24.02.2015 VERGANGENHEIT OHNE BEWÄLTIGUNG: RUSSLAND UND DIE SOWJETZEITEN

Ich – Jean Pütz – bin der Meinung, dass das politische Projekt, welches in der Presseinformation (s.u.) beschrieben wird, unbedingt unterstützt werden sollte. Ich denke, hier sind im Vorfeld schon die Probleme beschrieben, die Russland in die heutige Misere getrieben haben und in Zukunft verfolgen werden. Man kann dieses Riesenreich nicht unbedingt in unserem demokratischen Sinne beurteilen.

Allerdings sollte man die fehlende Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen unseren „Linken“ einmal bewusst machen und auch, dass der Kommunismus genauso faschistisch war wie das Verbrecher-Regime von Hitler. Es scheint, dass in unserer angeblich aufgeklärten Gesellschaft wohlfeile populistische Wahlgeschenke immer noch eine wesentliche Rolle spielen, die nicht finanzierbar sind oder nur durch staatliche Gewaltexzesse. Das gilt ganz besonders in Richtung Basisdemokratie, da sollten wir sehr vorsichtig sein. Frau Wagenknecht würde bei uns bestimmt eine Petition durchbekommen, die die Abschaffung der Schwerkraft (Gravitation)in einem demokratischen Abstimmungsprozess beschließen würde. Ähnliche Gesetzmäßigkeiten wie in der Naturwissenschaft existieren auch im soziologischen und wirtschaftlichen Raum.

Um das herauszufinden habe ich parallel an der Universität zu Köln ein achtjähriges Soziologie- und Volkswirtschafts-Studium absolviert mit Schwerpunkt Empirik, vor allem um zu begreifen, weshalb ein zivilisiertes Volk wie die Deutschen einem Verbrecher und Psychopaten wie Hitler überhaupt eine Chance gegeben hat. Das Ergebnis: Ich bin überzeugt davon, dass solche Prozesse sich in jeder Gesellschaft wiederholen können, u. a. ist der Kommunismus an seiner wirtschaftlichen und sozialen Inkompetenz gescheitert.
Das war einer der Gründe, weshalb ich kürzlich im Luxemburgischen Schengen – leider nur in Luxemburger Sprache – einen vielbeachteten Vortrag über Demokratie und Wissenschaft gehalten habe. Er wurde mittlerweile im Luxemburger Hörfunk-Sender 100,6 vier Mal wiederholt. Tenor: Wenn Demokratie Probleme lösen soll, dann ist auch ein Mindestmaß an Sachverstand der Bürger notwendig, was nicht immer erwartet werden kann. Deswegen habe ich inständig für die repräsentative Demokratie plädiert, denn ein Abgeordneter hat eigentlich die Pflicht, sich intensiv mit dem Abstimmungsprozess im Einzelnen aber auch im Gesamtzusammenhang zu befassen, im Interesse aller Bürger. Aber genau da liegt das Problem, wenn von bestimmten Parteien Wolkenkuckucksheime als Ideologie verkauft werden. Daran krankt im Moment Europa. Hoffentlich gewinnen die nicht die Oberhand, siehe Griechenland.

Vielleicht sollte man noch daran erinnern, dass die soziale und ökologische Marktwirtschaft eine Errungenschaft ist, die nicht übertroffen werden kann.
Jean Pütz

VERGANGENHEIT OHNE BEWÄLTIGUNG: RUSSLAND UND DIE SOWJETZEITEN

Wie erinnert sich die Bevölkerung Russlands an die Zeit der Sowjetunion und wie beeinflusst diese Erinnerung den dort laufenden sozialen Wandel? Ein neues Projekt des Wissenschaftsfonds FWF widmet sich genau diesen hochaktuellen Fragen. Konkret werden gesellschaftliche Deutungsmuster identifiziert, die bezüglich der Sowjetzeiten in der russischen Bevölkerung existieren. Weiters wird der Einfluss dieser Muster auf den sozialen Wandel analysiert, der sich nach dem Zerfall der Sowjetunion einstellte.

