(Spiegel) – 31 Weltkonzerne verpflichten sich selbst dazu, in großem Stil emissionsarme
Treibstoffe, Rohstoffe und Fahrzeuge einzukaufen. Auf diese Weise wollen sie globale
Märkte für diese bisher kaum verbreiteten Produkte schaffen.
An diesem Mittwochnachmittag wollen die Unternehmen, die vor allem aus der Verkehrs-, Logistik- und Stahlbranche kommen, auf dem Weltklimagipfel in Glasgow die Gründung
einer von ihnen so genannten »First Movers Coalition« bekannt geben. Diese steht unter
der Ägide des Weltwirtschaftsforums und von US-Klimabotschafter
»Das entscheidende Klimaziel von 1,5 Grad Celsius [mittlerer globaler Temperaturanstieg, die Redaktion] kann nur erreicht werden, wenn wir die Entwicklung und den Einsatz neuer Dekarbonisierungstechnologien beschleunigen«, heißt es in einem Statement zur
Gründung.
Zu den Teilnehmern gehören unter anderem Boeing, die US-Airlines United und Delta,
Apple, Amazon sowie aus Deutschland die Deutsche Post DHL Group und der
Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen. Zusammen haben die 31 Konzerne einen Börsenwert von mehr als 8000 Milliarden US-Dollar.
Handfeste kommerzielle Interessen
Die Selbstverpflichtung ist nicht nur PR oder Greenwashing. Mit ihr verfolgen die
Teilnehmer auch handfeste kommerzielle Interessen. So werden Logistikanbieter von
Großkunden wie Amazon zunehmend unter Druck gesetzt, klimaneutralen Transport
anzubieten – weil diese Unternehmen ihrerseits gegenüber Endkunden mit
Klimaneutralität werben. Oft aber sind solche Angebote kaum verfügbar.
Die »First Movers Coalition« versucht, das Henne-Ei-Problem zu lösen; bislang werden
viele dieser klimafreundlicheren Rohstoffe und Güter nur in relativ kleinen Mengen zu entsprechend hohen Preisen hergestellt. Dieses geringe Angebot ist oft auch das Resultat
geringer Nachfrage.
Ein Beispiel: Die weltweite Jahresproduktion nachhaltiger Flugzeugtreibstoffe beträgt nur geschätzte 100 Millionen Liter. Dagegen verfeuerten Verkehrsflugzeuge im Jahr 2019 rund 360 Milliarden Liter fossilen Sprit.
Wenn sich nun aber abzeichnet, dass es künftig große Abnehmer für solche Produkte
geben wird, dann wird es für Kapitalgeber interessant, große Summen in den Aufbau von Massenproduktion sowie in Forschung und Entwicklung zu investieren. Beides dürfte die neuen klimafreundlicheren Technologien wettbewerbsfähiger machen.
So lauten die konkreten Gelübde der selbst ernannten »First Movers«:
- Luftfahrt: Fluglinien wie Delta und United verpflichten sich dazu, bis 2030
mindestens fünf Prozent ihres Treibstoffbedarfs mit sogenannten »nachhaltigen
Flugzeugtreibstoffen« zu decken. Deren Treibhausgasemissionen müssen
mindestens 85 Prozent niedriger sein als bei herkömmlichem Kerosin. - Schiffahrt: Die Logistikanbieter in der Koalition geloben, dass 2030 mindestens fünf Prozent ihrer Schiffe mit sogenanntem »Null-Emissions-Treibstoff« fahren.
Angeführt werden sie von der weltgrößten Containerreederei Maersk. Deren Chef
Soren Skou forderte kürzlich im SPIEGEL-Interview sogar, von 2035 an neue Schiffe mit fossilen Antrieben komplett zu verbieten.
Kunden wie etwa Apple oder Amazon setzen sich zum Ziel, dass 2030 mindestens
zehn Prozent ihrer Güter auf Schiffen mit Null-Emissions-Treibstoffen transportiert werden. Diese Quote soll bis 2040 auf 100 Prozent steigen. - Straßengüterverkehr: Die teilnehmenden Logistikanbieter wie etwa die Deutsche
Post DHL Group verpflichten sich, 2030 mindestens 30 Prozent ihrer schweren und
sämtliche mittelschweren Lkw als sogenannte Null-Emissions-Fahrzeuge
einzukaufen. Hierzu zählen Laster mit Batterie- oder Brennstoffzellenbetrieb. Ihre
Kunden setzen sich zum Ziel, dass sie von all ihren Logistikpartnern verlangen
werden, diese Verpflichtungen einzuhalten. - Stahl: Hersteller wie SSAB Swedish Steel und Abnehmer wie ZF Friedrichshafen versichern, dass bis 2030 mindestens zehn Prozent ihrer Stahlproduktion
beziehungsweise Stahleinkäufe aus sogenanntem »Fast-Null-Emissions-Stahl«
bestehen. Dieser vermeintlich klimafreundlichere Stahl soll mit neuartigen,
emissionsarmen Technologien hergestellt werden.
Hierzu zählt die Koalition den Einsatz von Wasserstoff anstelle der üblichen
Kokskohle, eine Elektrolyse-basierte Produktion – aber auch die Abscheidung und
unterirdische Speicherung der bei der Herstellung angefallenen Treibhausgase
(CCS). Letztere Technologie ist allerdings höchst umstritten: In Deutschland ist
selbst ihre Erprobung nur in begrenztem Ausmaß zugelassen.»Es ist gut, dass Unternehmen schon jetzt klimaverträgliche Lösungen anschieben, die heute noch nicht wettbewerbsfähig sind, die Branchen wie die Stahl- oder
Zementindustrie aber in Zukunft brauchen werden«, sagte die Greenpeace-Klimaexpertin Lisa Göldner dem SPIEGEL. »Glaubhaft aber wird die First Mover-Initiative erst, wenn sie dabei unmissverständlich falsche Lösungen ausschließt.
Risikotechnologien wie CCS oder sogenanntes Bio-Kerosin sind nicht nachhaltig.«