Viele Aufsichtsräte sind falsch besetzt ! Mit einem Vorwort von Jean Pütz

Liebe Leserinnen und Leser,

als die ersten Gerüchte aufkamen, dass Bayer Monsanto kaufen wollte, habe ich mich persönlich an den Aufsichtsrat von Bayer gewendet und sie ausdrücklich vor den Risiken und möglichen Folgen gewarnt. Vor allen Dingen monierte ich, weil Bayer mit diesem Deal die globale Marktführerschaft für die industrielle Landwirtschaft übernehmen wollte. Ich wies darauf hin, welch katastrophale Folgen diese so konzipierte industrielle Landwirtschaft mit ihren gentechnisch veränderten Samenprodukten, aber insbesondere auch mit Glyphosat, auf die ansässigen Bauern z. B. in Afrika und Südamerika haben würde. Dort haben bereits die Chinesen große Ländereien aufgekauft. Man stelle sich die sozialen und die Gemeinschaft zerstörerischen Wirkungen vor.

Der Aufsichtsrat hat dabei seine Pflichten völlig missachtet, insbesondere weil er jetzt sogar in der Aktionärsversammlung dem Vorstand, besonders CEO Baumann, das Vertrauen ausgesprochen hat. Dies, obwohl der Vorstand nicht entlastet wurde und der Börsenwert von Bayer schon damals absehbar unter die Summe fallen würde, die für den Kauf von Monsanto bezahlt wurde – immerhin 63.000.000 Dollar. Bedacht hat der Aufsichtsrat auch nicht, dass der Verkauf außerhalb der USA bei Prozess-Interventionen, für die in USA Schöffengerichte zuständig sind, ein Art American-First-Mentalität á la Trump durch den Einfluss der Schöffen aus dem Volk zu erwarten war.

Ich bin selbst Aufsichtsratsmitglied in einer Security-Aktiengesellschaft und verlange deshalb gesetzliche Maßnahmen, wie solche Aufsichtsratsmitglieder zur Verantwortung gezogen werden können. Verwunderlich ist diese Entwicklung auch deshalb, weil die Gewerkschaften mit dem Betriebsrat im Bayer-Aufsichtsrat vertreten sind. Doch das scheint offenbar die Kumpanei untereinander nicht zu begrenzen.

Der Gesetzgeber sollte die soziologische Kleingruppen-Forschung zu rate ziehen, da wird eindeutig beschrieben, wie solche Prozesse ablaufen.

Ihr Jean Pütz

(FAZ) Aufsichtsratsmitglieder sind häufig zu alt und falsch ausgebildet für die digitalen Herausforderungen. Für schnellere Entscheidungen sollten sie Informationen in Echtzeit bekommen.

Die Digitalisierung stellt Gesellschaft wie Unternehmen vor große Herausforderungen. Der Wandel zur Digitalisierung verändert auch unser Geschäft. Herr Snabe verfügt über eine tiefe industrielle Expertise bei Software und Digitalisierung.“ Mit diesen und weiteren Worten begründete Gerhard Cromme seine Empfehlung, den früheren Ko-Chef des Software-Konzerns SAP Jim Hagemann Snabe zum nächsten Aufsichtsratsvorsitzenden der Siemens AG zu ernennen.

Eine Analyse der Kompetenzprofile deutscher Aufsichtsräte zeigt jedoch, dass sich bis dato nur sehr wenige der führenden deutschen Unternehmen in ähnlich intensiver Weise mit den neuen Governance-Herausforderungen auseinander gesetzt haben, die die Digitalisierung mit sich bringt.

Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass das generelle Bewusstsein in den Führungschargen deutscher Unternehmen dafür gewachsen ist, dass das Thema Digitalisierung – aufgrund seines häufig maßgeblichen Einflusses auf Geschäftsmodelle, Organisationsstrukturen und -kultur – viel mehr die Aufmerksamkeit des gesamten Vorstands als nur die des Chief Digital Officers erfordert. Ein weit weniger ausgeprägtes Bewusstsein scheint jedoch darüber zu bestehen, dass eine qualifizierte Beurteilung der teilweise radikalen Strategiewechsel, die im Zuge der digitalen Transformation von Unternehmen vollzogen werden, die Mitglieder des Aufsichtsrats mit mitunter völlig neuartigen Fragestellungen, Geschäftsmodellen und Risikolagen konfrontieren. Diese besonderen Anforderungen werfen die Frage auf, welche neuen Kompetenzen und Strukturen im Aufsichtsrat benötigt werden, um eine effektive Governance in Zeiten digitalen Wandels zu gewährleisten.

Schwachpunkte
Bei dem Versuch, diese Frage zu beantworten, treten bei der Begutachtung der derzeitigen Kompetenzprofile und Aufsichtsratsstrukturen deutscher Unternehmen einige Schwachpunkte zutage:

(1) Fehlende digitale Erfahrung: Aufsichtsgremien, die einen hohen Altersdurchschnitt und geringe IT-Erfahrung aufweisen, haben als Gremium teilweise Nachholbedarf hinsichtlich der Abschätzung von Geschäftschancen digitaler Technologien, datenbasierter Geschäftsmodelle und bei der Entwicklung von digitalen Talenten aus der Millennial-Generation.

(2) Überholte Mess- und Steuergrößen: Traditionelle finanzielle Steuergrößen, die als zentrales Instrumentarium der wertorientierten Unternehmensführung über Jahrzehnte zur Beurteilung von Entscheidungsvorlagen herangezogen wurden, sind häufig ungeeignet, den Erfolg digitaler Transformationsprojekte umfassend zu beurteilen und den Aufbau neuer digitaler Geschäfte mit neuen Umsatzmodellen und Preismechanismen wirkungsvoll zu steuern.

(3) Primärer Kontrollfokus: Die Stärkung juristischer und finanzwissenschaftlicher Kompetenzen in deutschen Aufsichtsräten war vor dem Hintergrund teilweise unzulänglicher Vergütungssysteme und Compliance-Verstöße richtig. Heute erweist sich dieses primär auf Kontrolle und Risikominimierung ausgerichtete Kompetenzprofil jedoch als nachteilig, wenn es um die Beurteilung von ganz neuen Geschäften mit ihrer immanenten Unsicherheit geht.

Um diese Aspekte konsequent zu adressieren und somit eine erfolgreiche Arbeit des Aufsichtsrats zu gewährleisten, erscheinen folgende Maßnahmen überlegenswert:

Reform der Auswahlkriterien bei der AR-Besetzung
Eine effektive Governance unter den beschriebenen neuen Rahmenbedingungen erfordert Führungspersönlichkeiten, die in der Lage sind, sowohl die unternehmensinternen als auch die marktseitigen Potentiale des digitalen Wandels kompetent abzuschätzen. Dafür ist es unerlässlich, dass die handelnden Personen durch ihren fachlichen Hintergrund und/oder ihre Praxisarbeit intensiven Umgang mit digitalen Technologien und Geschäftsmodellen haben, um das Ausmaß der organisatorischen und kulturellen Transformation des Unternehmens einschätzen zu können. Bei der Nachbesetzung von Aufsichtsratsmandaten muss die digital-transformative Kompetenz somit als wesentliches Auswahlkriterium etabliert werden. Wenn auch die Berufung von „digital natives“ angesichts der zumindest in Deutschland gewünschten Seniorität von Aufsichtsräten noch ambitioniert erscheint, so sollte doch zumindest die Einstufung der Kandidaten als „digital-versiert“ als Standardvoraussetzung bei Besetzungen gelten. Neben der ethnischen oder geschlechtlichen Diversität gilt es, die „Kompetenz-Diversität“ zu stärken. Aufgrund der Signalwirkung kommt der Besetzung des Aufsichtsratsvorsitzes, wie am Beispiel Siemens ersichtlich, besondere Bedeutung zu.

Da derzeit digital versierte Aufsichtsräte noch eine knappe Ressource darstellen, kann dieser Engpass kurzfristig in Ansätzen behoben werden, indem man dem Aufsichtsrat ein „Digital Advisory Board“ mit externen Experten zur Seite stellt. Um den Stellenwert des Themas auszudrücken und eine weitergehende Spezialisierung im Aufsichtsrat zu ermöglichen, sollte zudem – neben den gängigen Kompensations- oder Risikomanagement-Komitees – über die Einrichtung eines „Digital-Komitees“ nachgedacht werden. Ein regelmäßiges direktes Reporting der/des Verantwortlichen für digitale Transformation – zum Beispiel des Chief Digital Officers – an die/den Aufsichtsratsvorsitzende/n kann helfen, die digitale Kompetenz im gesamten Aufsichtsrat auf- oder auszubauen und somit wertvolle Impulse zur höheren Effektivität des Aufsichtsrats zu liefern.

Reform der Steuerungslogik und Steuerungsmetriken
Die größten Wachstumspotentiale im Zuge der digitalen Transformation liegen zweifellos in der Entwicklung neuer digitaler Angebote und Geschäftsmodelle. Allerdings zielt eine Großzahl von Digitalisierungsinitiativen, die derzeit auf Vorstands- und Aufsichtsratsebene verabschiedet werden, vor allem auf Effizienzgewinne durch erhöhte Automatisierung ab. Neben der Verschärfung des globalen Wettbewerbs scheint dies darin begründet zu liegen, dass diese Art von Kostensenkung relativ leicht mit den etablierten Metriken zu beurteilen ist. Effizienzpotentiale sind jedoch endlich und ein Nullsummenspiel, sobald sämtliche Wettbewerber ihre administrativen und operativen Prozesse digital optimiert haben.