Vergangenheit ist Zukunft zumindest wenn es um die politische Kultur einer Gesellschaft geht. Wie eine solche Zukunft aussieht, hängt dabei maßgeblich von der Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit ab. Inwieweit eine solche Reflexion bei der russischen Bevölkerung bezüglich der Sowjetzeiten stattfindet, untersucht nun Dr. Anna Schor-Tschudnowskaja in einem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt.

DEUTUNG MIT MUSTER

Das Ziel des Projekts ist es, kollektive Deutungsmuster in der russischen Bevölkerung zu identifizieren, die dem Umgang mit der sowjetischen Erfahrung zugrunde liegen. Zu der Bedeutung des Projekts meint die Mitarbeiterin der Sigmund Freud Privatuniversität: „Auch fast 25 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion ist die Dynamik des sozialen Wandels in Russland noch immer enorm. Tatsächlich erfolgte nie eine klare Abgrenzung zur politischen Kultur der Sowjetzeit, und die gesellschaftliche Einstellung dazu ist widersprüchlich und spannungsgeladen und wenig analysiert.“

So scheint das kollektive Gedächtnis der russischen Bevölkerung noch immer von wenigen heroischen Errungenschaften der Sowjetzeit dominiert zu werden: die Industrialisierung in den 1930er Jahren, der Sieg im 2. Weltkrieg und die lange Führungsrolle im Rennen um die Eroberung des Weltalls. Andere Aspekte, wie Staatsverbrechen und autoritäre Machtausübungen, werden hingegen ignoriert oder verharmlost. Für Dr. Schor-Tschudnowskaja ist diese selektive Wahrnehmung ein wesentlicher Bestandteil der gegenwärtigen politischen Kultur in Russland und ein signifikanter Beeinflussungsfaktor für die zukünftige Entwicklung. In dem dreijährigen Projekt wird sich die erfahrene Russland-Expertin nun mit der systematischen Analyse dieser Vergangenheitsbewältigung beschäftigen.

GESPRÄCHSBASIS

Als Grundlage ihrer Analyse werden 30 bis 40 biografische Interviews dienen. Um die Aussagekraft der Ergebnisse zu erhöhen, werden diese in zwei verschiedenen Altersgruppen und Städten durchgeführt. Junge Menschen zwischen 20 und 25 Jahren werden daher genauso wie auch ältere Personen ab 60 Jahren in Moskau und St. Petersburg interviewt. Durchgeführt werden die Interviews teilweise strukturiert und teilweise offen. Dazu Dr. Schor-Tschudnowskaja: „Die Strukturierung ist für eine sinnvolle Auswertung wichtig. Der offene Charakter wiederum erlaubt es, auf individuelle Aspekte einzugehen und so eine echte Alltagsperspektive zu erhalten.“ Gerade Letzteres ist wichtig, denn es gilt als wissenschaftlich akzeptiert, dass die individuelle Lebenserfahrung und deren Interpretation die ersten Schritte zur inhaltlichen Befüllung einer politischen Kultur sind. Während der folgenden Auswertung wird der Fokus darauf liegen, ob und wie die Personen sinnhaft Bezug auf die Erfahrungen mit der Sowjetunion nahmen und nehmen. Weiters wird nach Mustern in der Wahrnehmung und Interpretation der damaligen Geschehen und deren inhaltlichem Kontext gesucht werden.

In einem anderen Teil des FWF-Projekts wird Dr. Schor-Tschudnowskaja die wissenschaftliche Literatur sichten, um auch hier Hinweise auf spezielle Deutungsmuster zu erhalten. Gemeinsam mit den empirischen Ergebnissen der Interviews wird sie so Muster identifizieren und deren Bedeutung für eine zukünftige gesellschaftliche Entwicklung einschätzen können.

Die Ergebnisse des Projekts sind dabei von mehr als rein wissenschaftlichem Interesse. VertreterInnen aus Politik und Wirtschaft werden sie eine neue und differenziertere Sicht auf die postsowjetische Gesellschaft im heutigen Russland ermöglichen eine Perspektive, die gerade in Zeiten erhöhter wirtschaftspolitischer Spannung von großer Bedeutung sein kann.

Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Anna Schor-Tschudnowskaja