Die Deutschen beschwören die Inflation herauf

(WELT) – Die Rettungspakete von Staaten und Notenbanken sorgen dafür, dass viele Bürger trotz der Krise kaum schlechter gestellt sind als vorher. Doch sie können das Geld nicht ausgeben. Das wird in dem Moment zum Problem, sobald die Pandemie-Restriktionen fallen.

Corona hat viele Menschen schwer getroffen, gesundheitlich oder wirtschaftlich. Daran besteht kein Zweifel. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass die überwiegende Mehrheit, Umfragen zufolge über 80 Prozent der Deutschen, davon kaum betroffen sind. Ihnen geht es gut, gesundheitlich, aber auch finanziell, auch dank der Unterstützung des Staates.

Das jedoch hat zu einem erstaunlichen Phänomen geführt: Auf den Sparbüchern der Republik türmen sich die Guthaben. Denn die Menschen haben schlicht keine Möglichkeit, ihr Geld auszugeben.

Darin liegt aber gleichzeitig eine enorme Gefahr. Denn sobald die Restriktionen fallen und das alte Leben zurückkehrt, droht ein deutlicher Anstieg der Preise, dann droht Inflation.

Die Sparquote dürfte 2020 auf 17 Prozent gestiegen sein
Die Deutschen legen traditionell viel Geld auf die hohe Kante. In den vergangenen Jahren waren es im Schnitt netto meist zehn bis zwölf Prozent – diesen Anteil ihres Nettogehalts verwenden die Haushalte also fürs Sparen.

Im vergangenen Jahr dürfte die Quote nach Berechnungen des Bankenverbandes jedoch auf 17 Prozent gestiegen sein. Ähnliche Steigerungen zeigen sich in ganz Europa, wofür allerdings nur Bruttozahlen vorliegen, also die Sparquote ohne die Gegenrechnung von Verbindlichkeiten.

Diese stieg in allen Ländern der EU ebenfalls drastisch. Am stärksten war der Zuwachs dabei in Irland, wo die Sparquote zeitweise sogar um 20 Prozentpunkte zulegte

Das ist ungewöhnlich in einer Krise – die Menschen halten dann zwar stets ihr Geld zusammen, doch normalerweise sinken auch die Einkommen, sodass die Sparquote allenfalls leicht steigt. Doch diese Krise ist eben keine normale Rezession.

Sie wurde nicht durch hohe Zinsen, finanzielle Schieflagen oder Überinvestitionen ausgelöst. Vielmehr wurde sie praktisch künstlich herbeigeführt, durch die Corona-Maßnahmen der Staaten Und diese gleichen parallel Verluste großzügig aus.

„Daher wird aber auch das Verhalten der Menschen anders sein, wenn die Krise vorüber ist“, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka. Normalerweise dauert es dann immer eine ganze Zeit, bis die Menschen wieder Vertrauen fassen, allmählich wieder konsumieren und investieren.

ANGST VOR DEM CRASH
Ganz anders jetzt. „Heute scharren alle mit den Hufen, um weiterzumachen“, sagt Kater. Das sei auch vor 100 Jahren so gewesen, nach der Spanischen Grippe. „Damals wollten die Menschen das so schnell wie möglich vergessen und zur Tagesordnung übergehen.“

Stefan Kreuzkamp, Chef-Anlagestratege bei der DWS, sieht das ähnlich. „Wenn die Impfstoffe erfolgreich sind und die Beschränkungen gelockert werden, dann wird der Konsum sehr schnell wieder zurückkommen“, sagt er.

Das Problem: Das Angebot wird nicht so schnell wieder das alte Niveau erreichen – wer verreisen will, trifft auf ein verringertes Flugangebot, wer essen gehen will, auf weniger Restaurants, wer zu Veranstaltungen will, auf geringere Auswahl. „Das wird zu Preissteigerungen führen“, sagt Kreuzkamp.

Vor allem, weil die Notenbanken dies zusätzlich befeuern „Bis Ende des Jahres werden die sechs großen Zentralbanken rund 8,3 Billionen Dollar in die Finanzmärkte gepumpt haben“, sagt Luca Paolini, Chef-Anlagestratege bei Pictet Asset Management.

„Im nächsten Jahr kommen schätzungsweise noch mal über drei Billionen dazu.“ Geld ist also im Überfluss vorhanden. Und die Gefahr ist groß, dass dies irgendwann Folgen hat.

„Die Anleger fürchten sich zunehmend vor Inflation“, stellt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, fest – und er hält diese Ängste durchaus für begründet. Er zieht Parallelen zu den 60er-Jahren.

GEFAHREN FÜR DIE KONJUNKTUR
„Damals war die Geldpolitik der US-Notenbank in einem Umfeld steigender Haushaltsdefizite wie heute sehr locker“, sagt er. Die US-Regierung musste damals teure Vorhaben finanzieren, neben dem Vietnamkrieg auch die Sozialprogramme unter Präsident Johnson.

Das entsprach einem neuen wirtschaftspolitischen Denken, wonach durch den aktiven Einsatz finanzpolitischer Instrumente Vollbeschäftigung erzielt werden sollte. „Das ähnelt dem Handeln der Regierungen heute“, sagt Krämer, „die mit massiven Staatsausgaben die Folgen der Corona-Epidemie eindämmen und perspektivisch die Volkswirtschaften klimagerecht umbauen wollen.“

Auch die Notenbank agierte damals ganz ähnlich wie heute, kaufte massiv Staatsanleihen auf und hielt so die Zinsen niedrig. Schon Mitte der 60er-Jahre begann daraufhin die Inflation anzuziehen – und die Notenbank griff lange nicht ein.

Hohe Inflation reduziert die Schuldenlast der Staaten
Ein Überschießen der Inflation könnte auch diesmal drohen. „Das ist von den Notenbanken durchaus gewollt, und daher werden sie das tolerieren“, sagt Kreuzkamp. Denn dadurch reduziert sich die Schuldenlast der Staaten.

Ein wichtiger Unterschied zu den 60er-Jahren ist natürlich, dass damals weitgehend Vollbeschäftigung herrschte. Nur wenn Arbeitskräfte knapp sind und diese dadurch höhere Löhne durchsetzen können, kann die Inflation dauerhaft steigen.

MEINUNG DROHENDE ENTWERTUNG
Davon sind die Industriestaaten derzeit weit entfernt, und es wird wohl auch einige Zeit dauern, bis die ökonomischen Verwüstungen der Krise wieder überwunden sind.

Allerdings könnten die Arbeitsmärkte dennoch schneller als erwartet leer gefegt werden. Denn es kommt ein weiterer Trend hinzu: die Demografie. In vielen Industriestaaten sinkt die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter bereits, und das wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken.