Wenn das eigene Leben wie ein Film vorbeizieht
Das Depersonalisations-Derealisationssyndrom bleibt oft unerkannt
Berlin
– Von dem Depersonalisations-Derealisationssyndrom Betroffene befinden
sich über Monate oder gar Jahre in einem veränderten
Bewusstseinszustand, so als ob alles unwirklich und „wie in einem Film“
sei. Von ihren eigenen Empfindungen und der Außenwelt fühlen sie sich
wie abgetrennt. Obwohl das Syndrom seit Jahrzehnten als psychische
Störung bekannt ist, wird die Diagnose nur extrem selten gestellt.
Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und
Ärztliche Psychotherapie (DGPM) gemeinsam mit anderen Fachgesellschaften
in einer gemeinsamen Leitlinie hin. Allgemeinmediziner, aber auch
Fachärzte für psychische Erkrankungen, kennen das Syndrom häufig nicht.
Patienten müssen mitunter Jahre ohne angemessene Behandlung auskommen,
erklärt die Fachgesellschaft.
Das
Depersonalisations-Derealisationssyndrom ist seit Jahrzehnten in den
maßgeblichen diagnostischen Klassifikationssystemen eindeutig definiert.
Trotzdem wird es nur extrem selten diagnostiziert und daher häufig
falsch behandelt. Dabei leidet rund ein Prozent der Bevölkerung im Laufe
ihres Lebens an dem Syndrom.
Typischerweise
vermuten Patienten zu Beginn der Erkrankung eine organische Ursache,
weshalb sie zuerst ihren Hausarzt, Neurologen oder auch Augenarzt
aufsuchen. Die befremdlichen Symptome machen den Betroffenen häufig
Angst, sie befürchten „verrückt“ zu werden oder die Kontrolle über sich
zu verlieren, weshalb sie ihr Leben immer weiter einschränken. „Dass ein
emotionales Problem Ursache für ihr Leiden ist, ziehen viele nicht in
Betracht“, sagt Dr. Matthias Michal, Stellvertreter des Direktors der
Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
der Universitätsmedizin Mainz. Obwohl das
Depersonalisations-Derealisationssyndrom sich eindeutig von
psychotischen Erkrankungen wie der Schizophrenie abgrenzen lässt, werden
die Patienten nicht selten mit Antipsychotika behandelt. „Es gibt aber
bisher kein Medikament, das zur Behandlung des Syndroms zugelassen ist.
Die Therapie der Wahl ist eindeutig eine Psychotherapie“, erklärt
Michal.
„Im
ersten Schritt ist es für Betroffene schon hilfreich, wenn das
Gegenüber ihre Leiden ernst nimmt und eine Erklärung bieten kann.
Mittels einer Psychotherapie kann dann gemeinsam mit dem Patienten nach
den Ursachen für die Erkrankung geforscht werden“, ergänzt Professor Dr.
med. Harald Gündel, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für
Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Ulm und Mediensprecher
der DGPM. Von der neuen Leitlinie erhofft sich die Fachgesellschaft,
dass das Depersonalisations-Derealisationssyndrom von Ärzten aller
Fächer schneller erkannt wird, die Behandlung evidenzbasiert erfolgt und
den Patienten damit ein langer Leidensweg erspart wird.
Hier finden Interessierte die aktuelle Leitlinie zum Depersonalisations-Derealisationssyndrom: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/051-030.html