(HZDR) – Im rotierenden Plasma der Sonne wirkt ein bis dato unbeachteter Mechanismus: eine magnetische Instabilität, von der Wissenschaftler zuvor dachten, dass sie unter diesen Bedingungen physikalisch unmöglich wäre. Dieser Effekt könnte sogar eine wesentliche Rolle bei der Entstehung des Sonnenmagnetfelds spielen, wie Forscher des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR), der Universität Leeds und des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) in der Fachzeitschrift Physical Review Fluids (DOI: 10.1103/PhysRevFluids.4.103905) berichten.
Wie bei einem gigantischen Dynamo entsteht das starke Magnetfeld der Sonne durch elektrische Ströme. Um diesen sich selbst verstärkenden Mechanismus des Sonnendynamos besser zu verstehen, müssen Forscher die Vorgänge und Strömungen im Sonnenplasma entschlüsseln. Unterschiedliche Drehgeschwindigkeiten verschiedener Regionen und komplexe Strömungen im Inneren der Sonne wirken zusammen, um das Magnetfeld zu erzeugen. Dabei können außergewöhnliche magnetische Effekte auftreten – wie die jetzt entdeckte magnetische Instabilität.
„Super-HMRI“ nennen die Forscher den neu erkannten Spezialfall der Magnetorotationsinstabilität (MRI). Es ist ein magnetischer Mechanismus, der rotierende, elektrisch leitende Flüssigkeiten und Gase in einem Magnetfeld instabil werden lässt. Das Besondere in diesem Fall: die Super-HMRI benötigt exakt die Bedingungen, wie sie im Plasma nahe des Sonnenäquators vorherrschen – dort, wo Astrophysiker die meisten Sonnenflecken und somit die größte magnetische Aktivität der Sonne beobachten. Allerdings war diese Instabilität in der Sonne bisher vollständig übersehen worden und wird in Modellen des Sonnendynamos noch nicht berücksichtigt.
Magnetische Geburtshelfer
Dabei ist bekannt, dass magnetische Instabilitäten entscheidend an vielen Vorgängen im Universum beteiligt sind. Beispielsweise entstehen Sterne und Planeten aus großen, sich drehenden Scheiben aus Staub und Gas. Ohne Magnetfelder ließe sich dieser Vorgang nicht erklären. Magnetische Instabilitäten machen die Strömung in den Scheiben turbulent und ermöglichen so, dass sich die Masse zu einem zentralen Objekt zusammenballt. Wie ein Gummiband verbindet das Magnetfeld benachbarte Schichten, die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit rotieren. Es beschleunigt die langsamen äußeren und bremst die schnellen inneren Materieteilchen. Die Wirkung der Fliehkraft reicht dort nicht mehr aus und die Materie stürzt ins Zentrum. In der Nähe des Sonnenäquators verhält es sich genau umgekehrt. Hier bewegen sich die inneren Schichten langsamer als die äußeren. Ein solches Strömungsprofil galt in Fachkreisen bislang als physikalisch extrem stabil.
Die Forscher vom HZDR, von der Universität Leeds und vom AIP haben diesen Fall dennoch näher untersucht. Für ein kreisförmiges Magnetfeld hatten sie bereits errechnet, dass auch für außen schneller rotierende Flüssigkeiten und Gase eine magnetische Instabilität auftreten kann. Allerdings nur unter unrealistischen Bedingungen: Die Rotationsgeschwindigkeit müsste nach außen hin zu stark anwachsen.
Schrauben- statt kreisförmig
Im zweiten Anlauf gingen sie nun von einem schraubenförmig geformten Magnetfeld aus. „Wir erwarteten nichts Besonderes mehr, aber dann gab es eine handfeste Überraschung“, erinnert sich HZDR-Wissenschaftler Dr. Frank Stefani. Denn hier kann die magnetische Instabilität bereits einsetzen, wenn die Geschwindigkeit zwischen den rotierenden Plasmaschichten nur schwach zunimmt – was in der äquatornahen Region der Sonne der Fall ist.
„Die neue Instabilität könnte eine wichtige Rolle bei der Erzeugung des Sonnenmagnetfeldes spielen“, schätzt Stefani ein. „Um dies zu bestätigen, müssen wir allerdings zunächst noch weitere, numerisch aufwändige Rechnungen durchführen.“ Prof. Günther Rüdiger vom AIP ergänzt: „Astrophysiker und Klimaforscher hoffen noch immer auf ein besseres Verständnis des Sonnenfleckenzyklus. Vielleicht bringt uns die jetzt gefundene ‚Super-HMRI‘ den entscheidenden Schritt weiter. Wir werden das prüfen.“
Aufbauend auf unterschiedlichen, aber komplementären Spezialisierungen in der Astrophysik und der Magnetohydrodynamik beschäftigt sich das interdisziplinäre Forscherteam bereits seit über 15 Jahren mit magnetischen Instabilitäten – im Labor, auf dem Papier und mit Hilfe aufwändiger Simulationen. Die Wissenschaftler wollen physikalische Modelle verbessern, kosmische Magnetfelder verstehen und innovative Flüssigmetallbatterien entwickeln. Durch die enge Kooperation gelang es ihnen 2006, die Theorie der Magnetorotationsinstabilität erstmals experimentell zu bestätigen. Auch für die jetzt theoretisch vorhergesagte Spezialform planen die Forscher den Praxistest: In einem Großexperiment, das derzeit im DRESDYN-Projekt am HZDR aufgebaut wird, wollen sie magnetische Instabilitäten im Labor untersuchen.