Antikörper aus der Wüste

Mit Antikörpern aus der
Wüste zu den erkrankten Zellen

Der Einsatz von
Nanopartikeln gilt in der Krebsforschung als vielversprechender Ansatz,
um Tumorzellen aufzuspüren und zu bekämpfen. Bislang scheitert die
Verwendung allerdings häufig daran, dass das menschliche Immunsystem sie
als Fremdkörper erkennt und ausschleust, bevor sie ihre Aufgaben
erfüllen können. Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf
(HZDR) und des irischen University College in Dublin haben nun gemeinsam
mit weiteren Kooperationspartnern Nanopartikel entwickelt, die sowohl
die Abwehrsysteme des Körpers umgehen als auch ihren Weg zu den
erkrankten Zellen finden können. Dafür verwendeten sie die Fragmente
einer Art von Antikörpern, die nur bei Kamelen und Lamas vorkommen. Die
kleinen Teilchen waren so selbst unter Bedingungen erfolgreich, die der
Situation im Patienten sehr ähnlich sind.

„Wir müssen momentan
drei große Herausforderungen meistern“, beschreibt Dr. Kristof Zarschler
vom Helmholtz Virtuellen Institut NanoTracking am HZDR den aktuellen
Stand der Forschung. „Zunächst müssen wir möglichst kleine Nanopartikel
herstellen. Deren Oberfläche müssen wir anschließend so modifizieren,
dass die Proteine im menschlichen Körper sie nicht umhüllen und auf
diese Weise unwirksam machen. Und damit sie überhaupt ihre Aufgabe
erfüllen können, müssen wir ihnen auch noch einen Weg zu den erkrankten
Zellen zeigen.“ Um dies zu erreichen, haben die Rossendorfer Forscher
Nanopartikel aus Siliziumdioxid mit Fragmenten von Kamel-Antikörpern
kombiniert.

Im Gegensatz zu konventionellen Antikörpern, die aus
zwei leichten und zwei schweren Protein-Ketten bestehen, sind sie bei
Kamelen und Lamas weniger komplex aufgebaut und besitzen nur zwei
schwere Ketten. „Aufgrund dieser vereinfachten Struktur lassen sie sich
leichter herstellen als die normalen Antikörper“, erläutert Zarschler.
„Da wir außerdem nur ein spezielles Fragment benötigen – nämlich den
Teil des Moleküls, der an bestimmte Krebszellen bindet –, wird es
möglich, die Nanopartikel viel kleiner zu gestalten.“ Durch
Modifizierungen der Nanopartikel-Oberfläche wird es für das Immunsystem
außerdem schwieriger, die körperfremden Stoffe zu erkennen. Dadurch
gelangen die Nanopartikel überhaupt erst zu ihrem Ziel.

Denn im menschlichen
Körper sollen die ultrakleinen Teilchen den Rezeptor des sogenannten
Epidermalen Wachstumsfaktors (epidermal growth factor receptor, EGFR)
aufspüren. Bei verschiedenen Tumorarten wird dieses Molekül vermehrt
gebildet und/oder liegt in mutierter Form vor, was dazu führt, dass die
Zellen unkontrolliert wachsen und sich vermehren. Bei Experimenten
konnten die Rossendorfer Forscher zeigen, dass Nanopartikel, die mit den
Fragmenten der Kamel-Antikörper kombiniert wurden, an den Krebszellen
verstärkt binden. „Der EGFR ist quasi das Schloss, zu dem unser
Antikörper wie ein Schlüssel passt“, beschreibt Zarschler den
Vorgang.

Zu diesem Ergebnis kamen sie sogar bei Versuchen im
menschlichen Blutserum – einem biologisch relevantem Milieu, wie es die
Wissenschaftler formulieren: „Das bedeutet, dass wir die Tests unter
Bedingungen durchgeführt haben, die der Realität im menschlichen Körper
sehr ähnlich sind“, erklärt Dr. Holger Stephan, der das Projekt leitet.
„Das Problem bei vielen Studien ist momentan, dass künstliche Umgebungen
gewählt werden, in denen keine Störfaktoren vorkommen. Das liefert zwar
schöne Ergebnisse, ist im Endeffekt aber nutzlos, da die Nanopartikel
spätestens bei Experimenten unter komplexeren Bedingungen versagen.
Diese Gefahr konnten wir in unserem Fall zumindest
reduzieren.“

Bis die Nanopartikel eingesetzt werden können, um in
Menschen Tumore zu diagnostizieren, wird nach Ansicht der Forscher
allerdings noch einige Zeit vergehen. „Die erfolgreichen Tests haben uns
einen weiteren Schritt nach vorne gebracht“, erzählt Stephan. „Der Weg
in die Klinik ist trotzdem noch weit.“ Das Ziel der nächsten Stufe: die
Nanopartikel, die derzeit einen Durchmesser von etwa 50 Nanometer haben,
auf eine Größe von weniger als zehn Nanometer zu verkleinern. „Das wäre
optimal“, erläutert Zarschler. „Dann würden sie nur kurze Zeit im
Menschen verbleiben – gerade so lange, bis der Tumor aufgespürt
ist.“

Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)