COVID-19: Kontakt mit Erkältungsviren bietet offenbar keinen Schutz
Das Immungedächtnis könnte hingegen eher zu schweren Krankheitsverläufen beitragen, wie ein Kieler Forschungsteam zeigt.
(UNI Kiel) – COVID-19 kann sehr unterschiedlich verlaufen, von symptomfrei bis lebensbedrohlich, vor allem bei älteren Erkrankten kommt es häufiger zu schweren Verläufen. Die Gründe dafür sind unklar. Viele Menschen hatten bereits vor dem Auftreten des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 Kontakt zu anderen Coronaviren, etwa als Auslöser von Erkältungskrankheiten. Eine Hypothese war daher, dass diese früheren Kontakte zu einem besseren Immunschutz auch vor einer SARS-CoV-2-Infektion beitragen könnten. Dem sind Mitglieder des Exzellenzclusters „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) aus Kiel nachgegangen. Sie konnten zeigen, dass Menschen, die noch keine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht haben, tatsächlich bestimmte Immunzellen, sogenannte T-Gedächtniszellen aufweisen, die auch SARS-CoV-2 als Fremdkörper erkennen können. Allerdings sind diese „prä-existierenden“ T-Gedächtniszellen offenbar nicht besonders gut in der Lage, eine SARS-CoV-2-Infektion zu erkennen und für deren Bekämpfung zu sorgen, da sie das Virus nur schwach binden. Stattdessen könnten diese Gedächtniszellen sogar eher zu einem schweren Krankheitsverlauf beitragen. Diese Ergebnisse hat das Forschungsteam um Professorin Petra Bacher und Professor Alexander Scheffold vom Institut für Immunologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, mit Kolleginnen und Kollegen der Universitätskliniken Köln und Frankfurt vor kurzem im renommierten Fachjournal Immunity veröffentlicht.
Im Laufe des Lebens kommt das Immunsystem eines Menschen mit zahlreichen Fremdstoffen, wie etwa Krankheitserregern in Kontakt. Wenn es auf einen bisher unbekannten Erreger trifft, werden sogenannten naive T-Zellen aktiviert, die nach einer mehrtägigen Lernphase die Immunreaktion gegen den neuen Erreger vorantreiben. Dieses „Wissen“ des Immunsystems über den konkreten Krankheitserreger wird nach der akuten Immunreaktion in Form von T-Gedächtniszellen im Körper gespeichert. Kommt das Immunsystem dann wieder mit dem gleichen Erreger in Kontakt, werden diese Gedächtniszellen aktiviert und können schneller und wirkungsvoller den Erreger bekämpfen, als naive Zellen. Auch auf ähnliche Erreger, zum Beispiel verschiedene Stämme von Coronaviren, können diese Gedächtniszellen in einer sogenannten Kreuzreaktion reagieren und auch diese schneller bekämpfen.
„Vorangegangene Arbeiten hatten bereits gezeigt, dass Menschen, die bisher keinen Kontakt zum neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 hatten, trotzdem T-Gedächtniszellen haben, die SARS-CoV-2 als Erreger erkennen können. Aber es war nicht klar, woher diese kommen und vor allem welchen Einfluss sie auf die SARS-CoV-2-Abwehr haben. Eine Hypothese war, dass sie aus Kontakten zu gewöhnlichen Erkältungs-Coronaviren stammen, und gegen Sars-CoV-2 kreuzreagieren. Unser Fokus lag daher auf diesen bereits vorhandenen Gedächtniszellen. Wir wollten untersuchen, ob diese wirklich zu einem besseren Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion führen“, erklärt Professor Alexander Scheffold, Direktor des Instituts für Immunologie der CAU und des UKSH, Campus Kiel, und Mitglied im Exzellenzcluster PMI.
