Verlust von Lebensräumen schadet der Artenvielfalt

Halle/Lunz (A). Der Verlust und die Fragmentierung vonLebensräumen zählen zu den wichtigsten Ursachen, warum an vielenOrten weltweit der Artenreichtum zurückgeht. Jetzt hat einForscherteam unter Beteiligung des Deutschen Zentrums für integrativeBiodiversitätsforschung (iDiv) und der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg (MLU) nachgewiesen, dass sich die Zerstörung vonLebensräumen sogar doppelt auswirkt: Wenn Lebensräume verlorengehen, verschwinden nicht nur die dort lebenden Arten – auch inbenachbarten Lebensräumen sinkt die Artenzahl. Ursache seien die zugroßen räumlichen Abstände zwischen den noch verbliebenenLebensräumen, schreiben die Forscher im Fachblatt EcologyLetters.

Wissenschaftler vom Forschungszentrum iDiv, der Uni Halle und demForschungszentrum WasserCluster Lunz in Österreich nutzten fürihre Studie Langzeitdaten zu sogenannten Salzlacken in der Region Seewinkelim Osten Österreichs. In diesen Lacken wurde das Vorkommen vonwirbellosem Zooplankton wie kleinen Krebstierchen und Rädertierchenerfasst. Lacken sind sehr seichte, von Niederschlägen und Grundwassergespeiste und immer wieder austrocknende Kleingewässer von meistweniger als einem Quadratkilometer Fläche, die im Seewinkel zum Teileinen sehr hohen Salzgehalt erreichen. In dem 270 Quadratkilometergroßen Untersuchungsgebiet gab es in den 1950er Jahren noch mehr als110 Lacken. Infolge der landwirtschaftlichen Intensivierung schwand derenZahl bis auf etwa 30 im Jahr 2010 – ein Rückgang von rund 70Prozent innerhalb von sechs Jahrzehnten. Entsprechend ging auch dieArtenzahl zurück: Fanden die Ökologen 1957 noch 64 Arten, warenes 2010 noch 47 – ein Minus von 17 Arten.

Was waren die Ursachen, dass in den Salzlacken so viele Planktonartenverschwanden? Lag es nur daran, dass deren Lebensraum verloren ging odergab es noch einen anderen Effekt? Tatsächlich fanden die Forscheranhand von Modellierungen heraus, dass der Rückgang der Salzlacken voneinst 110 auf 30 nur ein Aussterben von vier Zooplanktonarten zur Folgehätte haben dürfen: „Selbst wenn wir nicht die Anzahl derLacken, sondern stattdessen die Flächen der Lackenberücksichtigen, hätten wir nur ein Rückgang von neun Artenerwartet“, sagt Prof. Jonathan Chase, Leiter der ForschungsgruppeBiodiversitätssynthese bei iDiv und Uni Halle und Letztautor derStudie. Stattdessen seien aber 17 Arten in der Region ausgestorben. DieForscher konnten jedoch ausschließen, dass für dieseszusätzliche Minus Verschlechterungen in der Qualität derLebensräume eine Rolle spielten – etwa die Veränderung desSalzgehalts, Schwankungen des Nährstoffgehalts, wechselndeWasserstände oder Trübungen der Tümpel. „Es muss alsonoch einen anderen Effekt auf Landschaftsebene geben, der für dasAussterben der Arten in der Region verantwortlich ist“, sagtErstautorin Dr. Zsófia Horváth. Sie hat die Studie amWasserCluster Lunz in Österreich sowie beim Forschungszentrum iDiv undder Uni Halle durchgeführt.

Räumliche Prozesse können den starken Rückgang derArtenzahl erklären: Wenn viele Salzlacken verschwinden, sind dieAbstände zwischen den verbleibenden Lacken relativ groß.Für das Zooplankton wird es damit immer schwieriger, neueLebensräume zu besiedeln – etwa durch die passive Ausbreitungder Eier über Wind oder als „blinder Passagier“ an Amphibien oderVögeln. „Dass Arten lokal verschwinden, kommt immer wieder vor.Problematisch wird es, wenn diese Arten Lebensräume nicht mehrwiederbesiedeln können“, sagt Jonathan Chase. Gebe es wenigerSalzlacken, in denen eine bestimmte Art von Zooplankton vorkommt, und seiendie verbleibenden Lacken weit voneinander entfernt, sinke dieWahrscheinlichkeit, dass sich die Art erneut ausbreiten kann. Diesbedeutet, das ein lokales Aussterben in einer Salzlacke nicht mehr durcheine Neubesiedelung von anderen Lacken in der Region aufgefangen werdenkann.

In so genannten Meta-Gemeinschaften, also ökologischenGemeinschaften von Lebewesen, die sich auf verschiedene Standorte verteilenund potenziell miteinander verbunden sind, gibt es also neben dem lokalenAussterbe-Effekt einen zusätzlichen Effekt auf regionaler Ebene. Dieswurde schon länger vermutet, aber bislang selten nachgewiesen, weil eswenig Langzeitstudien gibt. Dank der Daten zu den Salzlacken in der RegionSeewinkel konnte diese Wissenslücke nun geschlossen werden. „Dasist wichtig, weil dieser Effekt künftig in der Modellierungstärker berücksichtigt werden kann – zum Beispiel, wenn esdarum geht, abzuschätzen, wie sich der Verlust von Lebensraum auf dieBiodiversität auswirkt“, bilanziert Chase.

Originalpublikation:
Horváth, Zsófia; Ptacnik, Robert; Vad,Csaba