Dauer-Stress gefährdet Hormongleichgewicht – Erholung oft langwierig
Mit Ausdauersport und Hobbys gezielt vorbeugen
Berlin
– Ob in der Schule, im Beruf oder in der Freizeit: ständige
Überforderung und Überreizung können den Körper unter chronischen Stress
setzen. Wenn er nicht ausgeglichen wird, droht eine Entgleisung des
natürlichen Hormongleichgewichts – mit negativen Auswirkungen auf den
gesamten Organismus. Neben Schlafstörungen und Beeinträchtigungen des
Denkvermögens gehören auch schwerwiegende Krankheiten wie Depressionen,
Bluthochdruck oder Krebs zu den möglichen Folgen. Ist der
Stresshormon-Regelkreis erst einmal nachhaltig gestört, kann seine
Erholung Monate bis Jahre dauern. Anlässlich der 3. Deutschen
Hormonwoche weist die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V.
(DGE) deshalb auf die Gefahren von unbewältigtem Dauer-Stress hin. Im
Vorfeld der Aktionswoche, die vom 15. bis 22. September 2018
stattfindet, diskutieren Experten auf der Pressekonferenz der DGE am
Dienstag, den 11. September 2018 in Berlin die Ursachen und vielfältigen
Folgen von chronischem Stress und wie Belastungen begegnet werden kann.
Stress
ist eine natürliche und zunächst positive Reaktion des Körpers zur
Bewältigung von Belastungssituationen. Über eine Aktivierungskette, die
vom Hypothalamus, einem Abschnitt des Zwischenhirns, über die
Hirnanhangsdrüse bis zu den Nebennieren reicht – die sogenannte
Stressachse – bewirkt er die Freisetzung von Adrenalin, Noradrenalin und
Cortisol aus der Nebennierenrinde ins Blut. Diese Hormone helfen dem
Körper, den gesamten Organismus mit allen Systemen auf „Angriff“ oder
„Flucht“ einzustellen und Höchstleistungen zu erbringen: so steigen
Blutzuckerspiegel und Blutdruck, und alle Sinne sind aktiviert.
Chronischer,
langanhaltender Stress ohne ausreichende Entspannung führt hingegen zu
einer Überlastung des Organismus. „Der Körper läuft ständig auf
Hochtouren“, sagt Professor Dr. med. Jörg Bojunga, Vizepräsident der
DGE. „Dauerhaft hohe Adrenalin- und Cortisolspiegeln im Blut können
deshalb früh zu Schlafstörungen und Depressionen führen.“ Gleichzeitig
stören die hohen Stresshormonspiegel die Regelkreise anderer
Hormonsysteme im Körper. So habe die chronische Aktivierung der
Stressachse eine hemmende Wirkung auf die Produktion der
Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron. Die Folge: sexuelle Unlust
bei Mann und Frau. Frauen leiden zudem unter Zyklusstörungen bis hin zum
unerfüllten Kinderwunsch. „Stress kann bei Frauen den Eisprung
beeinträchtigen.“ Durch die Verbindungen der Stresshormonachse mit
Regelkreisen des Immunsystems schwäche zu viel Cortisol zudem das
Immunsystem. „Dies kann Infekte, Wundheilungsstörungen und Krebs
begünstigen“, so Bojunga, stellvertretender Klinikdirektor und Leiter
des Schwerpunkts Endokrinologie, Diabetologie, Ernährungsmedizin der
Medizinischen Klinik I am Universitätsklinikum Frankfurt. Zudem wirke
sich zu viel Cortisol negativ auf den Stoffwechsel aus und fördere die
Einlagerung von ungesundem Bauchfett.
Doch
Stress lässt sich nicht immer vermeiden. „Menschen, die häufig einer
erhöhten Stressbelastung ausgesetzt sind, sollten deshalb wissen, wie
sie damit umgehen, um dennoch gesund zu bleiben“, sagt Professor Dr.
med. Sven Diederich, Vizepräsident der DGE und Ärztlicher Leiter
Medicover Deutschland. Und nicht jeder reagiere gleich auf chronischen
Stress: „Veranlagung, problematische Biographien, etwa Missbrauch in der
Kindheit, und aktuell belastende Lebensereignisse begünstigen eine
Störung der Stressachse“, ergänzt der Endokrinologe.
Entsprechend
können persönliche Lösungsstrategien zur Stressbewältigung sehr
unterschiedlich aussehen. „Ihnen gemeinsam ist jedoch, dass jeder Mensch
Raum für Auszeiten vom Stress haben muss, um herunterzukommen“, betont
Bojunga. Denn sei das System erst einmal gestört, bräuchte es oft lange,
bis es sich wieder erholt. Techniken zur Stressprävention und
-bewältigung könnten erlernt werden. Zudem empfiehlt er, jede
Gelegenheit zur Bewegung zu nutzen – sei es auf dem Weg zur Arbeit und
Schule oder beim täglichen Einkauf. „Körperliche Verausgabung in
vernünftigem Rahmen baut ganz nebenbei Stresshormone ab.“ Auch die
Beschäftigung mit Hobbys senke den Stresspegel und stelle das natürlich
Gleichgewicht wieder her.
Auf
der Pressekonferenz der DGE am Dienstag, den 11. September 2018 in
Berlin diskutieren Endokrinologen neue Erkenntnisse der Stressforschung,
über die beteiligten Hormonsysteme und welche vielversprechenden
Ansatzpunkte für Prävention und Therapie sich dadurch ergeben. Sie
erläutern auch, warum schon bei Kindern die seelische
Widerstandsfähigkeit, Resilienz genannt, trainiert werden sollte.