Angst vor Chinas Neo-Liberalismus – Mit einer Einführung von Jean Pütz

Die zunehmende Tendenz Chinas zum autoritären Staat war schon lange absehbar. In meinen Kommentaren sowohl bei Facebook als auch auf dieser Homepage, habe ich mich immer schon darüber gewundert, wie blauäugig die Deutsche Regierung als auch die EU mit China umgegangen ist.

In der Zeit, als ich der Vorsitzende der Wissenschaftspressekonferenz war, in der auch chinesische Wissenschaftsjournalisten Mitglied wurden, konnte ich bemerken, wie eifrig diese die wissenschaftliche Scene beobachteten. Ich vergesse nie, dass ich seinerzeit bei der Pressekonferenz der AEG-Telefunken dabei war, als die erste CCD-Technologie (charge-capdevise-technology) als Grundlagen-Technologie vorgestellt wurde. Heute beruhen auf dieser Technologie sämtliche Bildgebenden Verfahren, Kamerachips und Displays. Sie hat die elektronischen z. B. Fernsehröhre komplett abgelöst und ermöglicht letztlich die hochauflösende Fernsehen-Darstellung oder den Computer-Display.

Mit der Realisierung taten sich die Deutschen schwer. Das geschah dann in Fernost: Japan, Korea, China, Singapore usw. Sie glauben gar nicht, wie interessiert die chinesischen Journalisten sich alles haarfein notiert haben. Das erwähne ich nur deshalb, weil was insbesondere die Halbleiter-Technik und Elektronik anbelangt, nicht nur die USA, sondern auch die Chinesen uns die Butter vom Brot genommen haben. In Deutschland stritt man sich über Nutzen und Gefahren der Kernenergie, über die schmutzige Stahlherstellung, über den Hochgeschwindigkeitszug Transrapid und viele andere Schlüsseltechnologien. Ja, die Chinesen waren z. B. bereit, ganze Eisen- und Stahlwerke Detail für Detail in Deutschland abzubauen und genauso in China als funktionierende Fabrik zu errichten.

Ein Beispiel ist in der Kernenergie der Kugelhaufen-Kernreaktor oder der Hochgeschwindigkeitszug Transrapid – und natürlich alles, was die moderne IT-Technik anbelangt. Das Problem dabei ist, dass auch die Wissenschaft dieser Technologien aus Deutschland verschwanden. Die Chinesen legen nach Konfuzius keinen Wert darauf, das Rad neu zu erfinden, sondern besser zu werden als der Meister, der ihnen das alles beigebracht hat. Deshalb waren ihnen anfangs Patente völlig egal, aber teilweise wurden sie ihnen ja sogar geschenkt. Das gilt für die neuartigen Kernreaktoren und z. B. mit dem hochentwickelten Transrapid schaffen sie im weiten chinesischen Raum ein Hochgeschwindigkeits-Systemen sondergleichen, usw., usw.

Die Folge: Die anfangs völlig unterentwickelte Wirtschaft  explodierte regelrecht und inzwischen stehen Deutschland und Europa als Bittsteller bereit, um überhaupt noch Anteil an dieser Entwicklung zu haben. Die Wirtschaftsverträge wurden nach chinesischem Gusto aufgezwungen und erst kürzlich mussten in Nachbehandlungen enorme Konzessionen an diesen autoritären Staat gemacht werden. Das gilt z. B. auch für das Elektroauto und die gesamte Automobilindustrie, die nach dem Dirigismus der Chinesen tanzt. Ohne Elektroauto hätte China niemals seine Smok-belasteten Großstädte einigermaßen bewohnbar zu erhalten. Als angebliches Noch-Entwicklungsland ist es ihnen auch gelungen, die notwendigen ökologischen Maßnahmen für den Klimawandel um Jahrzehnte zu verschieben. China weiß den bei uns bevorstehenden elektrischen Gau brutal zu umgehen und sich seine Vorteile aus diesem Zeitverzug zu sichern.

