Zur angeblich Vierten Corona-Welle: 7 interessante Fragen, 7 kluge Antworten

(Morning Briefing) – Erneut sind Fragen von hoher Relevanz aufgeworfen: Wohin driftet Deutschland? Was ist Panik und wo beginnt die seriöse Besorgnis? Sind erneut harte Maßnahmen zu erwarten – und sei es nach der Bundestagswahl?

Hier sind die sieben wichtigsten Fragen und der Versuch einer politisch neutralen und sachlich fairen Beantwortung:

1. Gibt es tatsächlich eine vierte Welle der Infektionen, wie der Chef des Robert-Koch-Instituts behauptet?

Antwort: Die 7-Tage-Inzidenz steigt in Deutschland seit drei Wochen und liegt aktuell bei 15. Auch der 7-Tage-R-Wert liegt seit Anfang Juli kontinuierlich über 1. Das ist noch keine Flutwelle, aber das Meer ist spürbar in Bewegung geraten. Kein Grund zur Panik. Aber Grund genug, aufmerksam zu sein.

2. Was genau ist der Unterschied zwischen dem Infektionsgeschehen dieser Tage und der Situation im Winter und im Frühjahr?

Antwort: Anders als im Winter 20/21 und im Frühjahr dieses Jahres ist nun die Hälfte der Bevölkerung (50,2 Prozent) vollständig geimpft. Das macht sie weitestgehend immun gegen eine schwere Covid-Erkrankung. Zahlen aus Großbritannien legen zum Beispiel nahe, dass steigende Inzidenzwerte nicht mehr mit einer steigenden Belegung von Krankenhausbetten einhergehen. Das bedeutet: Die Situation ist ernst. Aber sie ist nicht dramatisch.

3. Droht erneut eine Situation, in der wir auch nur in die Nähe der Belastungsgrenze für unsere Intensivmedizin kommen?

Antwort: Die Zahl der Hospitalisierungen steigt seit ca. zwei Wochen. Aber von einer Überlastung der Intensivmedizin kann keine Rede sein. Vieles hängt vom weiteren Tempo der Impfkampagne ab. Der Anteil der sogenannten Impfdurchbrüche in Deutschland ist sehr gering. Das RKI meldete in seinem letzten Report, dass seit Anfang Februar 716 bereits geimpfte und trotzdem infizierte Covid-Patienten ins Krankenhaus gebracht werden mussten.

Das Robert-Koch-Institut hat als Ziel eine Impfquote von 85 Prozent für 12-59-Jährige und von 90 Prozent für über 60-Jährige errechnet. Die würde ausreichen, dass die Belastungsgrenze gar nicht erst getestet wird.

4. Welche Rolle spielt die Delta-Variante von COVID-19?

Antwort: Eine wichtige, im Herbst wahrscheinlich eine dominante Rolle. Die meisten der neuen Covid-Erkrankungen in vielen Ländern gehen bereits auf die Delta-Mutation, die zuerst in Indien entdeckt wurde, zurück. Sie ist wesentlich ansteckender als die Alpha-Mutation, die im Frühling die vorherrschende Variante war.

Der maximale Impfschutz gegen die Delta-Variante ist erst nach der Zweitimpfung erreicht und variiert bei den Impfstoffen zwischen 95 und 66 Prozent.

6. Der Impfstoff ist jetzt ausreichend vorhanden, aber das Impftempo verlangsamt sich. Was ist der wichtigste Grund dafür?

Antwort: Die Gründe für das abnehmende Impftempo sind unterschiedlichster Natur. Viele Menschen sind von der Ungefährlichkeit einer Impfung nicht überzeugt. Das Vertrauen in die staatlichen Informationen hat sich im Verlauf der Pandemie deutlich reduziert, sagt Prof. Cornelia Betsch von der „COSMO“-Studie. Diese Studie taxiert den harten Kern der Impfgegner nur auf circa zehn Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen werden zum Erreichen der Herdenimmunität nicht gebraucht.

7. Werden die politischen Parteien diese Situation hinnehmen oder werden sie – wie im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes möglich – mit einer allgemeinen Impfpflicht reagieren?

Antwort: Berlin schaut nach Paris: In Frankreich bebt die politische Landschaft, seitdem die Regierung per Gesetz das Impfen für das Gesundheitspersonal verbindlich vorgeschrieben hat. Einen Bundestagswahlkampf im Zeichen heftiger Corona-Polarisierung würden sich die Parteien gerne ersparen.

Einzige Ausnahme ist die AfD: Sie könnte nach dem Rückgang ihrer demoskopischen Werte (minus 2,6 Prozent gegenüber der Bundestagswahl 2017, sagt Forsa) ein zündendes Wahlkampfthema gut gebrauchen.

Fazit: Das pandemische und das politische Geschehen sind auf das Engste miteinander verbunden. Wenn über die Coronapolitik die ohnehin nur mühsam hergestellte Geschlossenheit der Union erodiert und die Differenzen zwischen den Rivalen Söder und Laschet erneut sichtbar werden, könnten die Regierungsparteien CDU und CSU am Wahlabend da landen, wo sie nie landen wollten: auf der Intensivstation.