Der Natur auf die Finger geschaut

Von
Beschichtungen, die gut haften und sich leicht wieder lösen lassen, bis
hin zu hochempfindlichen biologischen Detektoren – Polymerpelze aus
feinsten Fasern eignen sich für viele verschiedene Anwendungen. Forscher
am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben nun mit
Wissenschaftlern in den USA ein kostengünstiges Verfahren entwickelt, um
maßgeschneiderte Polymer-Nanofasern auf einer festen Unterlage wachsen
zu lassen: Sie bedampfen eine Flüssigkristallschicht mit
reaktionsfähigen Molekülen. Über ihre innovative Methode berichten die
Forscher im Magazin Science. (DOI: 10.1126/science.aar8449)


Oberflächen mit
speziell ausgerichteten feinen Fasern kommen in der Natur häufig vor und
übernehmen verschiedene Funktionen, wie Abtasten, Haften und
Selbstreinigung. So sitzen an den Füßen von Geckos Millionen von
Härchen, die es ihnen ermöglichen, an Oberflächen zu haften und sich
ganz schnell wieder von ihnen zu lösen. Die Nachbildung solcher
Oberflächen aus synthetischen Materialien eröffnet neue Perspektiven für
unterschiedliche Anwendungen. Allerdings sind die bisher verfügbaren
Verfahren zur Herstellung von Polymerpelzen auf festen Unterlagen
kostenaufwendig. Außerdem lassen sich Größe, Form und Ausrichtung der
Fasern bei den konventionellen Methoden nur begrenzt kontrollieren. Zu
diesen zählen das Herauspressen aus einer Düse (Extrusion) oder das Herstellen in einem elektrischen Feld (Elektrospinnen).

Forscher am Institut
für Funktionelle Grenzflächen (IFG) des KIT sowie an der University of
Michigan, der University of Wisconsin-Madison und der Cornell University
in Ithaca/New York haben nun ein einfaches und daher kostengünstiges
Verfahren entwickelt, das Polymerpelze selbstorganisiert wachsen lässt.
In der Zeitschrift Science stellen die Wissenschaftler um Professor
Joerg Lahann, Leiter der Abteilung Neue Polymere und Biomaterialien am
IFG und Direktor des Biointerfaces Institute der University of Michigan,
das neue Verfahren vor: Sie benetzen zunächst einen Träger mit einer
dünnen Schicht von Flüssigkristallen – Substanzen, die flüssig sind und
zugleich richtungsabhängige Eigenschaften haben und die sonst vor allem
für Bildschirme und Anzeigen (Liquid Crystal Displays – LCDs)
verwendet werden. Nach dem Aufbringen wird die Flüssigkristallschicht
mit aktivierten Molekülen bedampft. Diese reaktiven Monomere
durchdringen die flüssigkristalline Schicht und wachsen in Form feiner
Fasern vom Substrat her in die Flüssigkeit hinein.

So entstehen
Polymer-Nanofasern, die sich in Länge, Durchmesser, Form und Anordnung
maßschneidern lassen. Die von ihnen gebildeten komplexen, aber präzise
strukturierten Polymerpelze sind für viele verschiedene Anwendungen
interessant, vor allem für biologische Detektoren sowie für
bioinstruktive Oberflächen, die mit ihrer Umgebung interagieren, und für
Beschichtungen mit neuartigen Eigenschaften. Dazu gehören auch
Oberflächen mit ähnlichen trocken haftenden Eigenschaften wie Geckofüße,
wobei die Haftung bei den Nanofasern auf einer besonderen räumlichen
Anordnung der Atome in den Molekülen basiert (Chiralität – Händigkeit).

Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) förderte die Arbeit im
Sonderforschungsbereich (SFB) 1176 „Molekulare Strukturierung weicher
Materie“. Um maßgeschneiderte Materialien geht es auch in dem vom KIT
und der Universität Heidelberg gemeinsam getragenen Cluster 3D Matter
Made to Order (3DMM2O), der ab Januar 2019 in der Exzellenzstrategie des
Bundes und der Länder gefördert wird. Der Exzellenzcluster 3DMM2O, an
dem der Leiter des IFG, Professor Christof Wöll, als einer der
Hauptforscher beteiligt ist, verbindet Natur- und
Ingenieurwissenschaften und fokussiert auf dreidimensionale additive
Fertigungstechniken von der molekularen bis zur makroskopischen
Dimension.