Ulrich Trottenberg
Hat Deutschland in der Corona-Pandemie alles richtig, nicht alles, aber im Großen und Ganzen alles richtig, vieles falsch oder sogar fast alles falsch gemacht? Darüber gehen die Meinungen auseinander und für ein abgewogenes Urteil ist es sicher noch zu früh. Die überwiegende Mehrheit der Öffentlichkeit würde sich heute vermutlich auf eine mittlere Bewertung (im Großen und Ganzen richtig, aber Fehler im Einzelnen) einigen können.
Es sind die Politiker:innen, die Expert:innen und die Medien, die für die Bewältigung und den Umgang mit der Pandemie eine wesentliche, vielleicht entscheidende Rolle gespielt haben. Und wie die Rollen zu bewerten sind, auch da gibt es in der Öffentlichkeit sehr unterschiedliche Einschätzungen, die reichen von: Die Politik war beratungsresistent und alle Fehler sind gemacht worden, weil die Politik sich nicht nach den Expert:innen gerichtet hat – bis: Die Politik hat versucht, sich nach den Expert:innen zu richten, aber deren öffentlicher Streit hat kaum Klarheit, sondern ein überwiegend diffuses Bild ergeben. Und was die Medien angeht, gehen die Meinungen von „sie haben ihr bestes“ getan bis zu: Sie haben durch ihre Inkompetenz oder durch Berichterstattung nach dem Motto „Bad news is good news“ die Verunsicherung der Öffentlichkeit noch verstärkt.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist vieles nicht gut gelaufen. Natürlich gibt es nicht „die Wissenschaft“, die sich über die Bewertung von Maßnahmen, von Entwicklungen und von Prognosen einig ist. Wissenschaft lebt vom Diskurs, auch bei sorgfältigster, den wissenschaftlichen Standards genügender Arbeit gibt es immer unterschiedliche Bewertungen und Einschätzungen, bisweilen auch Streit in der Wissenschaft, der dann nach festgelegten Regeln ausgetragen werden muss. Hätte sich aber in einer so schwierigen, angstbesetzten Zeit wie der Pandemie „die“ Wissenschaft nicht um eine einigermaßen einheitliche Bewertung der Situation bemühen und sich abstimmen müssen, bevor sie sich in der Öffentlichkeit äußert?
Das ist leider kaum geschehen. Jedenfalls haben wir in den Talkshows – und die sind neben den offiziellen Verlautbarungen eine sehr wichtige Informationsquelle für die Öffentlichkeit – zwar zunächst immer die gleichen „Expert:innen“ erlebt, deren Position und Auftreten man bei regelmäßigem Talkshow-Konsum schon voraussagen konnte, sind aber mit durchaus unterschiedlichen Einschätzungen konfrontiert worden: Da waren die warnenden, kritischen Stimmen und die weniger pessimistischen, die konkreten und die allgemeinen, die sachlichen und die selbstdarstellerischen. Es ist keine Frage, dass in manchen Talkshows durchaus hochkompetente Fachleute zu Wort gekommen sind. Viele der kompetentesten deutschen Fachleute, z.B aus der Statistik und aus dem Bereich der mathematischen Modellierung, sind gar nicht erst eingeladen worden – oder hatten auf den Talkshow-Zirkus keine Lust.