Zuständigkeit für gesundheitlichen Verbraucherschutz

Zuständigkeit für gesundheitlichen Verbraucherschutz gehört ins Gesundheitsministerium

Landwirtschaftsministerium vertritt zu einseitig Erzeugerinteressen und vernachlässigt Prävention und Gesundheitsförderung

Berlin
– Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) spricht sich dafür aus, die
Zuständigkeit für Ernährung als Strategie der Prävention und
Gesundheitsförderung aus dem Landwirtschaftsministerium ins
Gesundheitsministerium zu verlagern. „Das Landwirtschaftsministerium
vertritt primär die Interessen der Landwirtschaft und der
Lebensmittelindustrie“, erklärt dazu Dr. Dietrich Garlichs,
Geschäftsführer der DDG. „Dabei bleiben die gesundheitlichen Belange der
Bevölkerung leider oft auf der Strecke, wie sich jüngst wieder in der
Debatte um dickmachende sogenannte Kinderlebensmittel gezeigt hat.“ Um
diesen Interessenkonflikt aufzuheben, sei für Lebensmittel ein Primat
der Gesundheitspolitik vor der Landwirtschaftspolitik sinnvoll. Das gilt
besonders auch in Hinsicht auf die TTIP-Verhandlungen und die Frage, ob
Ernährung als Teil des freien Welthandels von landwirtschaftlichen
Produkten betrachtet wird oder eher als Frage der Prävention und
Gesundheitsförderung.

Im
Gesundheitsministerium seien Ernährungsthemen besser aufgehoben, so
Garlichs. Die moderne Ernährung mit zu viel Fett, Zucker und Salz stellt
neben Rauchen, Alkoholkonsum und körperlicher Inaktivität eine der
Hauptursachen für nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes,
Herzkreislauferkrankungen und Krebs dar. Laut einer jüngst
veröffentlichen Studie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg,
die vom Bundesforschungsministerium gefördert wurde, verursache
ungesunde Ernährung im deutschen Gesundheitssystem jährliche Kosten von 
fast 17 Milliarden Euro. Dabei sind die indirekten Kosten  wie
beispielsweise Arbeitsausfall, Kurbehandlungen noch nicht mitgezählt.
„In der internationalen Diskussion ist unstrittig, dass eine Reduzierung
des zu hohen Konsums von Zucker, Fett und Salz dringend erforderlich
ist“, betont Professor Dr. med. Baptist Gallwitz, Präsident der DDG.
Einrichtungen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die britische
Ärzteorganisation British Medical Organisation und viele andere fordern
daher Maßnahmen wie ein Verbot von an Kinder gerichtete
Lebensmittelwerbung oder die Einführung einer Zucker-Fett-Steuer.

Das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) spricht sich
konsequent gegen solche Maßnahmen aus. „Das ist keine Überraschung, wenn
man die Strukturen genauer betrachtet“, erläutert Garlichs. So ist das
BMEL für die Lebensmittelerzeugung zuständig – und dazu gehört auch die
deutsche Zuckerindustrie, die derzeit erhebliche wirtschaftliche
Einbußen zu verkraften hat. Wie die „Wirtschaftliche Vereinigung Zucker“
(WVZ) jüngst erklärte, wird die Zuckererzeugung aus Rüben in
Deutschland nach aktuellen Schätzungen in 2015/2016 „deutlich“ hinter
den Erträgen des Vorjahres zurückbleiben.

In
einer Rede beim Kongress der Internationalen Vereinigung der
Europäischen Rübenanbauer (CIBE) am 3. Juni diesen Jahres in Berlin
sicherte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt der angeschlagenen
Zuckerbranche zu, gemeinsam Lösungen für den Sektor zu finden und
stellte klar: „Ich lehne Strafsteuern auf vermeintlich ungesunde
Lebensmittel ab.“

Die
Zuckerindustrie hat in den zurückliegenden Jahrzehnten weltweit immer
wieder großes Geschick darin bewiesen, Teile der Politik und
Wissenschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ärzte der University of
California zeichneten jüngst in der Fachzeitschrift PLOS Medicine nach,
wie die Zuckerindustrie in den USA erfolgreich daran arbeitete, die
Folgen von gesüßten Getränken und Speisen auf die Zähne zu verschleiern.
Zudem berichtete die New York Times kürzlich, dass der
Coca-Cola-Konzern Wissenschaftlern 1,5 Millionen Dollar zahlte, damit
sie mangelnde Bewegung als den wahren Dickmacher identifizieren – und
gleichzeitig die Bedeutung gesüßter Softdrinks relativieren.

Rede
des Bundministers Christian Schmidt in Berlin beim internationalen
Kongress der Internationalen Vereinigung der Europäischen Rübenanbauer
(CIBE):

https://www.bmel.de/SharedDocs/Reden/2015/06-03-SC-Ruebenbauern.html

Cristin E. Kearns, Stanton A. Glantz , Laura A. Schmidt: