Das Wohlbefinden im Alter hängt
maßgeblich von psychosozialen Faktoren ab. Körperliche
Beeinträchtigungen spielen eher eine untergeordnete Rolle, zeigen
Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und der Technischen
Universität München in ‚BMC Geriatrics‘.
„Das Altern
an sich ist nicht zwangsläufig mit einem Rückgang der Lebensfreude und
Lebensqualität verbunden“, fasst Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig die
Ergebnisse zusammen. „Vielmehr beeinträchtigen psychosoziale Faktoren
wie Depressionen oder Angststörungen das subjektive Wohlbefinden*“, so
der Leiter der Gruppe Mental Health am Institut für Epidemiologie II des
Helmholtz Zentrums München und Professor für psychosomatische Medizin
am Klinikum rechts der Isar der TU München. „Bei Frauen spielt zudem das
Alleinsein auch eine wichtige Rolle.“
„Einfluss von emotionalem Stress bisher kaum untersucht“
Für
die aktuelle Arbeit griffen Ladwig und sein Team auf Daten von rund
3600 Probandinnen und Probanden mit einem Durchschnittsalter von 73
Jahren zurück. Sie waren im Rahmen der Augsburger Bevölkerungsstudie
KORA-Age** befragt worden. „Die Studie war vor allem vor dem Hintergrund
interessant, dass der Einfluss von emotionalem Stress auf das
Wohlbefinden bisher kaum in einem breiteren, nicht-klinischen
Zusammenhang untersucht wurde“, erklärt PD Dr. Karoline Lukaschek. Sie
ist Epidemiologin in der Arbeitsgruppe Mental Health und Erstautorin der
Arbeit. „Unsere Studie schloss daher Angststörung, Depressionen und
Schlafstörungen explizit mit ein.“
Grundsätzlich hohes Wohlbefinden, aber…
Die Wissenschaftler bestimmten das Wohlbefinden über einen fünfteiligen
Fragebogen der Weltgesundheitsorganisation, dessen Auswertung Werte von
0 bis 100 zulässt (WHO-5-Wohlbefindens-Index). Für ihre Analysen
teilten sie anschließend die Ergebnisse der Probanden in ‚hoch‘ (Index
> 50) und ‚niedrig‘ (Index ≤ 50) ein. Die folgende Auswertung ergab
bei einer Mehrheit (79 Prozent) der Befragten ein hohes subjektives
Wohlbefinden. Durchschnittlich lagen die Werte zudem über dem von der
WHO festgesetzten Grenzwert von 50. In der ‚niedrig‘-Gruppe befanden
sich allerdings auffällig oft Frauen: rund 24 Prozent gegenüber rund 18
Prozent bei den Männern.
Depressionen und Angststörungen größtes Risiko
Auf der Suche nach den Ursachen konnten die Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler vor allem psychosoziale Faktoren ermitteln: Vor allem
Depressionen und Angststörungen hatten den stärksten Effekt auf das
Wohlbefinden. Negative Einflüsse hatten zudem ein niedriges Einkommen
und Schlafstörungen. Schlechte körperliche Gesundheit (etwa geringe
sportliche Aktivität oder sogenannte Multimorbidität) schien wenig
Einfluss auf Lebenszufriedenheit zu haben. Bei Frauen erhöhte außerdem
das Alleinleben signifikant die Wahrscheinlichkeit für ein niedriges
Wohlbefinden.
„Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit machen
deutlich, dass für ältere Menschen entsprechende Angebote und
Interventionen eine große Rolle spielen können, besonders für
alleinlebende ältere Frauen“, ordnet Ladwig die Ergebnisse ein. „Vor
allem, wenn man weiß, dass hohe Werte von subjektiv empfundenem
“Well-being” mit einem geringeren Mortalitätsrisiko verbunden sind.“
Weitere Informationen
* Subjektives Wohlbefinden (engl. subjective well-being, SWB)
beschreibt das selbst wahrgenommene Gefühl des Glücks im Leben oder der
Zufriedenheit mit dem Leben. Daneben gibt es Maße des objektiven
Wohlbefindens, die versuchen die Lebensqualität eines Menschen zu
erfassen, beispielsweise die Verfügbarkeit von materiellen und
immateriellen Dingen.
** Die Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg (KORA) untersucht seit 30 Jahren die Gesundheit tausender Bürger aus
dem Raum Augsburg. Ziel ist es, die Auswirkungen von Umweltfaktoren,
Verhalten und Genen zu verstehen. Kernthemen der KORA-Studien sind
Fragen zu Entstehung und Verlauf von chronischen Erkrankungen,
insbesondere Herzinfarkt und Diabetes mellitus. Hierzu werden
Risikofaktoren aus dem Bereich des Gesundheitsverhaltens (u.a. Rauchen,
Ernährung, Bewegung), der Umweltfaktoren (u.a. Luftverschmutzung, Lärm)
und der Genetik erforscht. Aus Sicht der Versorgungsforschung werden
Fragen der Inanspruchnahme und Kosten der Gesundheitsversorgung
untersucht.
Hintergrund:
Die Stabilität
der hohen SWB-Werte trotz altersbedingter Gebrechen und/oder sozialer
Verluste ist auch als „Alters-Paradoxon“ bekannt. Weitere Studien sind
notwendig, um die scheinbare Diskrepanz zwischen tatsächlichem (hohem)
biologischen Alter und subjektiv empfundenem (hohen) Well-being zu
untersuchen und die Ressourcen zu identifizieren, die es Menschen
ermöglichen trotz nachlassender Gesundheit und schwindenden sozialen
Kontakten eine positive Lebenseinstellung zu bewahren.