31.01.2016 Wissenschaftsvermittlung für Jedermann Gedankenaustausch mit einem renommierten Mathematiker

Ulrich Trottenberg ist seit 2012 geschäftsführender Gesellschafter der InterScience GmbH. Bis zum Frühjahr 2012 war er Inhaber des Lehrstuhls für Angewandte Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen der Universität zu Köln, sowie Leiter des Fraunhofer-Instituts für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen (SCAI). Seit der Gründung der scapos AG im Jahre 2009 ist er deren Aufsichtsratsvorsitzender.

(Gekürzte Fassung)

Lieber Ulrich,

herzlichen Dank für Deine ausführliche Mail. Ich weiß, wir waren immer Brüder im Geiste, denn Du hast uns bei der Entstehung der WPK außerordentlich tatkräftig unterstützt. Wobei mein Anliegen auch das Deine war,  den Bürger auch geistig an der Entwicklung der modernen Technik teilnehmen zu lassen, nach dem Motto: Wissenschaft und Technik darf nie nur Herrschaftswissen werden.

Auch im Ruhestand lässt uns dieses Ziel offenbar nie ruhen. Du hast genauso wie ich erkannt, dass unsere Zivilisation niemals überleben wird, wenn es uns nicht gelingt, alle Schichten der Bevölkerung so zu informieren, dass sie vor lauter Bäume trotzdem den Wald noch sehen. Das große Problem unserer Zeit besteht darin, dass alles so kompliziert wird, dass daran die meisten Menschen verzweifeln und auf keinen Fall mehr teilnehmen können. Die Folge sind irrationale Ängste, die unsere Demokratie zum Absturz bringen können. Nicht umsonst habe ich in Schengen zum 30jährigen Jubiläum des Abkommens einen Vortrag gehalten zum Thema Demokratie und Wissenschaft, um klar zu machen, dass reine Emotionen jedenfalls demokratisch nie zu einer Problemlösung führen können. Ein Hoffnungsschimmer bildet da die Wissenschaft. Aber Du weißt genauso wie ich, dass das wissenschaftliche Gutachterwesen nur selten zum Ziel führt.

Im Moment schreibe ich auf Bitten eines Verlags an meiner Biographie unter dem Titel „Ein Glückspilz packt aus“, sie soll ein Mosaikstein der Zeitgeschichte darstellen. Dort beschreibe ich auch Probleme der Massenkommunikation und der sozialen Relevanz. Im Zusammenhang mit der durch den politischen Islam verursachten Krise, wird oft von Parallelgesellschaft gesprochen. Das ist richtig und wichtig. Ich meine auch, wir sollten vor der eigenen Tür kehren. Die sogenannten Akademiker selbst haben eine Parallelgesellschaft geschaffen auf der Anbindung der Verhaltensweisen der Bürger mit geringem Bildungshorizont. Dem entgegen zu wirken habe ich seinerzeit das Glück gehabt, die Redaktion Naturwissenschaft und Technik des WDR-Fernsehens zu gründen. Es war stets meine Absicht, Sprache und Modelle der Wissenschaft und Technik zu finden, die der normale Bürger begreifen kann. Ich habe dazu Humor und die Motive der Menschen genutzt, die ich ansprechen wollte, sozusagen nach dem Motto: Was bringt es, Informationen in einer Frequenz auszustrahlen, für die der normale Bürger kein „Empfangsgerät“ besitzt. So war die Hobbythek z. B. ein*trojanisches Steckenpferd‘, um die Zuschauer an Wissenschaft und Technik heranzuführen, für die sie normalerweise glaubten,  ihr Verständnis reiche nicht dafür. Deshalb war die Hobbythek nie nur eine Bastelsendung, sondern ich habe die Themen so ausgesucht, dass für diesen Bereich das Interesse für Wissenschaft und Technik geweckt werden konnte.

Vielleicht ist das der Grund, weshalb viele Zuschauer auch heute noch mir eine gewisse Autorität zusprechen. Das ist einerseits ein großer Gewinn, andererseits aber auch ein ‚Fluch‘, denn in den Medien werde ich stets nur als Fachmann für Hobbythemen, aber selten auf meine wissenschaftliche Kompetenz angesprochen. Aber was soll‘s, ich gebe nicht auf und vermute, dass Du ähnliche Probleme hast und finde es toll, dass Du Dich jetzt publizistisch an die Öffentlichkeit wendest. Ich denke, wir haben da eine gemeinsame Verantwortung.

