Die Blutgruppe hat Einfluss auf Gesundheit und Darmflora

Wer hätte das geglaubt, die Blutgruppe bestimmt zum Teil das Mikrobiom und seine Zusammensetzung. Selbst für die Darmflora haben die Blutgruppen eine Bedeutung. Warum, das beschreibt der folgende Beitrag

Jean Pütz

(CAU) – CAU-Forschungsteam weist in großer Genomstudie Zusammenhänge bestimmter Genvarianten mit der Zusammensetzung der Bakterienbesiedlung im menschlichen Körper nach

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit erforschen seit einigen Jahren, inwiefern die Mikroorganismen, die in und auf dem menschlichen Körper leben, zentrale Lebensprozesse und damit Gesundheit und Krankheit beeinflussen. Sie gehen heute davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gesamtheit der mikrobiellen Besiedlung, dem menschlichen Mikrobiom, und der Entstehung von Krankheiten gibt. Speziell chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind wahrscheinlich eng mit der Zusammensetzung und Balance des Darmmikrobioms verknüpft. Doch wie das Mikrobiom und die Krankheitsentstehung ursächlich zusammenhängen und was die Zusammensetzung des Mikrobioms im Individuum bestimmt, ist noch weitgehend ungeklärt.

Forschende der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben nun mögliche Einflüsse der Genetik, also der individuellen menschlichen Erbinformationen, auf die Ausprägung des Mikrobioms untersucht. Dazu haben sie in einer großangelegten Genomuntersuchung mit Daten von rund 9000 Probandinnen und Probanden nach konkreten Verbindungen zwischen Genetik und besiedelnden Mikroorganismen gesucht. Das Forschungsteam vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) unter Leitung von Professor Andre Franke konnte unter anderem einen bislang unbekannten Zusammenhang von für die Blutgruppe verantwortlichen genetischen Variationen und dem Vorkommen und der Häufigkeit bestimmter Bakterienarten belegen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden im Rahmen des CAU-Sonderforschungsbereichs (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ heute in der renommierten Fachzeitschrift Nature Genetics.

Individuelle genetische Ausstattung beeinflusst Mikrobiom
Die neue Publikation des Kieler Forschungsteams baut auf Erkenntnissen aus einer kleineren Studie auf, die erste Hinweise auf den Einfluss der genetischen Variationen auf das Darmmikrobiom fand. Nun gelang es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Darmmikrobiom-Proben aus fünf umfangreichen Kohorten von drei deutschen Standorten – vor allem aus Kiel, Augsburg und Greifswald – zu analysieren und damit die bundesweit größte sogenannte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) durchzuführen. Dabei stieß das Forschungsteam auf 38 auffällige sogenannte genetische Loci, also die physischen Positionen einzelner Gene innerhalb der gesamten Erbinformationen, die auf einen Zusammenhang von individueller Genetik und der Zusammensetzung des Mikrobioms hinweisen.

„Die interessanteste Beobachtung haben wir im Zusammenhang der genetischen Faktoren gemacht, die für die Ausprägung der Blutgruppe beim Menschen verantwortlich sind“, hebt Erstautor Dr. Malte Rühlemann, Wissenschaftler am Kieler IKMB und SFB 1182-Mitglied hervor. „Diese für das AB0-Blutgruppensystem verantwortlichen Gene entscheiden über die Zugehörigkeit zu einer der darin zusammengefassten Blutgruppen. Bei einigen Menschen, den sogenannten ‚Sekretoren‘, werden diese Blutgruppenantigene nicht nur auf der Oberfläche von roten Blutkörperchen gebildet, sondern auch in den Darm abgegeben. Dies sind vor allem Zuckerreste, die von einigen Bakterien der Bacteroides-Gruppe vermutlich als Energiequelle genutzt werden können, so dass diese vermehrt vorkommen. Insbesondere bei Menschen mit den Blutgruppen A, AB oder B scheint der Mechanismus also direkt das Vorkommen dieser Bakterien im menschlichen Darm zu begünstigen“, so Rühlemann weiter.

Dieser Zusammenhang hat potenziell eine große gesundheitliche Bedeutung, denn bei etwa 20 Prozent der weltweiten Bevölkerung, die zur Gruppe der ‚Nicht-Sekretoren‘ gehören sowie bei Personen mit der Blutgruppe 0, fällt die Abgabe der Zuckerreste weg und ihre Mikrobiom-Zusammensetzung weicht in der Folge ab. „Diese Stoffwechselprodukte scheinen wichtige Moleküle in der Interaktion von Wirt und verschiedensten Mikroorganismen zu sein“, erklärt Rühlemann, der auch im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) forscht. „Frühere Studien konnten zeigen, dass Menschen ohne diesen Sekretionsweg zum Beispiel besser vor Norovirus-Infektionen geschützt sind“, so Rühlemann weiter. In der Arbeitsgruppe von SFB 1182-Mitglied und Co-Autor Professor John Baines vom Institut für Experimentelle Medizin werden diese Stoffwechselwege seit einigen Jahren intensiv erforscht.

Das Beispiel verdeutlicht, welche Effekte die individuelle genetische Variation auf den menschlichen Stoffwechsel hat und so die Zusammensetzung des Mikrobioms mitbestimmen kann. Auf welchen Mechanismen dieses Zusammenspiel von Mensch und Mikroorganismen im Detail beruht, wollen die Forschenden künftig besser verstehen. Im größeren Maßstab liefern die neuen Ergebnisse des Kieler Forschungsteams weitere Erklärungsansätze für das Zustandekommen des menschlichen Mikrobioms insgesamt: Neben Umwelt- und Ernährungseinflüssen ist offenbar auch die Genetik des menschlichen Körpers ein zentraler Faktor, der die bakterielle Besiedlung des Körpers beeinflusst. Damit wäre das Mikrobiom mehr als eine zufällige Zusammenstellung von in der Umwelt verfügbaren Mikroorganismen.

Therapieziele im Darmmikrobiom?
Um künftig klare ursächliche Zusammenhänge zwischen der bakteriellen Besiedlung des Körpers und der Krankheitsentstehung ableiten zu können, wollen die Kieler Forschenden im SFB 1182, im Exzellenzcluster PMI sowie innerhalb der CAU-Forschungsgruppe miTarget Stück für Stück weitere Faktoren identifizieren, die die Zusammensetzung und Balance des Darmmikrobioms mitbestimmen. Ein Ansatz dabei wird es sein, einzelne kritische Bakterienarten zu erkennen, deren Vorkommen und Häufigkeit sowohl als Risiko- wie auch als Schutzfaktoren die mikrobielle Besiedlung des Körpers maßgeblich beeinflussen. „Unsere Analysen großer Mengen genetischer Daten im Rahmen von möglichst umfangreichen Kohorten-Studien werden Klinikerinnen und Klinikern bei dieser Suche wertvolle Hinweise liefern, an welchen Stellen sie am besten in das Mikrobiom eingreifen können, um künftig auf einer gestörten Bakterienbesiedlung beruhende Krankheiten gezielt zu behandeln“, betont Professor Andre Franke, Mitglied im SFB 1182 und Exzellenzcluster PMI sowie Sprecher der Forschungsgruppe miTarget. „Die Identifizierung solcher Therapieziele ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu einer künftigen Behandlung beispielsweise von chronischen Darmentzündungen durch gezielte Veränderungen der Zusammensetzung des Mikrobioms“, so Franke weiter.