Bisher haben die Anwaltsfirmen gut an der Klagewelle gegen Monsanto verdient und machen weiter.

Mehr als zehn Milliarden Euro hat Bayer seit der Übernahme für Vergleiche mit den über hunderttausend Klägern ausgegeben und mehr als sechs Milliarden Euro für weitere Klagen zurückgestellt. Das ist zusammen in etwa soviel wie in Forschung und Entwicklung von Bayers Agrarsparte seit der Monsanto-Übernahme flossen.

Innerhalb von Andersons ersten Jahr im Amt hat der Aktienkurs weitere 50 Prozent eingebüßt. Der frühere Pharmamanager konnte bisher keine Euphorie an der Börse verbreiten, auch weil er keine nachhaltige Lösung für das Klage-Disaster präsentierte.

Portfoliomanager Markus Manns bei Union Investment, einem der größten Einzelinvestoren von Bayer, sagt:

Die Rechtsstreitigkeiten und Unsicherheiten wegen Glyphosat sind das größte Problem für den Bayer-Konzern.

Offiziell hat Anderson angekündigt, man ziehe alle Mittel in Betracht, um der Lage wieder Herr zu werden. Hinter den Kulissen verfolgt der Daxkonzern in den USA eine konkrete Strategie und hat bereits Maßnahmen eingeleitet, erfuhr The Pioneer aus Aufsichtsratskreisen.

Monsanto als Bad Bank
Zur Ausgangslage ist wichtig zu wissen: Die Monsanto Company blieb nach der Übernahme in Höhe von 63 Milliarden US-Dollar durch Bayer als US-Unternehmen bestehen und wurde an die Bayer Crop Science LP mit Sitz in Saint Louis, Missouri angegliedert – mit Bayer Nordamerika als oberster Muttergesellschaft.

Bei Monsanto liegen noch rund 80 Prozent der Vermögenswerte des US-Agrargeschäfts von Bayer Nordamerika, zum Beispiel in Form von Pflanzenschutzpatenten.

Derzeit werden Vermögenswerte wie Patente aus der Monsanto Company abgezogen und in eine von Klagen unbelastete US-Gesellschaft von Bayer übertragen, heißt es aus Kreisen des Kontrollgremiums.

Die Monsanto Company, bei der die noch offenen 57.000 Roundup-Forderungen liegen, soll nach der Verschiebung der werthaltigen Assets zur Bad Bank werden. Man habe vor, die Gesellschaft unter Kapitel 11 des US-Insolvenzrechts in die Insolvenz gehen zu lassen. Damit solle ein Schlussstrich unter die Klagen gezogen werden, sagt eine mit der Angelegenheit vertraute Person.

Meldet eine US-Firma Insolvenz nach Kapitel 11 an, werden die Kläger zu Gläubigern, die vor dem Konkursgericht einen Vergleich suchen müssen.

Die Bayer-Pläne ähneln einem umstrittenen juristischen Manöver in den USA, das sich „Texas Two-Step“ nennt. Dabei werden Unternehmen in zwei getrennte Firmen aufgespalten. Während die Vermögenswerte in der einen Gesellschaft verbleiben, wird die rechtliche Haftung auf die andere Gesellschaften übertragen, die danach in die Insolvenz geht.

Bereits im vergangenen Jahr hatte Jeffrey Ubben, ein aktivistischer Bayer-Investor und neues Mitglied im Aufsichtsrat des Konzerns gefordert:

Wir sollten uns das Texas Two-Step, wie es Johnson & Johnson praktiziert hat, mal ansehen. Macht das Sinn? Ist es hier anwendbar?

Bayer habe den Vorteil, dass seine Gesellschaften für diese Praxis bereits existieren, heißt es von mit der Angelegenheit vertrauten Personen. Dadurch spare der Konzern Zeit und könne schon jetzt mit dem Plan beginnen.

Man wolle sich nicht aus der Verantwortung stehlen, aber man sehe es als eine Art Notwehr an, heißt es aus Kreisen des Kontrollgremiums. Die Klagen in den USA seien allein über Begehrlichkeiten, und nicht wissenschaftliche Fakten, getrieben. Eine reiche deutsche Firma, die eine US-Firma mit umstrittenem Ruf übernimmt: Da gebe es viel zu holen, sei das Credo der US-Anwälte.

Texas Two Step: Zweifel an Legitimität
Allerdings ist unklar, ob die Gerichte ein Konkursverfahren der Bayer-Tochter durchgehen lassen würden. Denn die Insolvenzverfahren sind normalerweise ein Mittel für Unternehmen in finanzieller Schieflage.

Der deutsche, in New York tätige Rechtsanwalt Moritz Schumann sagt:

Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob Texas Two-Step ein legitimes Mittel ist, Verbindlichkeiten und das finanzielle Risiko durch Massenklagen zu beschränken.

Bisher gab es nur eine Handvoll Fälle. „Das ist eine extrem umstrittene Praxis, die teilweise durchgegangen ist, teilweise abgewiesen wurde und über die noch gestritten wird. Man könne die Praxis „als Notwehr des Unternehmens, aber auch als Rechtsmissbrauch betrachten.”

Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson wandte die Praxis an, um den Massenklagen wegen angeblich mit Asbest verseuchtem Babytalkpuder zu entgehen. Zweimal wurde der Insolvenzantrag bisher abgewiesen. Nach derzeitigem Stand will J&J es ein weiteres Mal probieren.

Der amerikanische Insolvenzrechter Ralph Brubaker sagte im Interview mit The Pioneer:

Es gibt nichts, was Unternehmen davon abhalten könnte, diese Strategie auszuprobieren, denn die Vorteile sind für sie sehr groß, wenn die Strategie erfolgreich ist.

Die Strategie – sollte sie praktikabel sein – sei insbesondere für solvente Unternehmen attraktiv, denn sie ermöglicht es, durch eine letztmalige Zahlung alle Verpflichtungen aus laufenden Massenklagen zu beenden und neue Klagen nicht mehr bedienen zu müssen.

Es würde sonst Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, um alle Schadensansprüche vollständig zu regeln. Die Schadenersatzklagen gegen J&J wegen des Babypuders laufen beispielsweise bereits seit 2015.

Aber selbst wenn die Insolvenz selbst nicht genehmigt wird, kann die Unsicherheit über den Verfahrensausgang bereits die Motivation der Anwälte für neue Klagen reduzieren, so die Hoffnung der betroffenen Unternehmen.

Brubaker resümiert:

Letztendlich ist das Verfahren eine Möglichkeit für die Anteilseigner eines Unternehmens, den Wert zu steigern, möglicherweise auf Kosten der Anspruchsberechtigten.

Bayer: Mehr Lobbyarbeit in den USA
Bayer wird auch außerhalb der Gerichtssäle aktiv und intensiviert seine Lobbyarbeit. Der Konzern erhofft sich „größere Rechtssicherheit dafür zu bekommen, dass ein von der US-Umweltbehörde EPA als sicher und nicht-krebserregend eingestuftes Produkt nicht vor Gericht von der amerikanischen Klageindustrie angegriffen werden kann”.

Denn derzeit befindet sich Bayer noch in einer rechtlichen Misere: Die Kläger werfen der Tochter Monsanto vor, auf den Packungen des Unkrautvernichters nicht ausreichend vor den Krebsrisiken von Glyphosat zu warnen.

Die US-Gesundheitsbehörde EPA wiederum verbot Bayer und anderen Pflanzenschutzherstellern bereits 2019, dass sie ihre Produkte mit dem Hinweis kennzeichnen, Glyphosat sei als krebserregend bekannt.

Denn die EPA stuft Glyphosat als unbedenklich für den Menschen ein – wie andere führende europäische Behörden beispielsweise die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Um den US-Klägern Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Bayer Glyphosat als Wirkstoff dennoch vom Privatkundenmarkt in den USA genommen.

Für die Kanzleien und ihre Geldgeber sei immer die Frage: Investieren sie in einen Rechtsstreit oder sind andere Schadensersatzklagen potenziell lukrativer? Bayer tue alles dafür, dass die Kanzleien den Roundup-Rechtsstreit weniger lukrativ finden, heißt es aus Unternehmenskreisen.

Ausblick
Bayer braucht einen Ausweg, denn langfristig könnten die Rechtskosten das Budget für künftige Innovationen aufzehren.

Damit stünden auch die Innovationen bei Agrar und Pharma auf dem Spiel. In der Agrarsparte Crop Science sind immerhin zehn neue Produkte bis 2030 geplant, die künftig für Umsatzwachstum im dreistelligen Millionenbereich sorgen sollen, darunter ein vielversprechendes Nachfolge-Produkt für Roundup.

Frank Terhorst, der Strategieleiter von Bayer Crop Science ist trotz der hohen Klage-Kosten zuversichtlich. Im The Pioneer-Interview sagt er:

Die angekündigten Innovationen sind fest eingeplant und wir werden liefern.

Ein weiteres Erbe der Monsanto-Übernahme: Die Nettoverschuldung von Bayer hat sich mittlerweile auf 34 Milliarden Euro erhöht. Die Schulden sind auch ein Grund für den großen Stellenabbau, den CEO Anderson angekündigt hat. Mit den Stellenkürzungen sollen ab 2026 zwei Milliarden Euro jährlich eingespart werden.

Das Umstrukturierungsprogramm komme einem Kahlschlag gleich, heißt es aus Kreisen des Aufsichtsrats. 50 Prozent der Führungskräfte sollen entlassen werden. In zwei Jahren sei die Firma dadurch jedoch gut aufgestellt.

Investoren wie Union Investment vermissen allerdings eine langfristige Wachstumsperspektive für den gesamten Konzern. Für eine Trendwende beim Aktienkurs müsste es Bayer schaffen, nicht nur die Klagerisiken in den USA einzudämmen, sondern auch „dem Kapitalmarkt Wachstumsperspektiven und Lösungen für die schwache Pharma-Pipeline aufzuzeigen”, sagt Markus Manns.

Die Entwicklung des Gerinnungshemmer Asundexian, auf den die Bayer-Führung große Hoffnungen gesetzt hatte, floppte. Nun sollen immerhin zwei neue Medikamente Bayers Pharmasparte künftig nach vorne bringen: ein nicht-hormonelles Wechseljahrepräparat und ein Prostatakrebsmedikament.

Auch eine Aufspaltung sei nicht vom Tisch, sagt Manns. Eine Option, die Bayer durch die Monsanto-Übernahme eigentlich hatte verhindern wollen. Bayer-Chef Anderson hat zwar eine Zerschlagung abgelehnt, aber Manns sagt:

Die Frage nach der richtigen Konzernstruktur stellt sich weiter.