Probleme mit dem Islam in Europa

(NZZ) – Seit 9/11 waren westliche Medien und Politiker verzweifelt auf der Suche nach positiven Beispielen gelungener Integration von muslimischen Gemeinden. Im Jahr 2008 sprachen die deutschen Medien beispielsweise vom «Wunder von Marxloh». Gemeint war eine prachtvolle türkische Moschee, die mit 3 Millionen Euro aus deutschen Steuergeldern und EU-Mitteln in Duisburg-Marxloh subventioniert wurde.

Ein Denkfehler aus dieser Zeit setzt sich bis heute in der europäischen Islam- und Integrationspolitik fort: Man glaubt, Muslime seien durch den organisierten Islam besser integrierbar. Man hofft darauf, die Islamverbände würden dem Staat bei der Bekämpfung der Radikalisierung junger Muslime helfen. Dabei waren und sind die islamischen Organisationen ein Teil des Problems.
Der türkische Moschee-Verband Ditib bekam damals das Geld, nachdem er versprochen hatte, in der Moschee Sprachkurse für Frauen durchzuführen und Arbeitsplätze für junge Muslime in der wirtschaftlich schwachen Region zu schaffen. Doch kaum war die Moschee vollendet, entliess Ditib die Frauenbeauftragte und sagte die Sprachkurse ab; Projekte wurden keine realisiert. Das alles hatte keine Konsequenzen für Ditib. Die Gläubigen beteten in der Moschee auf Kosten der Steuerzahler, sie huldigten Erdogan und seiner AKP.

Religiöse Diktatur
Der politische Islam arbeitet in Europa mit der gleichen Salamitaktik, die den Islamisten in der Türkei zur Machtergreifung verholfen hat. Dieses säkulare Land hat eine Kehrtwende vollzogen in Richtung einer religiösen Diktatur.

Erdogan und die Macht seiner AKP sind nicht über Nacht entstanden. Sie sind das Ergebnis einer schleichenden Unterwanderung der staatlichen Strukturen durch Islamisten. In den 1980er Jahren hatten diese mehr Teilhabe in der Gesellschaft gefordert. Damals zeigten sie sich apolitisch und beteuerten ihren Respekt gegenüber der säkularen Ausrichtung des Staates. Sie behaupteten, ihnen gehe es nur um Spiritualität und islamische Werte wie Tüchtigkeit und Disziplin, die sie auch in den Schulen vermitteln wollten. Die damalige Regierung genehmigte ihnen die Gründung von religiösen Schulen, die eine ganze Generation prägten und in denen die Saat einer umfassenden islamischen Gesellschaftsordnung gestreut wurde. Die Absolventen dieser Schulen wurden später Lehrer, Polizisten, Richter und Armeeoffiziere. Der Marsch durch die Institutionen war ihre Strategie.

Das Erdogan-Modell macht Schule
Die gleiche Taktik verfolgen die Islamisten in Deutschland. Es ist ihnen bereits gelungen, eigene Kindergärten und Schulen zu gründen sowie Einfluss auf den Islamunterricht zu nehmen. Sie werden demnächst Wohlfahrtsverbände gründen und Krankenhäuser und Altersheime mit staatlichen Fördergeldern bauen. Sie werden wie die Kirchen im Rundfunkrat der regionalen Sender sitzen und mitreden, dies vielleicht auch bei ARD und ZDF. Die Islamverbände schicken ihre Kader in die Parteien der Mitte im Namen der politischen Teilhabe, um diese zu unterwandern und mehr Einfluss auf politische Entscheidungen zu haben.

Sollten die Regierung und die Kirchen diese Institutionalisierung des politischen Islam weiterhin unterstützen, sind sie dafür verantwortlich, dass das Erdogan-Modell auch in Deutschland Schule machen kann.
Der Begriff politischer Islam wird von den Medien und den Kirchen derzeit verharmlost. Er wird uns verkauft als das Recht der gläubigen Muslime auf politische Teilhabe. Dagegen kann kein Demokrat etwas haben. Doch wenn diese Teilhabe nur als ein Deckmantel dafür benutzt wird, eine Rechts- und Gesellschaftsordnung durchzusetzen, welche die Herausbildung von Gegengesellschaften fördert, dann ist dies Unterwanderung, keine Teilhabe. Und genau das machen die islamischen Organisationen überall in Europa.

Was macht die Deutsche Islamkonferenz?
Die Marxloh-Moschee, die uns damals als Wunder der Integration verkauft wurde, war nur eine Mogelpackung und eine Verschwendung von Steuergeldern. Ähnlich ist es mit der Deutschen Islamkonferenz. Viel Geld wurde in Projekte gesteckt in der Hoffnung, dass die Islamverbände sich vom Einfluss des Auslands lösen, doch am Ende erreichen die Verbände, was sie wollen, und der Staat bezahlt und begnügt sich mit Lippenbekenntnissen.