Gleichzeitig binden sie viele Länder in Afrika und Südamerika durch angebliche Wohltaten und finanzielle Unterstützung an sich. Ihre Corona-Impfpolitik bietet ihnen neuen Spielraum. In Afrika kaufen sie große Ländereien auf, um dort industrielle Landwirtschaft betreiben zu können, ohne Rücksicht auf soziale Verwerfungen. Sie haben einen imperialistischen Kapitalismus geschaffen, dem sogar die Wallstreet-Börse Tribut zollt. Die Politiker schauen ihnen hilflos zu, denn die Chinesen haben unsere konjunkturelle Entwicklung voll im Griff, Deutschland kann sich einen Wirtschaftskrieg mit China nicht leisten.

Der folgende Auszug aus Morning Briefing bestätigt und ergänzt alle diese Befürchtungen, die bis in die Macht- und Friedens-Politik hineinreichen. Auf dem mittleren Luxus-Deck im Salon der Titanic spielt die Tankapelle und selbst die Passagiere der ersten Klasse merken nicht, das eine Katastrophe bevorsteht.

Jean Pütz

(Morning Briefing) – Jeder tote Winkel, der Name gibt uns einen Hinweis, kann tödlich sein. Denn in seinem Schatten nähert sich mitunter eine Gefahr, die nicht als solche erkannt wird. Das gilt beim Autofahren und auch in der Weltpolitik.

Womit wir bei der Volksrepublik China wären. Derweil der Westen mit der Corona-Pandemie und ihren ökonomischen Folgen kämpft, hat China den Krisenmodus verlassen und nutzt das westliche Abgelenkt-Sein zum weiteren Machtausbau. Die im Dunkeln sieht man nicht:

1. In Hongkong wurde das Wahlgesetz geändert. Und zwar so, dass man nicht mehr wirklich von Wahlmöglichkeiten sprechen kann. Das Parlament in Hongkong soll künftig 90 statt 70 Sitze haben. 40 davon werden von einem pekingtreuen Komitee vergeben, 30 von „Fachwahlkreisen“, die ebenfalls als pekingtreu gelten. Die übrigen 20 dürfen in direkten Wahlen bestimmt werden. Allerdings: Hier sichert sich die chinesische Regierung Vetorechte, um bestimmte Kandidaten schon an der Kandidatur zu hindern. So sehen Wahlgesetze aus, wenn Diktatoren sie schreiben.

2. Im südchinesischen Meer ist China in das Hoheitsgebiet der Philippinen eingedrungen. 220 chinesische Fischerboote wurden etwa 300 Kilometer westlich der philippinischen Insel Palawan gesichtet – allerdings nicht, um zu fischen. Manila wertete das Vorgehen so, wie es auch gemeint war, als gezielte Provokation. Das betroffene Seegebiet wurde vom Internationalen Gerichtshof zwar zu philippinischem Gebiet erklärt. Peking aber erhebt weiterhin Anspruch.

3. Durch kostspielige Impfstoff-Einkäufe in der westlichen Welt hat sich Peking eine neue Währung zugelegt, mit der sich in Entwicklungsländern Gefolgschaft einkaufen lässt: „China hat 69 Entwicklungsländern Impfdosen gespendet“, verkündete Außenminister Wang Yi, „und exportiert Impfstoffe in 43 Länder“. Mit dieser Impf-Diplomatie schafft Peking neue Abhängigkeiten und erhöht so seinen Einfluss in der Welt.

4. Als Antwort auf die aggressive China-Politik der Amerikaner strebt die Regierung in Peking nach größerer Autarkie. Und mit der Verabschiedung des Fünf-Jahres-Plans Anfang März, der eine Politik der zwei Wirtschaftskreisläufe skizziert, ist China diesem Vorhaben näher gerückt.

5. Die chinesische Regierung reagiert zunehmend aggressiv auf Kritik der Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren. Unter dem Deckmantel der Sicherheitspolitik werden Angehörige der muslimischen Minderheit in Lager gesperrt, zwangssterilisiert, zur Arbeit gezwungen und von ihrem kulturellen Erbe entfernt. Umerziehung nennt das die chinesische Regierung, Genozid nennen das die Regierungen Kanadas, der USA und der Niederlande.

Die Brüsseler EU-Kommission und die Bundesregierung sind in Schweigsamkeit vereint. Angesichts der vielen Probleme im Zuge der Pandemie-Bekämpfung traut man sich eine Neujustierung der bisherigen China-Politik nicht zu.

Doch die Welt der Geopolitik kennt keine strategischen Pausen.