Abbau der deutschen Wirtschaft!

(Morning Briefing) – Einer der gewaltigsten Kritiker der medialen Erregungsindustrie ist Frank Castorf. Der aus der DDR stammende Ex-Intendant der Berliner Volksbühne pflegte zu sagen:

„Die DDR ist ja nicht abgeschafft worden, sie ist eingeschlafen. Und nun sitzen wir auf einem Karussell, das sich zu Tode dreht. Kollektive Verblödung und moralische Deformation haben einen geschichtlich einmaligen Stand erreicht.“

Das ist grob gesagt, aber trifft zuweilen den Kern der medial verstärkten Angstpsychosen. Die ins Grobe und Grelle entrückte Berichterstattung über Klimawandel und Corona-Epidemie verzwergt alle anderen Tatsachen, auch die über den Abstieg der deutschen Volkswirtschaft.

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zur sinkenden Produktivität im verarbeitenden Gewerbe hätte in normaler Zeit die Schlagzeile auf Seite 1 verdient. Hier sind die unbequemen Wahrheiten:

► In den ersten drei Quartalen 2019 stiegen die Lohnstückkosten um 6,7 Prozent – und damit stärker als in allen anderen 27 untersuchten Ländern, darunter Frankreich, Großbritannien, USA und Japan.

► Die deutsche Position gegenüber dem Euroraum ist damit so schlecht wie zuletzt 2002 und nur noch drei Prozent günstiger als 1999.

Dabei stand Deutschland bereits 2018 alles andere als zufriedenstellend dar:
► Die Arbeitskosten in Deutschland – also die anfallenden Kosten für Löhne, Abgaben und Steuern pro Stunde – lagen mehr als ein Viertel höher als im Durchschnitt der 27 untersuchten Länder. In Japan betrugen sie nur 54 Prozent des deutschen Niveaus, in Polen sogar nur 17 Prozent.

Der Wettbewerbsnachteil Deutschlands resultiert aus der schlichten Tatsache, dass der Sozialstaat schneller wächst als die Produktivität der Firmen. Damit fällt Deutschland, obwohl die Wirtschaft ihre Leistung steigerte, immer weiter zurück:

► Rund eine Billion Euro pro Jahr gaben Bund, Länder und Kommunen zuletzt für Sozialleistungen aus – was bald 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Dieses Geld wird über Steuern und Sozialabgaben vorher bei Unternehmern und Arbeitnehmern eingesammelt. Der Faktor Arbeit verteuert sich und verschlechtert international seine Wettbewerbsposition.

► Zum Vergleich: Laut OECD gaben die USA 2018 knapp 19 Prozent ihres BIPs für Sozialleistungen aus, im OECD-Schnitt sind es 20 Prozent.

Neben den für jedermann sicht- und spürbaren Geldflüssen reicht der Sozialstaat aber auch Ansprüche auf künftige Renten, Pflege- und Krankenkosten aus, die durch keinerlei Einnahmen gedeckt sind. Die Experten sprechen von der impliziten Staatsschuld, also den noch nicht sichtbaren Schulden durch staatliche Leistungsversprechen. Nach jüngster Berechnung der Stiftung Marktwirtschaft beträgt diese heimliche Staatsschuld 5,6 Billionen Euro. Das sind 163 Prozent des 2019 erwirtschafteten BIPs.

► Rechnet man die explizite Staatsschuld – also die heute schon sichtbare und offiziell ausgewiesene Staatsverschuldung – hinzu, ergibt sich für die nachfolgenden Generationen eine Nachhaltigkeitslücke von 7,6 Billionen Euro, was wiederum 221 Prozent des BIP entspricht.

► Diese Nachhaltigkeitslücke stieg damit innerhalb nur eines Jahres um 58 Prozent. 2018 betrug sie noch 4,8 Billionen Euro. Das Festival der Leistungsversprechen – von der Grund- über die Mütterrente bis hin zur Rente mit 63 – wirft einen düsteren Schatten auf die Zukunft der deutschen Leistungsfähigkeit.

Fazit: Damit endet die Ära Merkel so, wie die Ära Schröder begonnen hatte. Der SPD-Kanzler hatte das Land mit einem Höchststand bei den Lohnstückkosten übernommen und dank seiner Reformagenda 2010 die Wettbewerbsposition der Deutschen spürbar verbessert. 2007, zwei Jahre nach Übernahme durch Angela Merkel, erreichte das Land seinen bis dato günstigsten Wert. Bitter, aber wahr: Merkel hat Schröders Erfolge nicht verlängert, sondern verfrühstückt.

Gabor Steingart