Man wollte ein Forum schaffen, in dessen Rahmen der Staat mit den muslimischen Organisationen, aber auch mit muslimischen Intellektuellen über die Probleme der Integration diskutieren und nach Lösungen suchen kann. Es war richtig, alle Ideen und Interessen an einen Tisch zu bringen und Projekte zu entwickeln. Die Islamverbände wollten aber nur Themen behandeln, die ihnen Einfluss und Geld bringen. Sie wollen Förderung für die Ausbildung von Imamen, für Islamunterricht, Seelsorge sowie einen eigenen islamischen Wohlfahrtsverband ähnlich der Diakonie.
Als Mitglied der Islamkonferenz habe ich gefragt, warum der Staat mit den Islamverbänden umgeht, als seien sie legitime Glaubensgemeinschaften, obwohl sie nur ethnisch-nationale Vereine sind. Schliesslich wurde ihnen der Status einer Glaubensgemeinschaft gerichtlich verweigert, weil sie weder eine klare Theologie noch ein Lehramt noch ein geistliches Oberhaupt haben.
Ich schlug vor, Schulprojekte zu Themen wie Antisemitismus unter jungen Muslimen oder Islamismus in der Schule durchzuführen, was die Verbände ablehnten, weil sie nicht zugeben wollen, dass der Islam solche Probleme hat.

Ich habe die Frage gestellt, warum die Islamkonferenz im Innenministerium angesiedelt ist, wenn wir die sicherheitsrelevanten Fragen ausblenden. Ich schlug nach 12 Jahren Islamkonferenz vor, dass wir eine Zwischenbilanz ziehen und schauen sollten, wo Fördergeld ausgegeben wurde und was uns das gebracht hat. Alle meine Vorschläge in der Islamkonferenz wurden nicht berücksichtigt.

Weshalb ich ausgetreten bin
Bei der jüngsten öffentlichen Sitzung der Islamkonferenz ist etwas passiert, was bei mir das Fass zum Überlaufen brachte: Ich betrete den Konferenzraum, begleitet von sieben Polizeibeamten. Seyran Ateş und Ahmad Mansour sind von jeweils fünf Polizisten begleitet, weil wir Islamkritiker in Deutschland regelmässig Morddrohungen von islamistischer Seite erhalten.
Plötzlich kommt eine (vom Staat für ihre Verdienste um die Integration ausgezeichnete) Vertreterin dieser Islamverbände auf mich zu und fragt, was wir da für eine Show abzögen. Sie fasst mich an der Schulter und fragt, ob ich Angst vor ihr hätte oder ob meine Beamten sie jetzt wegschubsen würden. Sie bekommt von den anwesenden Muslimen dafür einen tobenden Applaus. Die staatlichen Vertreter bleiben stumm.

Das ist die vorherrschende Einstellung bei den Islamverbänden. Sie erzählen den Politikern Märchen von Respekt und Toleranz, um Fördergelder zu bekommen, aber ich bin der Störenfried, der Islamophobe, der Spalter.
Nach den Anschlägen von Paris, Nizza, Dresden und Wien hätte ich von der Islamkonferenz erwartet, dass das Thema Terror auf der Tagesordnung der Sitzung von vor einer Woche steht. Doch der Innenminister Horst Seehofer redete nur über die Imam-Ausbildung in Osnabrück und wollte uns dies als eine Erfolgsgeschichte wie damals die Moschee von Marxloh verkaufen. Dabei ist diese Ausbildung nur ein fauler Kompromiss, der über die Skepsis der Verbände gegenüber den staatlichen Institutionen hinwegtäuschen sollte. Die Imam-Ausbildung ist seit Anfang der Islamkonferenzen im Programm.
Millionen an Steuergeldern wurden investiert in Lehrstühle für islamische Theologie an vielen Universitäten, damit Studenten dort islamische Theologie studieren und Imame werden. Doch die Verbände wollen sie nicht einstellen. Als der Ditib-Vertreter 2018 bei der Islamkonferenz verkündete, dass er diese Studenten nicht als Imame einstellen möchte, weil sie die Ditib-Standards nicht erfüllten, hätte ich erwartet, dass die Staatssekretäre aufstehen und das Gespräch abbrechen würden.

Ich will nicht länger als Feigenblatt für eine Konferenz dienen, die den politischen Islam hofiert und kritische Stimmen nur als Alibi benutzt, um Vielfalt innerhalb der Konferenz vorzutäuschen. Diese Stimmen werden nämlich nicht wirklich gehört. Deswegen habe ich letzte Woche meinen endgültigen Rücktritt aus der Islamkonferenz erklärt. Denn dieses Forum fördert weder die Integration, noch bekämpft es die Radikalisierung. Vielmehr ermächtigt es die Feinde des Staates und der offenen Gesellschaft. Das ist keine Integrationspolitik, sondern Selbstaufgabe

Hamed Abdel-Samad