SARS-CoV-2-Gedächtniszellen entstehen nicht nur durch Erkältungen
Dazu haben sie aus dem Blut von Spenderinnen und Spendern, die bisher keinen Kontakt zu SARS-CoV-2 hatten, die Immunzellen untersucht. Sie konnten zeigen, dass Menschen ohne bisherigen Kontakt zu dem Virus, tatsächlich diese Gedächtniszellen besitzen, die auch SARS-CoV-2 als einen Fremdkörper erkennen. „Allerdings haben jüngere Menschen, die häufiger an gewöhnlichen Erkältungen erkranken, entgegen der Erwartung keine größere Anzahl dieser Zellen. Außerdem reagiert nur ein kleiner Teil dieser Zellen auch mit den Corona-Erkältungsviren. Die Gedächtniszellen haben also offenbar wenig mit früheren Kontakten zu Corona-Erkältungsviren zu tun“, sagt Scheffold. „Es scheint eher so zu sein, dass im Laufe des Lebens das Repertoire an Gedächtniszellen gegen viele verschiedene Krankheitserreger wächst und dadurch auch die Wahrscheinlichkeit, dass darunter auch welche sind, die SARS-CoV-2 zufällig erkennen. Dieses Gedächtniszell-Repertoire, das sich mit jeder Infektion vergrößert, kann man daher auch als „immunologisches Alter“ bezeichnen, das auch tatsächlich mit dem biologischen Alter zunimmt“, so Scheffold weiter.
Doch obwohl diese Gedächtniszellen in jedem vorhanden sind, sind sie offensichtlich nicht an der Abwehr einer SARS-CoV-2-Infektion beteiligt. Das liegt vermutlich an ihrer Qualität: „Diese T-Gedächtniszellen erkennen zwar SARS-CoV-2-Viren, allerdings machen sie das nicht besonders gut. Dadurch sind sie wahrscheinlich nicht in der Lage, dafür zu sorgen, dass das Virus erfolgreich bekämpft wird“, erklärt die Erstautorin Professorin Petra Bacher, Schleswig-Holstein Excellence-Chair Nachwuchsgruppenleiterin „Intestinale Immunregulation“ vom Institut für Immunologie an der CAU. Denn tatsächlich fand das Forschungsteam in COVID-19-Erkrankten mit mildem Verlauf vor allem T-Zellen, die das Virus sehr gut erkennen. „Hier könnte eine Immunreaktion ausgehend von naiven T-Zellen zugrunde liegen, das heißt, die T-Zellen, die hier die Immunreaktion gegen das Virus unterstützen, könnten aus naiven T-Zellen und nicht aus Gedächtniszellen entstanden sein“, erklärt Bacher.
Immunologisches Alter möglicherweise ein Risikofaktor für schweren Verlauf
Besonders interessant für die Forschenden war, dass bei Patientinnen und Patienten mit einem schweren Krankheitsverlauf die T-Zellen SARS-CoV-2 ähnlich schlecht erkennen, wie die „prä-existierenden“ T-Gedächtniszellen. „Das könnte darauf hindeuten, dass diese Immunzellen bei den schweren COVID-Fällen von den schlecht bindenden prä-existierenden T-Gedächtniszellen abstammen“, sagt Bacher. „Dies könnte eine einfache Erklärung dafür liefern, warum ältere Menschen ein höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben. Sie haben vielfach auch ein höheres immunologisches Alter und damit auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass das Immunsystem auf diese „inkompetenten“ prä-existierenden Gedächtniszellen zurückgreift“, so Bacher weiter.
„Unsere Arbeit zeigt, dass zurückliegende Erkältungen mit Coronaviren keinen effizienten Immunschutz vor SARS-CoV-2 bieten. Darüber hinaus liefert sie wichtige Hinweise darauf, dass das immunologische Alter möglicherweise einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf begünstigen könnte. Weitere Untersuchungen sind nun nötig, um einen direkten Zusammenhang von immunologischem Alter und schwerem COVID-19 zu überprüfen, und den Einfluss von prä-existierenden Gedächtniszellen auf die Immunreaktion gegen SARS-CoV-2 genauer zu analysieren“, sagt Scheffold.