Wie Du mir schreibst, hast Du in Köln Dein Büro direkt in der Nähe des Römerturms. Das ist dort, wo wir in den 68er Jahren unser Lokal für den Republikanischen Club besaßen – auch ‚republikanisch‘ im Gegensatz zu den miesen Ideen der Rechtspopulisten. Ich prägte seinerzeit den Spruch: „Vernunftbegabte aller Länder vereinigt Euch“ Er war bewusst formuliert zum marxistischen „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“. Außerdem   habe ich unsere Gesellschaft nach soziologischen Kriterien beobachtet und teile die Bürger ein in Analysten (diejenigen, die Ursache und Wirkung zusammen bringen) und Emotionalisten (diejenigen, die hauptsächlich ihren Bauch entscheiden lassen.). Statistisch meine ich, dass mittlerweile etwa 80 bis 85 % der europäischen Bürger aus Emotionalisten bestehen und 15 bis 20 % aus Analysten. Letztere halten unsere auf Wissenschaft und Technik basierende Wirtschaft am Laufen. Wie soll Demokratie mit so vielen Emotionalisten funktionieren, unter diesem Vorzeichen? – Das ist übrigens auch der Hintergrund dafür, dass die meisten auf dem politischen Islam basierenden Länder – insbesondere die arabisch geprägten – für die Demokratie völlig ungeeignet sind. Das hat sich leider unter den meisten Journalisten (die den sogenannten arabischen Frühling so feierten) und auch unter vielen Politikern noch nicht herumgesprochen.

Kurzum: Die Gesellschaft in Europa kann nur funktionieren, wenn die Wissenschaft einen größeren Einfluss gewinnt, sich vor allem auf breiter Front verständlich macht. Dazu gehört auch die Abwehr von einem chauvinistischen Sozialismus. Es lebe die europäische Idee!
Dein Jean

Lieber Jean,

Was Du zum Wissenschaftsjournalismus und zur Flüchtlingsproblematik schreibst, entspricht sehr genau auch meiner Einschätzung, und ich unterstütze Dich im Rahmen meiner Möglichkeiten gern.

Ich habe mich im letzten Jahr auch ein bisschen journalistisch betätigt, als Gastautor im Feuilleton der Süddeutschen. Ausgangspunkt war ein offener Brief von Juli Zeh an die Kanzlerin in der ZEIT, in dem Juli Zeh sich für einen „TÜV für Algorithmen“ einsetzt.

Algorithmen waren und sind ja mein Thema, und natürlich beschäftigen mich auch die damit zusammenhängenden Zerrbilder in der allgemeinen Presse, in Verbindung mit Big Data und der „digitalen Revolution“.

Ich halte Vorträge über diese Themen und versuche, mich auch politisch ein bisschen einzumischen (z.B. über einen informellen Beraterkreis, zu dem mich Sigmar Gabriel eingeladen hat). Die digitalen Missverständnisse und die digitale Hilflosigkeit in der allgemeinen Presse sind verheerend, da erlebst Du täglich das „Bad news are good news“.

Aber auch die Wissenschaftsjournalisten zeichnen ein diffuses Bild, die Leser werden täglich hin- und her gerissen zwischen den digitalen Chancen, bis hin zur Euphorie, und den digitalen Risiken, bis hin zu den Katastrophenszenarien. Die Materie ist in der Tat komplex, um so wichtiger ist eine ruhige und sachliche Aufklärung. Ich bleibe darüber gern mit Dir im Gespräch.

Die Aufklärung der Öffentlichkeit muss nach meiner Überzeugung in der Schule anfangen. Ich bin deshalb in diesem Bereich seit ein paar Jahren über die Uni Köln ziemlich aktiv (Lehreraus- und -fortbildung), und ich hoffe, mit ein paar konkreten Vorschlägen auch Ministerin Löhrmann überzeugen zu können, dass etwas geschehen muss. Ich habe dazu gerade mit einem Partner einen Artikel für die Zeitschrift „Digitales Lernen“ geschrieben. Er wird in diesen Tagen erscheinen.
Dein Ulrich