Um jedoch den Wandel zu neuen Geschäftsmodelllogiken zu vollziehen, müssen Metriken und Bewertungsmaßstäbe, die noch heute zur Beurteilung von Investitionen und Geschäften herangezogen werden, überarbeitet werden. Beispielsweise werden bei Plattformgeschäftsmodellen Nutzerdaten und Daten über Anwendungsverläufe (Verweildauern, Klickraten, Bewegungsprofile) zum wertvollen Gut, auf Basis derer man nach sorgfältiger Analyse erfolgreiche Mehrwertdienste anbieten kann. Dies können bei Tesla neue Autopilotfunktionen oder bei Mapal, einem mittelständischen Anbieter für hochpräzise Werkzeuge, Mehrwertdienste für Fertigungsroboter sein. Ebenso bedeutet der Übergang auf Betreibermodelle, beispielsweise im Cloud Computing, eine Transformation von Einmallizenzen mit Wartungsumsätzen zu einem integrierten Strom aus regelmäßig wiederkehrenden Abonnementzahlungen.

Für die Steuerung bedeutet dies ein Wandel vom Denken in Produktdeckungsbeiträgen hin zum Kundenwert über den gesamten Lebenszyklus. Getreu dem weiterhin gültigen Leitsatz: „Man kann nur managen, was man auch messen kann“, ist eine Reformation der Steuerungslogik und -metriken im Aufsichtsrat erforderlich, um eine strategische Fehlorientierung zu vermeiden. Typische Mess- und Steuerungsgrößen digitaler Geschäfte sollten auch als neue Aufsichtsrats-Kompetenz geschult werden.

Reform der Governance-Kultur in Zeiten von Strukturbrüchen
Im Gegensatz zum angelsächsischen Governance-Modell mit seinem integrierten „Board of Directors“ wird im dualistischen deutschen Governance-Modell eine klare Aufgabentrennung zwischen dem geschäftsführenden Vorstands- und dem kontrollierenden Aufsichtsratsgremium vollzogen. Dies steht aber keineswegs einer stärker gestaltenden Rolle des Aufsichtsrats entgegen; vielmehr sollte dieser seine Beratungsfunktion des Vorstands im Hinblick auf die Schaffung von digitalen Rahmenbedingungen dahingehend erweitern, dass der unternehmerische Aufbau neuer digitaler Geschäfte und die Kompetenzerneuerung begünstigt wird.

Dies erfordert „Business Judgement“ (unternehmerische Urteilsfähigkeit) im besten Sinne des Deutschen Corporate-Governance-Kodex für Aufsichtsräte, das die Haftung für unternehmerische Entscheidungen unter Unsicherheit limitiert. Selbstverständlich darf dies nur dann gelten, wenn es auf Grundlage angemessener Informationen, ohne Berücksichtigung sachfremder Interessen, zum Wohl der Gesellschaft und in gutem Glauben ausgeübt wurde. Bei aller Ermutigung für digitalen Wandel bleibt die strikte Einhaltung ethischer und rechtlicher Standards ein Muss.

Für diese stärker gestaltende Rolle ist auch eine neue Transparenzkultur zwischen Vorstand und Aufsichtsrat erforderlich, um die Voraussetzung für die Nutzung neuer digitaler Möglichkeiten bei der Analyse von Geschäftsdaten und der Entscheidungsunterstützung zu nutzen. Der Ansatz eines „Digital Boardroom“ hat das Potential, die Qualität der Diskussionen und somit letztlich auch die Qualität der Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat substantiell zu erhöhen. Um schnelle Entscheidungen treffen zu können, sollten die Daten der einzelnen Geschäftsbereiche in einer zentralen Informationsquelle konsistent zusammengefasst werden und kontextbezogene Kennzahlen zur Analyse historischer Daten und der Prognose künftiger Entwicklungen in Echtzeit zur Verfügung stehen.

Heutige Entscheidungssituationen werden hingegen oftmals noch dadurch verkompliziert, dass Rückfragen zu Entscheidungsvorlagen mangels Daten oft nicht abschließend geklärt werden können und somit vertagt werden müssen. Im schlechtesten Fall kommt es aufgrund von wahrgenommenem Entscheidungsdruck sogar zur Beschlussfassung ohne Abklärung der offenen Punkte. Digitalisierung kann in diesem Kontext bedeuten, dass alle Teilnehmer in Echtzeit auf dieselben Daten zugreifen. Dies ermöglicht es, die Sachverhalte und Szenarien tiefer zu erörtern und auf dieser Grundlage direkt eine gemeinsame Entscheidung zu treffen. Durch die ausgeprägtere Ausübung einer gestaltenden statt ausschließlich kontrollierenden Funktion in Kombination mit einem professionalisierten, datengestützten Entscheidungsprozess könnten Aufsichtsräte das Vertrauen von Investoren, Analysten und nicht zuletzt auch Regulatoren in die Governance ihrer Unternehmen stärken.