Professor Dr. Gerd Bosbach ist ein in Deutschland führender Wissenschaftler in der Interpretation von statistischem Material. Das möchte ich Ihnen nicht vorenthalten
Jean Pütz
Guten Tag,
da kurz nach Beginn der Ausgangssperre die Inzidenzzahlen erfreulich sanken, stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang. Oder anders ausgedrückt, ist das Sinken der Zahlen ein Beleg für den richtigen Weg, also als Erfolg zu feiern? Es wäre doch eine schöne nachträgliche Begründung für die unbeliebte Maßnahme und ein gutes Wahlkampfargument für die beschließenden Parteien.
Zur Zeit geschieht das höchst vorsichtig(*). Zu offensichtlich ist, dass ein Sinken der Fallzahlen drei Tage nach Beginn der Ausgangssperre eine andere Ursache haben muss. Denn eine verhinderte Ansteckung der ersten Verbotsnacht wäre wegen der Zeit von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung (im Mittelwert fünf Tage) und der Zeit bis zum PCR-Test-Ergebnis mit Meldung an das örtliche Gesundheitsamt und weiter bis zum Eingang in die veröffentlichte Bundesstatistik (sicherlich noch zwei Tage) in den meisten Fällen erst etwa eine Woche später statistisch bemerkbar.
Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zum Geschehen werden Formulierungen wie „nach Verhängung der umstrittenen Ausgangssperre haben uns die sinkenden Inzidenzwerte Recht gegeben“ sicherlich häufen. Der Leser/Hörer wird die nur formulierte zeitliche Aufeinanderfolge schon als Ursache interpretieren und den Machern danken.
Wer noch ein Argument braucht: In Köln sanken die Inzidenzwerte einen Tag vor den bundesweiten. Die schärfere Ausgangssperre begann aber 7 Tage vorher. Warum sollte die Kölner Ausgangssperre 6 Tage länger brauchen um zu wirken?
Wichtig wäre statt eines falschen Eigenlobs jetzt zu gucken, welche Ursachen denn wirklich zum Absinken geführt haben. Auch wenn statistisch aufwändiger, das Ergebnis wäre für die zukünftigen Maßnahmen eine gute Entscheidungsgrundlage.
Methodisch haben wir die Problematik in „Lügen mit Zahlen“, Kapitel 3, „Auf der Suche nach dem Warum – Ursache und Wirkung“ beschrieben.
Die Inzidenzzahlen der letzten Wochen finden Sie für den Bund und Köln in der beiliegenden Tabelle. Erklärungen reiche ich gerne nach.
Freundliche Grüße
Gerd Bosbach
Köln, 4. Mai 2021
(*) So hat Karl Lauterbach nach Rundfunkberichten erklärt, dass die Bürger sich schon Tage vor Beginn an die Ausgangssperre gehalten hätten, also die Sperre schon der Grund für die sinkenden Fallzahlen sei. Klar solche Bürger wird es geben, aber die meisten werden die letzten erlaubten, offenen Abende noch genutzt haben. Wissend, dass das Ende der Ausgangssperre ungewiss ist. Der im November verhängte vierwöchige Lockdown gilt verschärft ja noch heute. Aber vielleicht hat Lauterbach nur einen humoristischen Testballon gestartet.